Bochum. Ein Jahr nach dem Aus von Thomas Cook ist auch die Bochumer Tochter GfR gescheitert. Ein Teil der Callcenter-Mitarbeiter hat neue Jobs.
Knapp ein Jahr nach der Insolvenz von Thomas Cook ist auch das Bochumer Tochterunternehmen des Reisekonzerns von der Bildfläche verschwunden. Die Gesellschaft für Reisevertriebssysteme (GfR) hat bereits Ende Juni Insolvenz angemeldet. 500 Mitarbeiter waren davon betroffen. Trotz der Zerschlagung bleibt Bochum ein wichtiger Standort für den Tourismusvertrieb.
Zwei andere Callcenter-Betreiber haben jeweils kleine Teile der GfR-Belegschaft übernommen. Von den einst 500 Beschäftigten im Sirius Business Park an der Herner Straße im Stadtteil Riemke hat das Gelsenkirchener Unternehmen Amevida 60 GfR-Mitarbeiter angestellt, darunter nach Auskunft von Amevida-Sprecherin Sabine Haas die komplette IT-Abteilung, Führungskräfte, Trainees und Reiseverkehrsexperten. Die Gelsenkirchener wollen an ihrem Bochumer Standort an der Meesmannstraße ganz in der Nähe der früheren GfR-Zentrale eine Tourismussparte aufbauen. Mittelfristig, so heißt es, peilen sie in diesem Segment einen Umsatz von 20 Millionen Euro an.
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AIC hat frühere GfR-Räume in Riemke übernommen
Ebenfalls GfR-Personal hat ein weiterer Callcenter-Betreiber an Bord geholt. 20 Mitarbeiter haben in diesen Tagen angefangen. Das Kölner Unternehmen AIC des gebürtigen Bochumers Andreas Diederich hat zudem einen Teil der GfR-Räume im Sirius Business Park gemietet und sich dort noch Ausbaukapazitäten gesichert. Auch die Kölner wollen im Tourismusgeschäft wachsen und setzen dabei auf die Kompetenz in Bochum; allen voran auf die des GfR-Gründers.
Callcenter spielen in Bochum eine große Rolle
Die frühere Industriehochburg Bochum hat längst seine stärksten wirtschaftlichen Standbeine in anderen Bereichen: in der Wissenschaft, auf dem Gesundheitssektor und im Dienstleistungsbereich.
Zu den großen Dienstleistern gehören einige Callcenter. Allein bei Kikxxl im Jahrhunderthaus an der Alleestraße arbeiten etwa 300 Beschäftigte im Telefondienst. Neben Amevida, AIC und Syke Enterprises an der Bessemer Straße sind auch das Callcenter des Teleshopping-Senders QVC an der Meesmannstraße vertreten. Insgesamt gibt es in der Branche eine vierstellige Zahl an Arbeitsplätzen in der Stadt.
„Dieses Jahr wird es mit dem Tourismus sicher schwer“, sagt Wolfgang Friedenstein, lange Jahre GfR-Geschäftsführer, nach dem zwischenzeitlichen Verkauf Ende 2019 nicht mehr im Unternehmen und nun wieder in Riemke an Bord. AIC hat ihn unter Vertrag genommen. Im Hinblick auf nächstes Jahr sei er optimistisch. Er wie auch AIC-Chef Diederich ist überzeugt, dass die Insolvenz von GfR zu verhindern gewesen wäre. „Auch wir hätten Federn gelassen. Aber das wäre uns nicht passiert. Wer glaubt, in einer für ihn neuen Branche mal eben alles auf den Kopf zu stellen, der kann sich schnell irren.“
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Verkauf an Fondsgesellschaft Ende 2019
AIC hatte schon im Vorjahr seine Fühler nach GfR ausgestreckt. Das Unternehmen gehörte zu einem Kreis von angeblich 25 Kaufinteressenten. Den Zuschlag erhielten andere. Kurz vor Weihnachten 2019 hatte der LEO II. Fonds mit Sitz in München die Thomas-Cook-Tochter gekauft. Zu diesem Zeitpunkt haben die Bochumer als Callcenter die Kunden von Online-Reiseportalen, Veranstaltern, Reisevermittlern und Reisebüros betreut. Im Jahr 2018 hatten sie einen Umsatz von 27 Millionen Euro erzielt. Anders als der Mutterkonzern war das Tochterunternehmen damals nicht insolvent.
Schon Ende März 2020, kurz nach Beginn der Coronakrise, drohte dann das jähe Aus. Die GfR stellte einen Insolvenzantrag und wollte sich in Eigenverwaltung sanieren. Drei Monate später wurde der Geschäftsbetrieb eingestellt. „Jetzt fangen wir wieder von vorne an“, sagt Wolfgang Friedenstein.
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Auch Tekomedia-Mitarbeiter wechseln
Wie Mitbewerber Amevida setzt AIC dabei nicht nur auf den Tourismus. Beide haben mehrere Standbeine – in der Energieversorgung, dem Automotive-Sektor, im öffentlichen Bereich. „Deshalb können wir auch jetzt zur Überbrückung Tourismus-Mitarbeiter in anderen Bereichen einsetzen“, heißt es in beiden Häusern.
In Bochum haben Amevida wie AIC ehrgeizige Ziele. „Wir haben bereits einige neue Kunden gewonnen und stehen vor weiteren vielversprechend Abschlüssen“, sagt Uwe Böckem, Standortleiter von AIC in Riemke. Zu den neuen Kunden gehören auch die Stadtwerke Bochum, die von Oktober an ihr Callcenter-Geschäft von AIC erledigen lassen. Von der Bochumer Tekomedia, die bislang den Auftrag inne hatte, übernimmt sie 30 Beschäftigte.
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