Bochum. Als Maximilian zwei ist, erfährt die Familie aus Bochum: Er hat Morbus Hunter. Eine Welt bricht zusammen, das Leben ändert sich komplett.

Schon als Maximilian im Oktober 2014 geboren wird, weiß seine Mama: Da stimmt etwas nicht. Das Baby wiegt fünf Kilo, ist mit 60 Zentimetern überdurchschnittlich lang, auch der Kopf hat eine überdurchschnittliche Größe. Erst rund zwei Jahre später erfährt die Familie aus Bochum-Langendreer: Das Kind hat Morbus Hunter, eine lebensverkürzende Krankheit. „In dem Moment bricht eine Welt zusammen“, erinnert sich Mutter Jasmin.

Viele Jahre versuchen Jasmin und ihr Mann Holger ein Kind zu bekommen. „Für uns war das Thema eigentlich durch, wir wussten, es wird nicht mehr klappen“, erinnert sich die 51-Jährige zurück. „Dann hat sich Maximilian angekündigt.“ Die Bochumerin ist zu dem Zeitpunkt 42 Jahre alt und sich bewusst, dass eine Schwangerschaft in diesem Alter höhere Risiken hat. Eine Untersuchung zeigt: Das Baby in ihrem Bauch hat eine verkürzte Nackenfalte. Doch Untersuchungen auf verschiedene Trisomien, wie zum Beispiel das Downsyndrom, sind unauffällig.

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Bereits in den Monaten nach seiner Geburt muss Maximilian viele Termine bei Ärzten über ich ergehen lassen, neben dem größeren Kopf hat er unter anderem einen Leistenbruch und ist schwerhörig, seine Motorik sei von Beginn an eingeschränkt gewesen. „Viele Punkte, die keiner zusammenfügen konnte, auch der Kinderarzt nicht“, sagt Jasmin. Der kleine Maximilian ist von Beginn an ein zurückhaltender Junge, er beobachtet lieber. Im Getümmel zwischen anderen Kinder sitzen, das ist ihm schnell zu viel.

Auf ihrem Handy zeigt Mama Jasmin Bilder aus der Kindheit von Maximilian. Vor einigen Jahren konnte der mittlerweile Neunjährige noch selbstständiger spielen und kommunizieren.
Auf ihrem Handy zeigt Mama Jasmin Bilder aus der Kindheit von Maximilian. Vor einigen Jahren konnte der mittlerweile Neunjährige noch selbstständiger spielen und kommunizieren. © FUNKE Foto Services | Svenja Hanusch

Auf einem Symposium im Ruhrcongress hört sein Kinderarzt von Mucopolysacharidose, eine seltene, fortschreitende und lebensverkürzende Erkrankung. Er ruft die Familie von Maximilian an, die sich kurz darauf bei einer Ärztin im St.-Josef-Hospital vorstellt. „Sie schaute ihn sich nur kurz an und wusste direkt: Er hat Morbus Hunter“, erinnert sich die Mutter. Eine Genanalyse ergibt Gewissheit.

Bundesweit gebe es etwa 100 Kinder, die ebenfalls erkrankt sind. „Ich spreche bewusst von Kindern“, sagt Mutter Jasmin. „Sie erreichen sehr selten das Erwachsenenalter.“

„Ich wurde komplett überrollt. Man wird sich bewusst: Wir haben ein Kind, das nie erwachsen wird.“
Jasmin aus Bochum - ihr Sohn hat eine unheilbare Krankheit

Morbus Hunter: Maximilian sitzt mittlerweile komplett im Rollstuhl

Schnell eignet sich Jasmin Wissen über die Erkrankung an. „Ich wurde komplett überrollt. Man wird sich bewusst: Wir haben ein Kind, das nie erwachsen wird. Das nie so sein wird wie andere Kinder, keinen eigenen Beruf haben, kein eigenständiges Leben führen wird. Und, dass er vor einem gehen wird. Man freut sich so sehr, doch noch ein Kind bekommen zu haben und weiß, dass man es nicht lange hat.“ Deshalb ist es der Familie umso wichtiger, Maximilian ein schönes Leben zu bereiten.

Im Wohnzimmer gibt es für Maximilian in der Regel das Mittagessen, diesmal gemeinsam mit Papa Holger.
Im Wohnzimmer gibt es für Maximilian in der Regel das Mittagessen, diesmal gemeinsam mit Papa Holger. © FUNKE Foto Services | Svenja Hanusch

Morbus Hunter gehört zum Krankheitsbild „Mukopolysaccharidose“, das es in sieben verschiedenen Formen gibt. Bei einem schweren Verlauf, wie ihn auch Maximilian hat, sind die Betroffenen sowohl körperlich als auch kognitiv beeinträchtigt. Den Kindern fehlt ein bestimmtes Enzym, das dafür verantwortlich ist, bestimmte Abfallprodukte abzubauen. Diese reichern sich in den Zellen einzelner Organe im ganzen Körper an und führen dazu, dass verschiedene Organe ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen können, erklärt Jasmin. Auch die Hirnzellen seien betroffen und würden nach und nach zerstört, was zur Folge habe, dass Maximilian alles bis dato Erlernte vergisst. Man könne sich das vorstellen wie eine Kinderdemenz.

