Bochum. Trainer Thomas Letsch vom VfL Bochum erklärt im Interview, warum er einmal dünnhäutiger war, spricht über Druck, Erwartungen, Weiterentwicklung.
Es ist Länderspielpause, erst am Sonntag, 26. November, spielt der VfL Bochum wieder in der Bundesliga, es geht zum FC Heidenheim. Trainer Thomas Letsch nahm sich Zeit für ein großes Interview mit der WAZ.
Herr Letsch, elf Spiele sind rum, der VfL Bochum hat neun Punkte. Wie fällt Ihre Bilanz nach einem Drittel der Saison aus?
Unter dem Strich können wir mit der Punktausbeute nicht zufrieden sein, aber es ist wichtig etwas differenzierter auf die Spiele zu schauen. Wir haben in zwei Spielen keine Chance gehabt, das war gegen Stuttgart und gegen München. Gegen Mönchengladbach haben wir eine schwache erste Hälfte gespielt. Wir haben gegen Freiburg auf „unglückliche“ Art und Weise knapp verloren und sechs Unentschieden geholt. Von denen hätten wir gegen Mainz gewinnen sollen, gegen Köln gewinnen müssen, gegen Augsburg, Dortmund und Frankfurt gewinnen können. Gegen Leipzig kommt ein vielleicht glücklicher Punkt dazu, in Darmstadt haben wir gewonnen. Wenn man das zusammennimmt, hätten wir drei, vier Punkte mehr haben müssen. Dann befänden wir uns jetzt in einer komfortableren Situation. Aber noch einmal: Wir sind selbstkritisch genug, um mit dem bisher Erreichten nicht zufrieden zu sein.
Warum sind es nicht mehr als diese neun Punkte?
Zum einen liegt es daran, dass in der Bundesliga jedes Spiel total offen ist und Kleinigkeiten entscheiden. Nehmen wir unser Spiel gegen Köln, unser vielleicht bestes Spiel der Saison. Wir haben viele Großchancen, machen aber das Tor nicht. Gegen Mainz fehlt uns vielleicht das nötige Glück. Wir kommen aber immer wieder auf das Thema Effizienz. Da sind wir relativ schwach. Umgekehrt haben wir in den ersten Spielen zu viele Gegentore bekommen. Das haben wir jetzt stabilisiert. Positiv formuliert können wir sagen, dass es schwer ist, gegen uns zu gewinnen. Negativ formuliert fehlt uns das letzte Quäntchen. Und dafür sind nur wir verantwortlich, das hat nichts mit Glück oder Pech zu tun.
Letsch: Intern müssen wir kontrovers diskutieren, nur so geht es voran
Vor und nach dem Köln-Spiel wirkten Sie dünnhäutiger als bisher. Stört Sie die die Unruhe im Umfeld?
Ich nehme überhaupt keine Unruhe wahr. Ich lese keine Zeitung, ich lese auch nicht groß Berichte im Internet. Zuletzt habe ich aber mitbekommen, dass geschrieben wurde, ich sei dünnhäutig gewesen oder hätte gereizt reagiert. Es gibt Dinge im Leben, die sind wichtiger als Fußball. Wir sind auch nur Menschen, es gibt ein Privatleben. Manchmal kommt einiges zusammen. Nach dem Darmstadt-Spiel hat es mich geärgert, dass ich das Gefühl hatte, ich müsste mich für den Sieg rechtfertigen. Wenn wir gegen Köln ein ähnlich schlechtes Spiel gezeigt und wir gewonnen hätten, wäre mir das aber lieber gewesen. Da haben mich ein paar Fragen geärgert. Dazu kamen Dinge, die mit der Berichterstattung gar nichts zu tun hatten. Ein paar Dinge gingen mir gegen den Strich, und das wollte ich zum Ausdruck bringen.
Gab es auch intern „Dinge“ nach dem Darmstadt-Spiel, die Sie störten?
Dass wir intern kontrovers diskutieren müssen, das ist völlig normal und wichtig. Nur, wenn du unterschiedliche Meinungen hast, geht es voran.
