Bochum. Lange Zeit war die Zahl der Firmenpleiten in Bochum rückläufig. Nun droht eine Umkehr des Trends – spätestens, wenn Energieverträge auslaufen.

Die Nachricht klingt erst einmal gut. Im ersten Halbjahr 2022 hat es in Bochum so wenige Unternehmensinsolvenzen gegeben wie schon lange nicht mehr: 53. Allerdings mehren sich die Anzeichen dafür, dass der jahrelange Abwärtstrend bei den Firmenpleiten (Grafik) vorbei ist.

Bislang kerngesunde Firmen melden Insolvenz an

Philipp Böhme, Präsident der Industrie- und Handelskammer Mittleres Ruhrgebiet und Geschäftsführer von Creditreform Bochum, hat den Trend beim Sommerempfang der IHK Anfang September mehr als nur angedeutet. „Es gibt die ersten Insolvenzen von Unternehmen, die bislang kerngesund waren.“ Und diese Entwicklung setzt sich fort. Auch in Bochum. Böhme: „Es betrifft unterschiedliche Branchen, nicht nur die Industrie.“ Allerdings seien auch nicht nur die explodierenden Energiekosten verantwortlich für die Schieflage von Firmen. „Häufig sind es auch strukturelle Probleme“, die unter dem sich potenzierenden Einfluss von Kostensteigerung, Lieferengpässen und Fachkräftemangel nicht mehr zu kaschieren sind.

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© funkegrafik nrw | Anna Stais

Immer wieder mussten in den vergangenen Jahren in Bochum auch größere Unternehmen aufgeben, vor allem aus dem Bereichen Handel und Dienstleistung: so der Werkzeuggroßhändler Wollschläger 2016, Lebensmittellogistiker Dewender 2020, Callcenterbetreiber Tekomedia 2020, die Gesellschaft für Reisevertriebssysteme (GfR), eine Thomas-Cook-Tochter, 2020 und der Autoteilehändler Hess 2022.

Viele Arbeitsstellen in der Industrie betroffen

Nun könnten vor allem die steigenden Energiepreise gerade Industrieunternehmen in die Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit treiben. Das Leibnitz-Institut für Wirtschaftsforschung (IWH) hat festgestellt, dass die Zahl der von einer Insolvenz betroffenen Arbeitsstellen im Industriesektor in den ersten fünf Monaten des Jahres im Vergleich zum entsprechenden Vorjahreszeitraum um 50 Prozent gestiegen ist.

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Dass Industrieunternehmen grundsätzlich insolvenzgefährdeter sind, sieht Dirk W. Erlhöfer, Hauptgeschäftsführer der Arbeitgeberverbände (AGV) Ruhr mit Sitz in Bochum, zwar nicht. „Uns ist auch bislang kein Fall unter unseren Mitgliedern bekannt“, so Erlhöfer. Die AGV sind die Interessenvertreter von Firmen der Branchen Chemie, Metall, Elektro, Papier und Kunststoff. Allerdings würden sich die Auswirkungen der dramatisch steigenden Energiekosten mitunter erst in einigen Monaten zeigen, wenn bislang noch gültige Lieferverträge für Strom und Gas enden.

Unternehmen verkaufen ihre Energie, statt zu produzieren

Jedes Unternehmen suche Lösungen für sich. So hat der AGV-Chef von Betrieben gehört, die ihre Produktion auf Kohle oder Strom umgestellt haben. Auch hätten Firmen bereits Energiemengen verkauft, weil dies erträglicher sei als das eigentliche Kerngeschäft. Erlhöfer: „Ich rufe nur selten nach dem Staat. Aber jetzt scheint mit eine Energiepreisbremse die beste Möglichkeit, um Unternehmen und Verbraucher zu schützen.“

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Von Verwerfungen ist auch an anderer Stelle zu hören. IHK-Sprecher Sven Frohwein weiß von Gastronomen, die sich zu einer Bietergemeinschaft zusammengeschlossen haben, um bei der Abnahme von Energie mögliche Preisvorteile zu erzielen. Zu hören sei, dass Unternehmer Entscheidungen schneller treffen müssen, auch weil angebotene Rohstoffpreise nicht mehr für Woche gültig sind, sondern mitunter nur noch für wenige Tage. Und: Ein Industriebetrieb in einer Nachbarstadt produziere derzeit so viel Ware wie möglich vor, um die derzeit noch gültigen, vergleichsweise niedrigen Energiekosten optimal zu nutzen.

107 Firmenpleiten im vergangenen Jahr

Zumal: Es gibt Unternehmen, die wissen heute noch gar nicht, woher sie morgen ihre Energie beziehen sollen. Energieversorger haben Verträge gekündigt und bieten mitunter keine Anschlussverträge an. Dazu gehören auch die Stadtwerke Bochum. Ein Sprecher des Unternehmens bestätigt auf Anfrage: „Aufgrund der aktuellen Marktlage und der dynamischen Preisentwicklung sind die Stadtwerke Bochum gezwungen, Verträge von Gewerbe- und Industriekunden zu kündigen, die nicht mehr dem aktuellen Preisniveau entsprechen. Einigen Kunden wurden bereits neue Angebote vorgelegt, anderen Kunden wurden zunächst Gesprächsangebote unterbreitet. Die Verträge müssen fristgerecht mit entsprechendem Vorlauf gekündigt werden. Kunden außerhalb Bochums erhalten in der Regel kein neues Angebot.“

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Zurück zu den Insolvenzen. Die Zahl der Firmenpleiten ist in Bochum im vergangenen Jahr zwar schon leicht auf 107 gestiegen. Im Vergleich zu 2015 (181) und den Folgejahren ist dies dennoch ein gutes Ergebnis. Belastbare Zahlen für die zweite Jahreshälfte 2022 liegen noch nicht vor. Allerdings scheint die Zahl der Insolvenzanträge beim Amtsgericht Bochum zu steigen. Mehr als ein Dutzend waren es bislang allein in diesem Monat.