Essen. Auf vielen Demos sind auch Familien mit Kindern unterwegs. Eine gute Idee? Wir haben eine Expertin gefragt – und die Kinder selbst.
- Viele Eltern überlegen: Sollen die Kinder mit zur Demo oder lieber nicht?
- Eine Expertin sagt: Kinder können von einer Teilnahme profitieren...
- ...es gibt aber auch Gründe, die dagegen sprechen.
- Diesen Text haben wir während der Demonstrationswelle Anfang 2024 zum ersten Mal veröffentlicht.
Dass es Erwachsene gibt, die meinen, Demos seien nichts für Kinder, kann die 14-jährige Ida nicht verstehen. Sie sagt: „Ich finde, dass Demos gerade für Kinder und Jugendliche wichtig sind! Es ist ja der einzige Weg, wie Kinder sich für etwas einsetzen können, das ihnen wichtig ist. Erwachsene können wählen, das dürfen Kinder nicht.“
So wie Ida scheinen das viele Kinder und Jugendliche zu sehen. Spätestens seit „Fridays For Future“ ist das nichts Neues. Und nicht nur für das Thema Klimaschutz gehen viele Kinder und Jugendliche auf die Straße. In den letzten Tagen machten Schüler und Schülerinnen aus ganz NRW bei Protesten deutlich, wie unzufrieden sie mit dem Bildungssystem sind. Überall im Land äußerten sich Jugendliche, aber auch schon Kinder aus den unteren Jahrgangsstufen, mit sehr klaren Statements und Forderungen zu diesem Thema.
Eltern sollten mögliche Gefährdungen ausschließen
Auch bei den Demos gegen Rechtsextremismus und für Demokratie und Menschenrechte sind viele Familien dabei – und damit auch viele Kinder. In Essen und Dinslaken riefen zuletzt Schülerinnen und Schüler selbst zu Demonstrationen auf. Trotzdem haben manche Erwachsene ein Störgefühl, wenn Familien ihre Kinder mit auf Demonstrationen nehmen. Und auch viele Eltern machen sich vorher Gedanken, ob der Nachwuchs dabei sein sollte oder nicht.
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Hanna Busch ist Kinderpsychologin und leitet das Jugendpsychologische Institut der Stadt Essen (JPI). Sie rät, zunächst die mögliche Gefahrenlage einer Demo zu bewerten. „Besuche von Demonstrationen können sehr unterschiedlich gestaltet sein und demnach auch unterschiedlich hinsichtlich der Familientauglichkeit.“ Besonders mögliche Gefährdungen wie Zusammenstöße mit anderen Gruppierungen, der Polizei oder eine zu enge Menschenversammlung sollten Eltern ausschließen können, bevor sie sich entscheiden, ihre Kinder mitzunehmen, so die Expertin.
Kinder können von der Teilnahme profitieren
Grundsätzlich sieht die Kinderpsychologin aber auch positive Effekte für Kinder, die an einer Demo teilnehmen möchten. Denn die Teilnahme an Demonstrationen könne ein Gefühl von Selbstwirksamkeit und folglich von Bedeutsamkeit bei den Kindern erzeugen. „Besonders in traurigen, schockierenden, beängstigenden gesellschaftlichen Episoden, wie wir sie in den vergangenen Jahren erleben, können psychischen Belastungen Folge von Ohnmachtsgefühlen und dem Gefühl von Hilflosigkeit sein“, so die Expertin.
„Aktiv werden zu können, das Gefühl von Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns, vom Gehört und Gesehen werden, können dem Gefühl von Ohnmacht entgegen wirken und sich folglich positiv auf die psychische Gesundheit auswirken.“ Kurz: Es tut oft gut, wenn man das Gefühl hat, etwas tun zu können, nicht mehr nur hilflos zusehen zu müssen, bei einem Thema, das einem Sorgen macht. Das gilt für Kinder genauso wie für Erwachsene.
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Und dass auch Kinder das politische Geschehen oft schon ebenso aufmerksam im Blick haben wie Erwachsene, zeigt sich auch im Gespräch mit ihnen: Frederik (9) und Jonathan (12) aus Essen waren beide schon auf mehreren Demos gegen Rechtsextremismus dabei. Und sie wissen, warum ihnen das wichtig ist. Beide hätten schon Bücher über die Zeit des Nationalsozialismus gelesen, erzählen sie. Und sie sind sich einig: „So etwas darf nie wieder passieren!“
Eltern sollten mit ihren Kindern ins Gespräch kommen
Auch die Kinder in einer sechsten Klasse des Essener Grashof Gymnasiums können sehr genau formulieren, warum sie bei einer von Essener Schülerinnen und Schülern organisierten Demo dabei sein werden: „Weil es egal sein sollte, wie ein Kind ist, wo es herkommt, wie es sich kleidet, oder in wen es sich später mal verliebt“, sagen sie. Und: „Damit jedes Kind so sein kann, wie es will!“ – „Damit alle Kinder gleiche Chancen haben.“ – „Damit alle Kinder glücklich sind.“
Eltern, die darüber nachdenken, ob ihre Kinder schon mit zu einer Demo kommen sollten oder lieber nicht, könnten also zunächst mal mit ihren Kindern ins Gespräch kommen. Aber ab welchem Alter geht das eigentlich? Kinderpsychologin Hanna Busch sagt, eine genaue Altersgrenze zu benennen, sei da sehr schwierig, denn Kinder seien hinsichtlich ihrer Interessen, Neugierde, Neigung zu Sorgen und Ängsten sehr unterschiedlich. Sie rät: „Eltern sollten die Fragen ihrer Kinder beantworten und im Gespräch gemeinsam herausfinden und erklären, wo und warum sie gemeinsam an Veranstaltungen teilnehmen.“
Dabei sei es aber wichtig, nicht nur die eigenen Werte zu vermitteln, sondern den Kindern zu ermöglichen, eine eigene Meinung zu entwickeln. Eltern könnten zum Beispiel „die Argumente verschiedener ,Streitparteien‘ erläutern“, so die Expertin. Bei Unsicherheiten im Umgang mit schwierigen Themen könnten auch Beratungsstellen hinzugezogen werden. Und ganz wichtig: „Gegen den Willen des Kindes sollte keine Teilnahme an Demonstrationen stattfinden.“
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