Duisburg. Die AfD gewinnt ausgerechnet im Duisburger Norden an Zuspruch. Ein Forscher erklärt, wie sie etwa um türkeistämmige und russlanddeutsche Wähler wirbt.
Im von Armut und Migration geprägten Duisburger Norden konnte die AfD bei der Europawahl 2024 die Stimmenmehrheit in zwei Stadtbezirken und etlichen Nachbarschaften erringen. Bei der Bundestagswahl wird die Partei dort, im Wahlkreis Duisburg II, besonders viele Stimmen gewinnen, selbst ein Direktmandat ist nicht ausgeschlossen. Wie erklärt ein Wissenschaftler diesen großen Zuspruch für eine in Teilen rechtsextreme Partei mit neoliberalem Wirtschaftsprogramm – ausgerechnet dort, wo viele arme und diskriminierte Menschen leben?
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Viele Menschen im Duisburger Norden „müssten rein rational betrachtet eher eine Umverteilungspartei wählen, nicht die AfD“, sagt Dr. Conrad Ziller vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Duisburg-Essen. Benachteiligte Bürger würden von einer Umverteilung des Wohlstandes schließlich langfristig am ehesten profitieren.
Forscher: Benachteiligte erhoffen durch migrationsfeindliche AfD Aufwertung des eigenen Status
Allerdings sind Wahlentscheidungen oft und zunehmend emotionalisiert. In Neumühl und Marxloh, Meiderich und Beeck haben mutmaßlich viele Menschen das „Gefühl, abgehängt und benachteiligt zu werden, keine Kontrolle mehr zu haben“, erläutert Ziller.
Das liege auch daran, dass es dort viele prekäre Wohnlagen „mit sichtbarer sozialer und räumlicher Armut gibt. Dort investieren der Staat und Privatleute weniger. Duisburg hat strukturelle Probleme, und die Wahrnehmung vieler Bürger ist, dass es schlechter wird.“
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Die AfD verstehe es, über ihre beiden Großthemen – „Anti-Elitismus“ und das Narrativ von der Gefahr durch Zuwanderung – an ein „erschüttertes Sicherheits- und Selbstwertgefühl benachteiligter Menschen anzudocken“, erklärt der Wissenschaftler. „Der Zuwachs an Verbesserung durch eine mögliche linke Regierung ist aus Sicht vieler Betroffener zu gering, sie würden am unteren Ende der Gesellschaft bleiben. Durch eine migrationsfeindliche Partei erhoffen sie eine Aufwertung des eigenen Status.“ So würden auch Zugewanderte der ersten Genrationen gegen Neuankömmlinge ausgespielt.
AfD wirbt um Stimmen Türkeistämmiger und Russlanddeutscher
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Die AfD verfolge sogar eine spezielle Strategie, um Menschen mit türkischer Einwanderungsgeschichte gezielt anzusprechen. Sie wettere über soziale Medien gegen „Die da oben“, die „Altparteien“ und illegale Zuwanderung, so Ziller. In konservativen Milieus Türkeistämmiger könne die Partei an Nationalismus anknüpfen und an den Wunsch nach einer starken, autoritären Führung.
Ebenso bei vielen Russlanddeutschen. Unter diesen sei es „beinahe schon etabliert, die AfD zu wählen“. In dieser Gruppe verfange das AfD-Narrativ der Friedenspartei wegen Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine nun besonders gut.
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„Es geht der AfD wie allen rechtspopulistischen Parteien Europas darum, neue Wählerpotenziale abzuschöpfen, indem sie gegen die politische Mitte Stimmung macht und einfache Lösungen verspricht“, erklärt Conrad Ziller. Darum plakatiere sie verstärkt in ärmeren Gegenden und nutze ihren Reichweiten-Vorsprung in sozialen Medien wie TikTok. „Da kann sie Jüngere an sich binden, ohne direkt erkennbar politisch zu kommunizieren.“
Ziel der AfD sei es, einen „Informationssmog“ zu erzeugen und alles infrage zu stellen: „In Städten und Kreisen wird Konstruktivität bewusst gestört. Je stärker man die Leute mit diesem Informationssmog belastet, desto eher entwickelt sich das Gefühl fehlender Selbstwirksamkeit, desto eher sind die Menschen empfänglich für einfache, oft nicht umsetzbare Lösungen.“ Die AfD habe es dabei besonders einfach: „Sie kann immer dagegen sein, weil sie anders als die anderen Parteien keine Mehrheiten benötigt.“
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>> Dr. Conrad Ziller, Universität Duisburg-Essen (UDE)
- Dr. Conrad Ziller arbeitet als Akademischer Rat am Institut für Politikwissenschaft (Arbeitsgruppe Empirische Politikwissenschaft) der Universität Duisburg-Essen. Seine Forschungsinteressen sind unter anderen Zuwanderung und Integration, politisches Vertrauen und sozialer Zusammenhalt.
- Ziller leitet und leitete von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und Thyssen Stiftung geförderte Forschungsprojekte zur Rolle von Nachbarschaften bei der Integration von Zugewanderten sowie zu Krisen, Emotionen und Demokratie.