Essen. Viele Familien nehmen ihre Kinder mit auf Demos. Doch ist das der richtige Ort für sie? Wir haben mit Eltern und Experten gesprochen.

  • Hunderttausende Menschen sind in den letzten Wochen in NRW gegen Rechtsextremismus auf die Straße gegangen. Darunter auch Eltern mit ihren Kindern.
  • Für die einen ist klar: Kinder mitzunehmen, ist Demokratiebildung. Andere fragen sich: Drücken wir unseren Kindern unsere politische Meinung auf?
  • Sollten Eltern mit ihren Kindern demonstrieren? Darüber haben wir mit Eltern und einem Experten gesprochen.

„Ist eine Demo ein Ort für unseren sechsjährigen Sohn?“, das haben sich Jens (36) und seine Frau gefragt. Sie bezeichnen sich selbst als eher unpolitische Menschen, waren das erste Mal am 1. Februar auf einer Demo in Essen – gegen das Erstarken der AfD und den Kurs des CDU-Chefs Friedrich Merz in Sachen Migrationspolitik. Der gesellschaftliche Rechtsruck macht der Fachkraft für Arbeitssicherheit Sorgen. „Wir hatten nie das Gefühl, Flagge zeigen zu müssen.“ Das habe sich geändert. Zu erschreckend sei für ihn, wie offen sich Menschen rassistisch äußern und wie Politiker im Wahlkampf mit der Angst der Menschen spielen. Für ihn ist klar: „Wir wollen nicht, dass unser Sohn irgendwann fragt, wo wart ihr 2025?“

Als am 29. Januar erstmals Parteien der politischen Mitte einen Antrag mithilfe einer in Teilen rechtsextremen Partei verabschiedet haben, galt das als Tabubruch. Seitdem sind in NRW Hunderttausende Menschen auf die Straße gegangen, um gegen Rechtsextremismus und für Menschenrechte zu demonstrieren – darunter auch Familien mit Kindern. Weitere Demonstrationen und Proteste sind bis zur Bundestagswahl geplant. Für die einen ist ganz klar: Kinder mitzunehmen, ist Demokratiebildung. Andere fragen sich: Drücken wir unseren Kindern unsere politische Meinung auf? Wir haben mit Eltern und einem Experten darüber gesprochen.

Demo mit Familie: Darum gehen Eltern mit ihren Kindern demonstrieren

„Wir nehmen das Schreckgespenst AfD als sehr beängstigend wahr und stehen an einem Punkt, an dem wir uns in unserer persönlichen und politischen Einstellung und Perspektive für unsere Kinder gefährdet sehen“, so Svenja (41). Sie kommt aus Bochum, hat eine fünfjährige Tochter und einen siebenjährigen Sohn. Wenn Eltern demonstrieren gehen, ist natürlich auch die Frage nach der Kinderbetreuung während dieser Zeit stets ein Thema. Doch Jens und Svenja möchten ihren Kindern auch zeigen, wie man politisch wirken und sich im demokratischen Spektrum für das einsetzen kann, was einem wichtig ist. Demokratiebildung also.

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Andere Eltern ziehen bei Demonstrationen eine Grenze: „Meine Tochter soll später selbst entscheiden, welche politische Richtung sie einschlägt und Demonstrationen das Richtige für sie sind. Ich möchte meine Kinder nicht für meine eigenen Interessen einspannen“, findet Julia Müller (40, Name geändert).

Demonstration „Lichtermeer gegen den Rechtsruck“
Hunderttausende Menschen sind in den vergangenen Wochen gegen Rechtsextremismus auf die Straße gegangen. Darunter auch Eltern mit ihren Kindern. (Archivbild) © FUNKE Foto Services | Maurizio Gambarini

Demonstrieren gehört zum Leben in einer Demokratie dazu

„Politik geht alle an, die davon betroffen sind“, sagt Politikdidaktiker Thomas Goll von der TU Dortmund. „Es gibt ein Spektrum politischer Partizipationsmöglichkeiten, das genutzt werden kann, um der eigenen Stimme Ausdruck zu geben. Demonstrieren ist ein völlig legitimer politischer Akt, der grundrechtlich geschützt ist und zum Leben in einer Demokratie dazugehört.“ Das steht laut Kinderrechtskonvention auch Kindern zu. „Allerdings mit der Einschränkung, dass Kinder in Sphären hineinwachsen, für die sie erst Verständnis entwickeln.“

Foto Thomas Goll TU Dortmund

„Demonstrieren ist ein völlig legitimer politischer Akt, der grundrechtlich geschützt ist und zum Leben in einer Demokratie dazugehört.“

Thomas Goll, Politikdidaktiker an der TU Dortmund

Genau da komme die Eigenverantwortung der Eltern ins Spiel. „Eltern müssen sich die Frage stellen, ob das, wofür sie auf die Straße gehen, auch im Interesse der Kinder stattfindet.“ Das bedeutet sich mit der Art der Demo auseinanderzusetzen, aber vor allem mit den Kindern zu besprechen, worum es eigentlich geht. Stellen Kinder in diesem Diskurs fest, dass sie das nicht wollen, sollten Eltern das akzeptieren.

