Bochum. . Am zweiten Prozesstag gegen die Arztgattin (32), die ihren Liebhaber mit Morphium und 14 Messerstichen umgebracht haben soll, schilderten Zeugen bewegende Momente vom Tatort und von der Festnahme.

Im Mordprozess gegen die Arztgattin (32), die ihren Liebhaber (36) umgebracht haben soll, kommen viele schaurige und bewegende Einzelheiten ans Licht. Die rund 100 Zuschauer im voll besetzten Gerichtssaal erfuhren am Dienstag, am zweiten Sitzungstag, wie die teils verbrannte Leiche an der Gilsingstraße entdeckt wurde und wie die mutmaßliche Mörderin festgenommen wurde. Mucksmäuschenstill ist es im Saal, wenn Zeugen das emotional dramatische Geschehen erzählen.

Anders als zum Prozessauftakt, als die Medien sie fotografiert hatten, war die Angeklagte diesmal nicht mit einer Mütze und Sonnenbrille verhüllt. Offen zeigte sie ihr Gesicht, dessen Züge diesmal weniger angespannt wirkten. Ihr schwarzes Haar ist kurz wie ein Bubenschnitt. Ab und zu macht sie sich ein paar Notizen auf einem Blatt Papier, was die Zeugen aussagen. Neben ihr sitzt eine Pfarrerin der JVA – offenbar als tröstender Beistand.

Weiterhin schweigt die Angeklagte. Sie verweist auf ihre Aussagen bei der Kripo, wo sie die ungeheure Tat vom Abend des 2. September zwar zugegeben hatte, aber nur als Affekttat, nicht als Mord. Laut Anklage soll sie ihren Liebhaber, einen Börsenmakler, in seiner Wohnung mit Morphium betäubt und mit 14 Stichen (zwei ins Herz) getötet haben. Angebliches Motiv: Der Banker soll sie mit einem Vaterschaftstest unter Druck gesetzt haben. Wenige Tage vor der Tat hatte die Frau einen Jungen geboren.

Junge Zeugin klingelte alle Nachbarn aus den Wohnungen

Als eine 21-jährige Zeugin am Morgen nach dem Verbrechen um 7 Uhr nach Hause ging, bemerkte sie in dem Mehrfamilienhaus an der Gilsingstraße einen Brand. „Der Geruch war sehr stark“, sagte sie am Dienstag vor dem Schwurgericht. Sie habe „alle Leute wachgeklingelt“. Mit dem Schlüssel einer Nachbarin gingen sie, ihr Freund und ein Taxifahrer in die Wohnung des Börsenmaklers. Im stark verrauchten und heißen Schlafzimmer lag der 36-Jährige tot neben dem Bett, den Kopf neben dem Fußende und nur mit Jeans und Socken bekleidet. „Er war ziemlich verkohlt“, sagte ein Polizeibeamter (44).

Ein Schwelbrand, durch eine Zigarette entzündet, hatte den Mann schwer entstellt. Anfangs ging die Polizei von einem Unglück aus. Motto: Wohl mit Zigarette eingeschlafen. Aber schon kurz nachdem die Feuerwehr gelöscht hatte, zeigten alle Spuren auf ein Tötungsdelikt. Nach Zeugenaussagen geriet noch am selben Morgen die Geliebte in Verdacht. In seinem Bekanntenkreis sollen beide offen mit der Affäre umgegangen sein. Hinzu kam, dass ein Polizist (39) im Löschwasser Blut sah.

Sofort wurde eine Mord-Kommission (MK) gebildet. Am Nachmittag obduzierte ein Rechtsmediziner die Leiche - und entdeckte die 14 Messerstiche. Mit diesem Wissen und einem Durchsuchungsbefehl fuhren sieben MK-Mitglieder zu der Verdächtigen nach Weitmar und klingelten. Es war ein Samstagabend. Als ihr argloser Ehemann (41) „Kripo“ hörte, soll er gesagt haben: „Haben Sie sich im Haus vertan?“ In der Wohnung erzählte die Kripo aber, was passiert sei - und nannte den Namen des Toten.

Verdächtigte wollte das Tatmesser verschwinden lassen

„Ist das nicht ein Patient von uns?“, soll der Arzt erstaunt gefragt haben. In der Tat war er das früher. Als aber seine Frau den Namen hörte, sah der MK-Leiter, Kriminalhauptkommissar Udo Hackmann (55), „wie der Adamsapfel kurz zuckte und der Blick nach unten ging“. Dann, so berichtete er vor Gericht, habe sie gesagt: „Den kenn ich näher.“ Wenig später ging Hackmann damals davon aus, „dass ich die Täterin vor mir hatte“.

Bei diesem Erstkontakt mit der Verdächtigen fielen der Kripo Beweisstücke in die Hände, von der eine MK sonst nur träumen kann. Als die 32-Jährige sagte, sie wolle kurz nach ihrem Säugling sehen, ging sie woanders hin, ins Schlafzimmer, und warf einen Müllsack aus dem Fenster auf die Feuerwehrtreppe. Inhalt: Das Tatmesser mit Blut, Küchen-Papier mit Blut, das zerfetzte Deutschland-Trikot des Opfers, Einweghandschuhe und ein Tabletten-Blister.

Die Beschuldigte war bei der Beseitigung ertappt worden. Zur Erklärung log sie laut Polizei: „Das hat heute Morgen vor der Tür gelegen; da will mir einer was.“ Sie wisse gar nicht, „was abgehe“. Aber das glaubte die Kripo schon längst nicht mehr. Auch nicht, dass sie am Tatabend nicht in der Tatwohnung gewesen sein wollte. Gegen 23 Uhr wurde sie in eine Polizeizelle gesteckt. Wenig später kam ihr Tatgeständnis.

„Ihr fiel es unheimlich schwer, Abschied zu nehmen“

Ihr Ehemann hatte damals auf einen Schlag brutale Wahrheiten ertragen müssen. Die Frau hatte einen Geliebten - und steht jetzt sogar unter Tötungsverdacht. Außerdem gab es Zweifel, dass er der Vater des Babys ist. „So ein Quatsch“, hatte er laut Polizeiprotokoll ausgerufen. Er irrte, wie sich herausstellen sollte. Trotz dieser Schocknachrichten soll der Arzt eher unbeeindruckt gewirkt haben - aber das war wohl nur äußerlich.

Ergreifende Szenen müssen sich bei der Festnahme abgespielt haben. Die junge Mutter musste ihren Säugling im Kinderbett und ihren Ehemann verlassen. Eine Beamtin: „Ihr fiel es unheimlich schwer, Abschied zu nehmen.“ Und: „Ich habe sie ziemlich fertig in Erinnerung.“

Nach fünfstündiger intensiver Verhandlung kam die Sprache auf das Besuchsrecht im Frauengefängnis Gelsenkirchen. Die Mutter der Angeklagten und deren Baby kommen bald wieder vorbei. Das Baby wird sogar jede Woche gebracht. Es lebt in der Familie des Arztes.