Dortmund. „Lillemor ist ein Kind und keine Diagnose“, sagt ihre Mutter. Die Vierjährige hat das Down-Syndrom. Gegen welche Vorurteile die Familie kämpft.

Und plötzlich waren sie die Familie mit dem behinderten Kind. Das hatte sich in der Nachbarschaft so rumgesprochen. „Während andere zum Beispiel die mit dem Hund oder dem Motorrad waren, haben wir diesen Stempel aufgedrückt bekommen“, sagt Katrin Staudinger. Seit der Geburt ihrer Tochter Lillemor (4), die mit dem Down-Syndrom zur Welt gekommen ist, ist die Familie häufig mit Klischees konfrontiert. „Viele Menschen setzen zum Beispiel voraus, dass Down-Syndrom-Kinder immer fröhlich sind und lustige Dinge tun“, erzählt die 43-Jährige. „Für andere sind diese Kinder wiederum schwerbehindert und nicht lebenswert.“

Mit diesen Vorurteilen räumt Staudinger auch auf ihrem Blog „Lucky Lillemor“ auf, auf dem sie ihren Followern Einblicke in ihren Alltag als pflegende Angehörige gibt. Denn mit der Geburt von Lillemor hat sich das Familienleben der Diplomjournalistin aus Dortmund, ihrem Mann und Sohn Piet (9) verändert.

„Der Test sagt nichts darüber aus, ob mein Kind glücklich wird“

Eine Abtreibung kam für die Familie nicht in Frage, nachdem sie durch einen Bluttest in der Schwangerschaft vom Down-Syndrom ihrer Tochter erfuhr. „Denn der Test sagt nichts darüber aus, ob mein Kind glücklich wird“, betont Staudinger. Seit 2012 können Schwangere einen solchen Bluttest machen. In den sozialen Medien stößt die Mutter oft auf Unverständnis. Von Kollegen hört sie Sätze wie: „Ich könnte das ja nicht!“ Staudinger versucht dann darüber aufzuklären, dass das Down-Syndrom keine schlimme Krankheit ist, „aber die Kommentare machen mich sehr traurig.“

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Schon in der Schwangerschaft erfährt sie, dass ihre Tochter einen komplizierten Herzfehler hat. Das betrifft 40 bis 50 Prozent der Kinder mit Down-Syndrom. Als sie vier Monate alt ist, wird Lillemor bereits operiert. Staudinger übernimmt die Pflege, legt ihrer Tochter Sonden, gibt ihr Medikamente und begleitet sie zu regelmäßigen Arztterminen. Arbeiten gehen kann sie daher vorerst nicht.

Down-Syndrom-Tag am 21. März

Menschen mit Down-Syndrom besitzen in allen oder einem Teil ihrer Körperzellen 47 anstatt 46 Chromosomen-Paare. Das Chromosom 21 kommt bei dieser Gen-Mutation dreimal anstatt zweimal vor. So spricht man neben dem Down-Syndrom auch von Trisomie 21. Deshalb wird der Welt-Down-Syndrom-Tag auch am 21. März gefeiert.

Claudia Middendorf, Beauftragte der Landesregierung für Menschen mit Behinderung, appelliert, sich nicht nur an diesem Tag für eine gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Down-Syndrom einzusetzen. Auch fordert sie mehr Anerkennung und Unterstützung für pflegende Eltern: „Sie sind eine wichtige Stütze in unserer Gesellschaft, indem sie sich um ihre Kinder kümmern und dabei nicht selten ihre eigenen Grenzen überschreiten“, so Middendorf. „Sie nehmen private, berufliche und zum Teil sogar gesundheitliche Einschränkungen auf sich, um die Pflege ihrer Kinder sicherzustellen.“

Down-Syndrom: Entwicklung von Kindern oft vorhergesagt

„Leider wird bei Kindern mit Down-Syndrom die Entwicklung im Gegensatz zu anderen Kindern meist schon vorhergesagt“, sagt Katrin Staudinger. Sie erinnert sich noch gut daran, wie die Familie nach Lillemors Herz-OP eine Reha beantragte. „Die Rentenversicherung, die die Kosten dafür übernehmen sollte, weigerte sich jedoch mit der Begründung, dass Lillemor niemals arbeiten und in die Rentenkasse einzahlen könne.“

