Hagen. . Mein erster Annäherungsversuch an den Roman „Ulysses“ von James Joyce liegt gut 34 Jahre zurück. Damals kaufte ich mir als Student das 1000 Seiten starke Buch, fest gewillt, den Lesekampf gegen das allseits prophezeite Unverständnis am Ende doch zu gewinnen.
Mein erster Annäherungsversuch an den Roman „Ulysses“ von James Joyce liegt gut 34 Jahre zurück. Damals kaufte ich mir als Student das 1000 Seiten starke Buch, fest gewillt, den Lesekampf gegen das allseits prophezeite Unverständnis am Ende doch zu gewinnen. Ich kam immerhin bis Seite 300, wusste aber ehrlich nicht, was ich bis dahin eigentlich gelesen hatte.
Jetzt habe ich das ehrgeizige Projekt erneut in Angriff genommen - und zwar mit Hör-Kassetten. 31 Stück enthält der neue „Ulysses“-Schuber, und die vollständige Lesung dauert exakt 38 Stunden und neun Minuten.
Der Hörverlag hat das Mammutprojekt in das Talent von 26 Sprecherinnen und Sprechern gelegt; die erste Liga dieser Zunft ist dabei am Start: Matthias Brandt, Axel Milberg, Burghart Klaußner, Heikko Deutschmann und Ulrich Noethen sind neben anderen bekannten Stimmen am Start. Und sie alle meistern ihre Aufgabe mit bravouröser Souveränität. Schon nach dem Abspielen der ersten CD ist klar: Hören ist deutlich leichter als lesen. Die ausgesprochen angenehmen Tonlagen der jeweiligen Sprecher korrespondieren mit den sinnstiftenden Betonungen der vorgetragenen Texte. Mal laut, mal leiser, mal tiefer und mal höher modulieren sie förmlich die Roman-Vorlage. Das hilft ungemein - doch bedeutet dies noch lange nicht, dass sich ein echter Verständnisbogen über das Zuhören spannt.
Ich habe mich dazu entschlossen, das „Ulysses“-Projekt im Auto anzugehen. Seit nunmehr 17 Fahrstunden hat also das Radio Pause und James Joyce das Wort. Die Autofahrten geraten dabei zu einer Art meditativem Unterwegssein. Der Wagen rollt dahin, und ein Stimme begleitet unbeirrbar und vertraut die kurzen und längeren Strecken.
Tatsächlich ist die Sprachakrobatik, die James Joyce mit seinem zwischen 1918 und 1921 verfassten Roman transportiert, absolut faszinierend. Auch fast 90 Jahre später klingt das Erdachte so modern, als wäre es gerade erst aufgeschrieben worden. Ein bizarres Text-Experiment ist dem irischen Schriftsteller hier gelungen, das seit seiner ersten, skandalumwitterten Veröffentlichung 1922 zu einem der weltweit bekanntesten (aber weitgehend ungelesenen) sowie prägendsten Literaturstücke zählt. Joyce hat einen Tag - den 16. Juni 1904 - im Leben des Dubliner Anzeigen-Akquisiteurs Leopold Bloom geschildert. Was er und einige seiner Bekannten erleben, was sie denken und assoziieren, was sie singen, lesen und schreiben, verdichtet sich zu einem verwirrenden und verworrenen Handlungsgespinnst in 18 Episoden. James Joyce spielt nach Belieben mit der Sprache. Er bricht grammatische Regeln, erfindet eigene Worte, bedient sich aus anderen Sprachen, macht wildeste Gedankensprünge und kaum nachvollziehbare Anspielungen. Das ist mitunter dramatisch oder lustig, langweilig, zotig oder auch mal lehrreich.
Im Auto wird das Hör-Erlebnis zur akustischen Auseinandersetzung ohne Fluchtmöglichkeit. Natürlich könnte ich abschalten, wenn etwa seitenlange Namenslisten in bewusst monotonem Singsang vorgetragen werden. Doch weil es keine schnelle Vorlauftaste gibt, könnte ich höchstens die komplette CD wechseln; das aber würde den letzten Rest des roten Fadens, an den sich meine Ohren immer wieder verzweifelt aufs Neue zu klammern versuchen, gänzlich durchtrennen.
Ich habe in den Stadtbüchereien von Hagen und Iserlohn nachgefragt, ob dort der „Ulysses“-Band vorrätig und wie hoch die Ausleihfrequenz sei: „50 Anfragen in elf Jaren“ hieß es in Iserlohn. „Bei uns ist das nicht gerade ein Renner“, lautet eine ähnliche Antwort in Hagen. Als Hör-Variante ist der Joyce-Roman allerdings nicht im Inventar der Bibliotheken. Schade in jedem Fall.
Anna Thalbach, eine der Sprecherinnen der CD-Produktion, hat in einem Interview vermutet, dass sich höchstens zwei Menschen auf das „Ulysses“-Hör-Abenteuer einlassen werden. Wenn jetzt außer mir sich noch einer für das ungefährliche Wagnis entscheidet, ist die bescheidene Zahl ja schon erreicht. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass es sehr viel mehr sein werden. Und es lohnt sich wirklich.
James Joyce:
Ulysses
Hörkassette
31 CDs
Hörverlag, 79,99 Euro