Düsseldorf. Die Demokratie ist in Gefahr, aber der Politikunterricht spielt kaum eine Rolle an den Schulen in NRW. Forscher fordern ein Umdenken.

Die politische Bildung steckt in einer tiefen Krise, warnten Experten am Mittwoch in einer Anhörung des NRW-Landtags. Immer weniger Menschen lernten in der Schule oder in ihrer Freizeit, wie wichtig die Demokratie ist und dass man abweichende Meinungen respektieren muss. Ausgerechnet in einer Zeit, in der Populisten vereinfachte Botschaften streuen, erreiche die politische Bildung die Menschen oftmals nicht mehr oder erst dann, wenn es schon zu spät sei. „Wir müssen in jene Viertel gehen, in denen Wut, Angst und Hass die Diskussion prägen“, forderte Maria Springenberg-Eich von der Landeszentrale für politische Bildung.

Politische (Hass-)Botschaften verbreiten sich heute online rasend schnell, während der angestaubte Politikunterricht in den Schulen immer mehr unter Druck gerät. Zwölf Experten rieten der Landespolitik am Mittwoch, die politische Bildung für Kinder, Jugendliche und Erwachsene massiv zu stärken. Sie nannten vier Gründe, warum die politische Bildung unter Druck gerät:

1.) Meinungsmacher verbreiten Hassbotschaften unter Jugendlichen

„Memes“ können einfach nur witzig sein, aber auch brandgefährlich, warnt Sebastian Schmitz, Politikwissenschaftler an der RWTH Aachen. „Memes“ sind Bilder, die mit frechen Sprüchen versehen werden und die viele Jugendliche und Erwachsene per Smartphone gern mit Freunden teilen. Leider nutzten Meinungs-Manipulateure die „Memes“ dazu, Hass zu verbreiten. Da ist zum Beispiel eine Patronenhülse zu sehen mit dem Satz: „Auch ein Salafist sollte etwas im Kopf haben.“ Viele Jugendliche würden jede Woche Dutzende solcher Bilder bekommen und weiterleiten, so Schmitz. Politiklehrer und andere Pädagogen seien kaum in der Lage, auf solche Herausforderungen zu reagieren, hörten die Mitglieder der Landtags-Enquète-Kommission zur Stärkung der parlamentarischen Demokratie.

2.) Politische Bildung beginnt viel zu spät

Viel früher als heute müsste die politische Bildung einsetzen. Am besten schon in der Kita, findet Maria Springenberg-Eich von der Landeszentrale für politische Bildung. Politik dürfte auch nicht mehr in großen Zeitabständen oder von fachfremden Lehrern unterrichtet werden, sagen die Experten. Politische Bildung sei zudem keine Angelegenheit für Gymnasiasten, sondern genauso eine für Grund-, Haupt- oder Berufsschüler.

3.) Wirtschaft genießt an Schulen mehr Wertschätzung als Politik

Bettina Zurstrassen von der Deutschen Vereinigung für politische Bildung kritisierte die Stärkung des Schulfaches Wirtschaft in NRW: „Der Wechsel zu einem Schulfach Wirtschaft-Politik ist eine Kannibalisierung zu Lasten der politischen Bildung“, sagte die Professorin. Themen wie Migration, soziale Ungleichheit und Extremismus würden nicht mehr angemessen in den Lehrplänen berücksichtigt. Prof. Andrea Szukala von der Uni Münster erklärte, es gebe an den Schulen immer mehr Wirtschafts-Projekte, zum Beispiel Schüler-Cafés, die betrieben werden, um Abi-Feiern finanzieren zu können. Politische Projekte hätten einen ähnlichen Stellenwert verdient.

4.) Kommunalpolitik wird stark vernachlässigt

Ausgerechnet das aus Sicht der Fachleute so wichtige Thema Kommunalpolitik sei in der politischen Bildung „völlig unterbelichtet“, warnt Prof. Thomas Goll, Sozialwissenschaftler an der Technischen Universität Dortmund. Goll: „Wir werden bei der Kommunalwahl 2020 in NRW sehen, dass Parteien Probleme bei der Besetzung von Räten haben werden.“ Viel zu wenige Menschen interessierten sich für Kommunalpolitik.

Prof. Bettina Zurstrassen forderte insgesamt mehr Wertschätzung für die politische Bildung. „Wir haben nur eine Demokratie“, mahnte sie.