Das habe sie erstmal verarbeiten müssen, sagt Staudinger. „Menschen mit Down-Syndrom erwerben durch neue Fördermöglichkeiten viele Fähigkeiten, die sie auch für den ersten Arbeitsmarkt qualifizieren können.“

Zudem leben Menschen mit Down-Syndrom wegen verbesserter medizinischer Versorgung heute deutlich länger. Laut Experten erreichen die Menschen heute oftmals ihr 70. Lebensjahr, während die Lebenserwartung früher noch bei 20 bis 30 Jahren lag.

Mutter von Lillemor: „Ich möchte kein Mitleid bekommen“

Katrin Staudinger möchte für die Behinderung ihrer Tochter kein Mitleid bekommen. „Lillemor ist genauso ein Kind wie jedes andere und keine Diagnose.“ Von der Politik wünscht sie sich allerdings mehr Unterstützung für pflegende Eltern. Bei einem Pflegegrad von drei bekommt die Familie für Lillemor monatlich 545 Euro. Wegen der vielen Fahrten zu Fachärzten, Aufenthalten in Intensiv-Rehas und des Kaufs von Fördermaterialien reiche das nicht aus.

Zudem sei die Dreijährige häufiger krank, hat mehr Arzttermine. Von Arbeitgebern wünscht sich die Mutter, die bald wieder in den Job einsteigen möchte, deshalb mehr Flexibilität und mehr Kinderkrankentage für pflegende Eltern.

Landesprogramm zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf

Um Eltern zu entlasten, unternimmt das Land laut Claudia Middendorf bereits unterschiedliche Anstrengungen. Als ein Beispiel nennt sie ein Programm, das die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege für Beschäftigte verbessern will. Das wünscht sich auch Mutter Nicole Rempe, die nach der Geburt von Leni erfuhr, dass ihre Tochter das Down-Syndrom hat.

Familie Rempe ist gerne mit dem Camper unterwegs.
Familie Rempe ist gerne mit dem Camper unterwegs. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Heute steht Leni (7) mit ihren Wanderstöcken in der Hand und einem stolzen Grinsen im Gesicht vor dem Mont Blanc. Ein anderes Mal posiert sie auf dem Spielplatz ganz oben auf dem Klettergerüst. Momente wie diese hält Rempe gerne mit der Kamera fest. „In vielerlei Hinsicht haben wir einen ganz normalen Alltag“, sagt sie. Wenn da die vielen Termine und bürokratischen Hürden nicht wären.

Facharzttermine und bürokratische Hürden

Neben Beruf und Familienalltag bringen sie und ihr Mann ihre Tochter dreimal die Woche zur Therapie, managen regelmäßige Facharzttermine und kümmern sich um unzählige Anträge und Formulare, die immer wieder aufs Neue ausgefüllt werden müssen. So muss beispielsweise Lenis Behindertenstatus regelmäßig nachgewiesen werden, „obwohl das Down-Syndrom ja nicht plötzlich verschwindet“, sagt Rempe.

Überweisungen an Fachärzte müssen ebenfalls immer wieder neu vom Kinderarzt ausgestellt werden. Rempe: „Weniger Bürokratie wäre hier wichtig. Außerdem würden mobile Therapien in der Kita oder Schule den Stress für die Eltern und das Kind erheblich reduzieren.“

Seit August 2012 können werdende Mütter ab der zehnten Schwangerschaftswoche Bluttests auf bestimmte Erbgutfehler des Fötus, etwa Trisomie 21, untersucht werden. Seitdem kommen deutlich weniger Babys mit dem Down-Syndrom zur Welt. Das bestätigt etwa der Allgemeine Behindertenverband Deutschland. Schätzungsweise nehmen neun von zehn Schwangere eine Abtreibung vor. Das schätzen zumindest Experten, belastbare Zahlen gibt es nicht.

Die Zahlen der Geburten mit Down-Syndrom sind daraufhin stetig weiter gesunken, beobachten Experten. Derzeit leben schätzungsweise 10.000 Menschen mit Down-Syndrom in NRW.