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Maximilian ist mittlerweile neuneinhalb. Vor drei Jahren konnte er noch selbst laufen, die Treppe zu seinem Hochbett alleine hochgehen. Zudem konnte das Kind sprechen, sich durch eine Mischung aus Gebärden und einigen Wörtern äußern. In den vergangenen Jahren fällt ihm das dann zunehmend schwerer. Mittlerweile sitzt Maximilian fast komplett im Rollstuhl, kann nur noch ganz vereinzelt Schritte laufen, während sein Gehwagen ihn stützt. Wie die meisten Kinder, die an Morbus Hunter erkrankt sind, hat Maximilian eine Autismus-Spektrum-Störung.

Familien mit schwer erkrankten Kindern sind häufig isoliert

Der Junge ist der Lebensmittelpunkt seiner Eltern. Die Mutter hat ihren Beruf komplett aufgegeben, der Vater arbeitet im Homeoffice. Das Kind besucht die Förderschule am Haus Langendreer.

Ein schwer krankes Kind zu haben, so wie Maximilian, verändere das Leben der betroffenen Familien komplett. „Ich habe seit neuneinhalb Jahren nicht durchgeschlafen“, sagt Jasmin. Sie sei happy, wenn pro Nacht vier Stunden Schlaf am Stück herausspringen. „Man lernt mit der Zeit, mit weniger Schlaf auszukommen.“ Unter der Woche schlafe sie im Zimmer des Sohnes, bette ihn um, weil er sich selbst nicht mehr dreht. Am Wochenende übernimmt dann der Vater.

An der Tür zu Maximilians Kinderzimmer hängt dieses Bild, das etwa vier Jahre alt ist.
An der Tür zu Maximilians Kinderzimmer hängt dieses Bild, das etwa vier Jahre alt ist. © FUNKE Foto Services | Svenja Hanusch

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Betroffene Mutter gründet Projekt für andere Eltern: „You‘ll never walk alone“

Nicole Bieri, selbst betroffene Mutter und Koordinatorin beim Ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienst Löwenzahn mit Sitz in Bochum, weiß, wie allein und isoliert sich betroffene Eltern fühlen können. Sie hat das Projekt „You never walk alone“ ins Leben gerufen. Es gibt dabei unter anderem eine Messenger-Gruppe, die sie moderiert. Dort werden Alltagstipps ausgetauscht, zu Themen wie Anträgen an die Krankenversicherung oder Kurzzeitpflege. „Es ist ein sehr wertschätzender, geschützter Raum“, sagt Bieri. In dem sich die Eltern gegenseitig Mut machen oder einander in schweren Momenten die Daumen drücken.

Der Deutsche Kinderhospiz Dienst begleitet die Familie um Papa Holger, Mama und Sohn Maximilian. Die Bochumer sind auch Teil einer Gruppe, die Koordinatorin Nicole Bieri ins Leben gerufen hat.
Der Deutsche Kinderhospiz Dienst begleitet die Familie um Papa Holger, Mama und Sohn Maximilian. Die Bochumer sind auch Teil einer Gruppe, die Koordinatorin Nicole Bieri ins Leben gerufen hat. © FUNKE Foto Services | Svenja Hanusch

Weitere Informationen

Kinderhospizarbeit habe ein Problem, so der Bochumer Verein Löwenzahn. Sie sei brutal unterfinanziert, Krankenkassen würden nur einen Bruchteil der Kosten übernehmen. Spenden seien unerlässlich. Weitere Informationen gibt es unter deutsche-kinderhospiz-dienste.de

Wer Teil des Projekts „You never walk alone“ werden möchte oder Fragen dazu hat, kann sich an Koordinatorin Nicole Bieri wenden. Sie ist erreichbar unter der 0173 901 80 55.

Informationen zu Morbus Hunter und verwandten Erkrankungen gibt es bei der MPS-Gesellschaft unter mps-ev.de. „Sie war uns von Anfang an eine große Hilfe“, sagt Maximilians Mutter Jasmin über den Verein.

Einmal pro Woche kommt eine Ehrenamtlerin zu Besuch

Die Arbeit des Ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienstes Löwenzahn geht noch darüber hinaus. Die Ehrenamtlichen unterstützen die Familien auch direkt. Einmal pro Woche kommt eine Ehrenamtliche bei der Familie von Maximilian vorbei. „Immer montagsnachmittags“, sagt Mama Jasmin. In der Zeitung hat sie damals von der Gründung des Vereins erfahren. Etwa drei Jahre kennt die Ehrenamtlerin Maximilian nun. „Sie spielt und singt mit ihm“, so Jasmin. In dieser Zeit haben die Eltern die Möglichkeit, andere Dinge zu erledigen oder zumindest ein wenig Zeit für sich zu haben.

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