Bochum. Bei „Ubu“ in Bochum türmen sich Bücherberge bis an die Decke. Mittendrin steht Alt-Hippie Wolfgang Jöst – und behält tapfer die Übersicht.
Läden wie diesen gibt es eigentlich gar nicht mehr. Schon der Schritt durch die Eingangstür ist ein kleines Abenteuer: „Komm herein“, ruft eine freundliche Stimme aus der Ferne, während der Blick zunächst ungläubig durch die Gegend schweift. Bücherstapel ohne Ende liegen hier, die meterlangen Regale reichen bis zur Decke und biegen sich förmlich unter der Last der schier endlosen Schmöker. Es müssen Zigtausende Bände sein, die hier dicht an dicht in wildem Durcheinander gelagert sind. Nur mit etwas Mühe bahnt man sich den schmalen Fußweg entlang.
Bei „Ubu“ in Bochum stapeln sich die Bücher bis zur Decke
„Hallo, hier bin ich“, ruft die Stimme erneut – und tatsächlich: Hinter mehreren großen Kisten und Stapeln winkt Inhaber Wolfgang Jöst, den die meisten nur „Ubu“ nennen. Das gleichnamige Antiquariat an der Universitätsstraße kurz hinter dem Hauptbahnhof in Bochum ist sein Lebenswerk und eine Insel des Glücks für all jene, die Bücher niemals auf dem E-Book-Reader lesen würden und den Wert des gedruckten Wortes noch zu schätzen wissen. Willkommen in Bochums ungewöhnlichster Buchhandlung!
Auch die junge Frau, die kurz nach uns den Laden betritt, muss sich erst zurechtfinden. Ob es hier Bücher in kurdischer oder türkischer Sprache gibt, fragt sie etwas unsicher. Sie ist Kurdin und lernt gerade fleißig Deutsch. Ubu nimmt die Fährte auf und verschwindet kurz in einem der zahlreichen Gänge: „Mehrsprachige Bücher findest du hier“, erklärt er ihr. „Etwa aus dem Iran, Griechenland, der Türkei…“ Die junge Frau folgt ihm und wirft dabei versehentlich einen Stapel Bücher um. „Nicht schlimm“, sagt Ubu und grinst. „Das ist ja hier kein Porzellanladen.“
Auf diese Weise könnte man stundenlang mit Ubu durch die engen Regale streifen, denn auch wenn es nicht den Anschein hat: Das Chaos ist bestens organisiert – und der Buchhändler kennt sich super aus. Es gibt einzelne Fachbereiche von Psychologie über Reiseführer bis Religion, die unzähligen Romane sind (mehr oder weniger) von A bis Z sortiert, Henry James steht tatsächlich neben James Joyce. „Es gibt eine Vorsortierung“, so nennt es Ubu. Wie viele Bücher hier stehen, kann er nur grob schätzen: „Weniger als 100.000, würde ich sagen.“
Die Hippie-Mähne ist etwas grauer geworden
Fast 74 Jahre alt ist Wolfgang Jöst mittlerweile. Die lange Hippie-Mähne, die er früher gerne trug, ist etwas grauer und kürzer geworden. Jimi Hendrix, Joan Baez und Rudi Dutschke waren seine Helden, als er nach dem Abitur Anfang der 70er Jahre aus Kehl am Rhein fürs Studium nach Bochum kam. „Von meiner Mutter wurde ich als Kriegsgegner erzogen“, erzählt er – und das nicht ohne Grund: „Sie war bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele 1936 in Berlin als Rhythmische Sportgymnastin dabei. Das muss sie sehr geprägt haben.“
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Während des Studiums jobbte Jöst ab Mitte der 70er Jahre in der „Politischen Buchhandlung“, die damals nahe dem Campus-Gelände beheimatet war. Obwohl er selbst nie den Job des Buchhändlers lernte, erfuhr er hier viel über das Handwerk: von der Buchführung bis zum Umgang mit Verlagsvertretern.
Viele Bücher werden ihm überlassen
Seinen ersten eigenen Laden eröffnete Jöst Mitte der 80er Jahre in der City, inzwischen ist er mit ihm mehrmals umgezogen. Seit etwas über zehn Jahren befindet sich „Ubu“ (benannt nach dem Theaterstück „König Ubu“ von Alfred Jarry) neben dem Büro der Bochumer „Linken“. Viele Bücher werden ihm etwa aus der Nachbarschaft überlassen oder er treibt sie auf Flohmärkten auf. „Es melden sich immer mehr Leute bei mir, die ihre Bücher gern loswerden wollen“, sagt er. Wenn sie gut erhalten sind, verkauft er sie dann „Secondhand“ weiter. „Viele entsorge ich direkt oder verschenke sie auch. Die liegen dann vorne vor der Tür.“
Doch immer nur achtlos an König Ubus kleinem Reich vorbeizulaufen, wäre falsch. In diesem Laden etwas Zeit zu verbringen, ist ein absolutes Erlebnis. Man kann stöbern, schmunzeln und wird von Ubu bestens unterhalten. „Für Spießer verboten“, steht auf einer Schallplatte am Eingang. Und die Chancen stehen gut, dass man Ubu hier noch eine ganze Weile antrifft: „Ich habe nie groß in die Rente einbezahlt und kann es mir einfach nicht leisten, hier aufzuhören“, sagt er etwas gequält. „Aber es macht ja auch Spaß.“
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Und nebenbei tut Ubu einiges für die Bochumer Literaturszene: Vor allem das Werk des Schriftstellers Wolfgang Welt (1952-2016) hält er gern in Ehren und hat jedes seiner Bücher vorrätig. Auch Krimi-Autor Werner Schmitz ist ihm ans Herz gewachsen, sein Buch „Braunes Eppendorf“ über die Nazi-Zeit in Wattenscheid hat sogar einen Ehrenplatz im Schaufenster bekommen.
Eine halbe Stunde war sie hinter Bücherstapeln verschwunden, dann taucht auch die junge Kurdin wieder auf und ist fündig geworden. Sie nimmt ein Buch aus ihrer Heimat mit sowie ein Exemplar von „Der kleine Prinz“, eines von Ubus Lieblingsbüchern. Gemeinsam mit Ubu macht sie auf ihrem Handy ein Selfie und strahlt: „Ich komme bestimmt wieder.“
Sogar einen Computer hütet Ubu in seinem Laden
In einer Ecke hinter Bücherstapeln vergraben findet sich auch ein für Wolfgang Jöst ungewöhnliches Gerät: ein Computer. „Hier kann ich auf Wunsch Bücher online bestellen und finde darin das komplette Verzeichnis lieferbarer Bücher“, erzählt er. „Sonst habe ich mit Computern nicht viel am Hut.“
Die Buchhandlung Ubu, Universitätsstraße 39-41, ist geöffnet: Montag bis Freitag von 12 bis 18.30 Uhr, Samstag von 10 bis 14 Uhr. Info: 0234 332678