Wer sich entscheidet, mit seinen Kindern auf eine Demo zu gehen, sollte sich vorher erkundigen, worum es geht und welche Gruppen möglicherweise aufeinandertreffen. (Archivbild)
Wer sich entscheidet, mit seinen Kindern auf eine Demo zu gehen, sollte sich vorher erkundigen, worum es geht und welche Gruppen möglicherweise aufeinandertreffen. (Archivbild) © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez

Bei Unsicherheiten im Umgang mit schwierigen Themen können Eltern auch auf bestehende Medienangebote zurückgreifen. So kann Checker Tobi den Mauerfall erklären oder Logo die Kinder über tagesaktuelle Nachrichten informieren: „Unsere Kinder sind sehr interessiert an Medien wie Bücher und Kindernachrichten, die ihnen die Welt erklären“, sagt Svenja.

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Kinder haben einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit

„Häufig unterschätzen wir, wie viel Kinder vom politischen Geschehen mitbekommen und denken, dass wir Kinder überfordern. Sie leben aber in keiner politikfernen Welt und diskutieren sehr wohl über gesellschaftliche Zusammenhänge“, erklärt Goll. Besonders ihr Sinn für Gerechtigkeit sei früh ausgebildet. Kinder ernst zu nehmen, in dem, was sie denken, sei dabei zentral. Eine erste Frage kann sein: „Habt ihr was mitbekommen?“

Wahlplakate
Der Wahlkampf ist für viele Familien Anlass, sich über Politik zu unterhalten. © imago/Chai von der Laage | IMAGO/Gladys Chai von der Laage

Bereits der Wahlkampf an sich, war für Svenja und Jens Anlass, mit ihren Kindern über Politik zu sprechen. „Warum hängen plötzlich Gesichter an den Straßen und wer ist das?“, wurden sie von ihren Kindern gefragt. „Anhand des Gruppensprechers in der Kita haben wir erklärt, was Politik, Wahlen und Teilhabe bedeutet“, erzählt der 36-Jährige. „Für meinen Sohn ist das ein heiliges Amt, denn die Person darf Anliegen bei der Kitaleitung vortragen.“ Ein Einstieg in die parlamentarische Welt. Und auch nach der Demo gingen die Gespräche weiter. Gemeinsam haben sie Plakate bemalt, wie sie es zuvor bei anderen gesehen haben. Hauptthema: Was ist seinem Sohn wichtig? „Für ihn war das besonders der Tierschutz.“

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Eltern sollten mit ihren Kindern ins Gespräch kommen

Ausgrenzung und Rassismus sind hingegen seit der Demo vermehrt Thema bei Svenja Zuhause. „In der Kita sind viele Kinder mit Migrationsgeschichte. Dass sie ausgegrenzt werden, weil sie anders aussehen oder einen anderen Nachnamen haben, will meine Tochter nicht.“ Die Fünfjährige zog darauf einen Vergleich: „Das wäre wie bei Maria und Joseph, die auch keine Herberge gefunden haben. Das wäre doch nicht fair, wenn man Menschen nicht reinlassen würde, wenn sie in Not sind.“

Gesellschaftliche Phänomene mithilfe von Fallbeispielen verständlich zu machen, werde auch in der politischen Bildung empfohlen, erklärt Goll. „Im Anschluss sollten die Beispiele aber auf eine allgemeine Ebene gebracht werden und auch die Ursachen behandelt werden.“

Erst wer Politik lebe, komme dem Politischen auch nahe. „Andernfalls wird nicht verstanden, dass wir selber als Bürger und Bürgerinnen die Demokratie tragen.“ Beim Demonstrieren gehe es also auch um das Gefühl von Selbstwirksamkeit. Welche nachhaltigen Effekte es hat, wenn Kinder auf Demos gehen, dazu gebe es bislang keine Längsschnittstudien. Aber: „Oft haben Menschen, die politisch aktiv sind, auch einen Hintergrund, der politisch aktiv war.“

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