Letsch: Ich spüre null Komma null mehr Druck - Es geht um den Klassenerhalt
Hat die Erwartungshaltung beim VfL Bochum zugenommen, spüren Sie da mehr Druck?
Ich spüre null Komma null mehr Druck. Ich bin vergangene Saison hier hingekommen und die Mission Klassenerhalt war fast unmöglich. Keiner hat irgendwas auf den VfL Bochum gewettet und wir haben es geschafft. Dieses Jahr sind die Voraussetzungen doch ähnlich. Jeder, der meint, dass Darmstadt und Heidenheim Kanonenfutter sind, der hat keine Ahnung vom Fußball, Entschuldigung. Das sind Mannschaften, die es absolut verdient haben, in der Bundesliga zu spielen. Wenn du jemanden fragst, werden die zwei Mannschaften und wir als Absteiger genannt. Druck mache ich mir nur selbst. Dass die Erwartungshaltung im Umfeld steigt, ist normal. Auch intern gibt es den einen oder anderen, der der Meinung ist, dass wir in dieser Saison eigentlich Zwölfter werden müssten. Wir, die verantwortlich sind, also das Trainerteam, die Mannschaft, die Sportliche Leitung, wir müssen wissen, was wir wollen und was möglich ist.
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Kommt das bei den Fans und im Umfeld nicht an? Sportgeschäftsführer Patrick Fabian sagt es immer wieder, Sie sagen es immer wieder, dass es auch in dieser Saison nur darum geht, in der Liga zu bleiben.
Ich weiß es nicht. Köln kam als Tabellenletzter. Mainz kam als Tabellenletzter. Aber Mainz war in der vergangenen Saison kurz davor, die internationalen Plätze zu erreichen. Die Mannschaft ist nahezu unverändert. Der 1. FC Köln ist der 1. FC Köln. Auch wenn sie vielleicht nicht auf Rosen gebettet sind, haben sie andere Möglichkeiten als wir. Das muss einem einfach klar sein. Ich war vergangene Saison überzeugt davon, dass wir den Klassenerhalt schaffen, ich bin es in dieser noch viel mehr. Deswegen tangiert mich das auch nicht, was im Umfeld los ist. Wir geben hier jeden Tag gemeinsam alles. Es wird auch wieder Phasen geben, in denen die Stimmung nicht so gut ist. In der vergangenen Saison waren wir nach dem Schalke-Spiel abgestiegen, wir waren nach dem Gladbach-Spiel abgestiegen. Ich will nicht, dass wir uns kleiner machen, als wir sind. Ich will aber auch nicht, dass wir die Realität aus den Augen verlieren.
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Hat sich Ihr Team im Vergleich zur Vorsaison weiterentwickelt?
Weiterentwicklung ist ein großes Wort. Wir sind der VfL Bochum und unser Saisonziel ist klar: Wir wollen in der Liga bleiben. Parallel dazu möchte man sich natürlich weiterentwickeln. Wir wollen stabiler sein in der Defensive, wir wollen mehr Torchancen kreieren, wir wollen auch die Spieler weiterentwickeln, gerade die jungen Spieler. Dazu integriert man am besten noch Spieler aus dem Nachwuchs, spielt attraktiven Fußball. Im Idealfall soll alles ineinander greifen. Am Schluss ist es aber das Wichtigste, dass man Spiele gewinnt. Nach dem Frankfurt-Spiel hieß es, dass eine Entwicklung da sei, dass wir besseren Fußball spielen. Diese Wahrnehmung verschwand wieder, nachdem wir gegen die Bayern eine Klatsche bekommen und gegen Mönchengladbach ein schlechtes Heimspiel gemacht haben. Es ist ein schmaler Grat. Mir ist es oft zu schwarz-weiß. Ich sehe im Spiel und im Training einige positive Dinge, dass sich etwas entwickelt.
Welche zum Beispiel?
Wenn ich das Spiel in Augsburg nehme, das Spiel gegen Mainz oder auch das gegen Köln, dann waren wir bei Ballbesitz schon in der Lage, den Gegner zu kontrollieren. Wir haben in der vergangenen Saison unsere ersten Auswärtspunkte am letzten Spieltag vor der Winterpause in Augsburg geholt. Jetzt haben wir bereits dreimal auswärts gepunktet und schaffen es auch, nach Rückständen zurück ins Spiel zu kommen. Die Vergangenheit wird im Rückblick oft besser bewertet, als sie eigentlich war. Gegen Leipzig haben wir 1:0 gewonnen, ein gutes Spiel gemacht. Am Ende aber ging der Ball eben an den Pfosten und von da in die Arme von Manuel Riemann. Jetzt gegen Mainz ging er vom Fuß von Lukas Daschner über die Hände von Manuel Riemann hinweg ins Tor. Das kann man nur bedingt beeinflussen.
Systemfrage: Die Grundprinzipien bleiben immer die gleichen
Die Dreierkette beschäftigt viele Fans und Medien. In dieser Saison stellen Sie zudem während eines Spiels das System häufiger um als in der Vorsaison.
In der vergangenen Saison hatten wir als Grundformation das 4-3-3. Dabei haben wir aber immer wieder Saidy Janko oder Cristian Gamboa nach vorne geschoben und haben dann ein 3-5-2 gespielt. Dieses Jahr haben wir auf dem Papier oft ein 3-5-2 gespielt als Startposition, weil ich der Meinung bin, dass es dadurch klarer ist. Das haben wir jetzt auch leicht modifiziert, stellen zudem während eines Spiels das System mal um. Und ich glaube, das hat auch größtenteils funktioniert. Die Grundprinzipien aber bleiben immer die gleichen.
Gegen Köln aber sah die taktische Herangehensweise mit Viererkette, Sechser, zwei Achtern, schnellen Außenstürmern schon so aus wie im erfolgreichen Saisonfinale. Bleibt es dabei?
In den vergangenen beiden Spielen haben wir etwa nominell mit einer Viererkette gespielt, im Spielaufbau wird diese aber zu einer Dreierkette. Gegen Köln war es ein klasse Spiel, aber wir haben nur 1:1 gespielt. Gegen Darmstadt sind wir es genau gleich angegangen. Da hat es aber im Spiel mit Ball nicht so gut funktioniert. Es heißt also jetzt nicht, dass wir alles wieder so machen wie zum Ende der vergangenen Saison, und alles läuft.
Letsch zur Tendenz bei Vertragsgesprächen: Ja, mir gefällt es hier
Ihr Vertrag läuft im kommenden Sommer aus. Für wie viele Jahre wird er demnächst verlängert?
Natürlich sitzen wir zusammen und tauschen uns darüber aus, was die Zukunft bringt, ob man weiter zusammenarbeiten möchte. Das ist normal, wenn ein Vertrag endet. Wenn der Wunsch von beiden Seiten besteht, sollte man auch eine Lösung finden.
Würden Sie denn gerne verlängern – und im schlechtesten Fall auch mit in die 2. Liga gehen?
Mit der 2. Liga beschäftige ich mich überhaupt nicht, weil ich komplett davon überzeugt bin, dass wir kommende Saison in der Bundesliga spielen werden. Das ist kein Knackpunkt in den Gesprächen. Ich kenne den Verein, der Verein kennt mich. Ich mache mir viele Gedanken, der Verein macht sich viele Gedanken. Dann trifft man eine Entscheidung, von der man überzeugt ist. Das ist viel wichtiger, als irgendeine Entscheidung zu treffen, weil es angeblich schneller gehen muss.
Sport-Geschäftsführer Patrick Fabian sagte, bis zum Jahresende soll die Entscheidung stehen. Nochmal: Wie ist Ihre Tendenz?
Ich komme hier jeden Tag aufs Trainingsgelände mit einem Lachen im Gesicht, weil es mir total Spaß macht, beim VfL Bochum zu arbeiten. Ich habe eine super Mannschaft, einen super Staff. Ich liebe den Ruhrpott, fühle mich hier total wohl. Ich mag Bochum, ich mag die Fans. Ja, mir gefällt es hier.
Im zweiten Teil des Interviews, das am Samstag online hier erscheint, geht es unter anderem um Neuzugänge, die Rückkehr von Losilla und Heidenheim.