Ruhrgebiet. Am Montag haben praktisch alle Geschäfte wieder geöffnet, die das durften. Inhaber freuen sich: „Ich lebe wieder.“ Aber mancherorts wurde es eng.

Fehlt nur noch das Schild, das Schild fürs Schaufenster mit dem „Geöffnet“, es ist noch nicht geliefert. Aber bei Sabine Mallach-Mengel steht ja eindeutig schon mal die Tür auf, direkt in ihren „Blickfang“, ihr Geschäft in Bochum-Weitmar für Wohnaccessoires und Geschenkartikel. „Man freut sich total, jetzt geht es wieder los“, sagt die Chefin und prüft die letzten Kleinigkeiten: „Das Karten-Lesegerät ist auch wieder erwacht.“ Zehn Minuten nach der Öffnung wird sie es erstmals wieder brauchen, die erste Kundin kauft, Carolin Donath. Eine Kundin! „Nur online einzukaufen ist ja auch keine Lösung, und draußen sterben dann alle Geschäfte aus“, sagt sie.

Am Montag ist genau das Gegenteil passiert, haben nach fünf Wochen die meisten Geschäfte des Ruhrgebiets wieder geöffnet, auch jene, die, bei allem gebotenen Respekt, nicht überlebensrelevant sind. In den Innenstädten haben sie geöffnet, in den Vororten, in den Einkaufszentren. Letztere freilich nur „ganz gemütlich“, wie Marcus Remark sagt, der Center-Manager des Centro: Manche Läden liegen über den zulässigen 800 Quadratmetern Verkaufsfläche, andere feilen noch am Hygienekonzept, dritte haben noch Mitarbeiter in Kurzarbeit.

Schon am Wochenende haben Inhaber dekoriert, desinfiziert und umgeräumt

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Aber über alles gesehen, sind jetzt rund 90 Prozent der Geschäfte wieder da. Man konnte das kommen sehen, schon am Wochenende hatte der Weg aus dem Schlamassel begonnen: Verklebte Schaufenster waren plötzlich wieder frei, Inhaber dekorierten und desinfizierten hinter verschlossenen Türen, sie putzten, räumten um – zum wievielten Mal eigentlich in diesen fünf Wochen? Jedenfalls: Auch die deprimierenden „Wegen der aktuellen Lage-“Aushänge sind weitestgehend verschwunden, sind ersetzt durch Aufsteller und Ausdrucke wie „Wir sind wieder da“ oder „Wir freuen uns auf ein Wiedersehen.“ Und die Kunden? Die erschienen sind, die freuen sich auch.

Auch Buchhändler, Babymärkte und Möbelhäuser dürfen öffnen

Zusätzlich zu den Geschäften, die bisher geöffnet waren – u.a. Lebensmitteleinzelhandel, Drogeriemärkte, Apotheken, Baumärkte – dürfen ab Montag, 20. April alle Geschäfte mit einer Verkaufsfläche von bis zu 800 m² wieder öffnen. Wie die Landesregierung mitteilt, dürfen in Nordrhein-Westfalen unabhängig von der Größe zusätzlich auch Kfz-Händler, Fahrradhändler, Buchhändler, Einrichtungshäuser und Baby-Fachmärkte unter bestimmten Auflagen öffnen.

Alle Einrichtungen müssen geeignete Vorkehrungen zur Hygiene, zur Steuerung des Zutritts, zur Vermeidung von Warteschlangen und zur Gewährleistung eines Mindestabstands von 1,5 Metern zwischen Personen treffen. Dabei darf sich nur ein Kunde pro zehn Quadratmeter Verkaufsfläche im Laden befinden.

Einkaufszentren und Shopping Malls dürfen öffnen, damit die Geschäfte, die darin liegen, aufgesucht werden können. Auch die Gastronomie darf für den Außer-Haus-Verkauf geöffnet sein. Aber: Der Verzehr von Speisen und Getränken ist im gesamten Einkaufszentrum untersagt.

Das Hannibal-Gelände im Bochumer Norden heißt nicht zufällig so: Denn da reiht sich Großmarkt an Großmarkt. Manche hatten immer auf wie „Real“, andere sind erstmals wieder dabei wie das große Einrichtungshaus „Poco“. Ein Angestellter steht im Eingang, verteilt Zugangskarten, 424, 425, 426, „bitte an der Kasse wieder abgeben“, aber ein Rückstau will sich zunächst nicht bilden, und auch drinnen ist es, naja, nicht leer, aber noch weniger voll. Wenn man das so sagen kann.

Hygieneregel gegen Kugelschreiber: „Wir akzeptieren Verträge ohne Unterschrift“

Vor einem riesengroßen Fahrradgeschäft in Bochum stehen am Montagmittag die Kunden Schlange.
Vor einem riesengroßen Fahrradgeschäft in Bochum stehen am Montagmittag die Kunden Schlange. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Vor der Tür hängen die Hygiene-Regeln, erweitert um diejenige, nicht mit einem Stift zu unterschreiben. „Wir akzeptieren Verträge ohne Unterschrift“, schreibt das Möbelhaus. Bei „Fahrrad XXL Meinhövel“ nebenan gilt Maskenpflicht, „sonst sprechen Sie uns an“, steht auf einem Schild. Hier allerdings sind die ersten Warteschlangen schon morgens aufgelaufen. Offenbar haben die Leute nach fünf Wochen eher Ausflug im Kopf als Schrankwand. Kann man auch verstehen.

Im Laufe der nächsten Stunden werden sich vor allem die Innenstädte spürbar füllen, werden mehr Schlangen entstehen und dann doch auch manches Gedränge. Über den Dortmunder Westenhellweg rollen irgendwann Streifenwagen, um nach der Abstandsregel zu gucken; und in Herne würde sich die Kundin Evelyn Magerkohl gerade wünschen, dass mehr Leute aufpassten. Jetzt kauft sie nur das Nötigste: „Man muss es ja nicht überstrapazieren.“

„Ich freue mich, ich habe das vermisst, auch mal wieder rauszugehen“

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In dem Laden, in dem Edith Koch mitarbeitet, hat sie auch vorgesorgt, die studierte Biologin. „Ich habe eigentlich gedacht, es dauert noch länger“. Im diesem Laden „Schnickschnack“ also verkaufen acht Teilhaber ihre selbst hergestellten Dekoartikel, Körbe aus Altpapier, Puppen, Kinderkleidung, solche Sachen; im Eingang stehen Desinfektionsmittelflaschen, liegen Einmalmasken zur gefälligen Benutzung. Die Woche haben sie sich aufgeteilt, immer ist nur einer da. Aber bei aller Vorsicht sagt auch Edith Koch: „Ich freue mich, ich habe das vermisst, auch mal wieder rauszugehen.“ Die Holzfiguren, die es hier gibt, die tragen jetzt auch Masken.

Freilich haben all die kleinen Händler in den Vororten keine großen Erwartungen, was den Kundenandrang betrifft. „Die Frauen können sich nicht zeigen, können nicht essen gehen, nicht ins Theater gehen. Für Zuhause reicht, was sie im Schrank haben“, sagt Lucia Böhmer in ihrer Boutique „La Lucia“ in Weitmar-Mark.

„Man hat schon so viele Krisen überlebt“

Raumausstatter Dirk Kasche beklagt, was den Umsatz mit Verkäufen angeht, einen Rückgang um 80 Prozent in den fünf Wochen Schließzeit. Als Handwerker konnte er durcharbeiten.
Raumausstatter Dirk Kasche beklagt, was den Umsatz mit Verkäufen angeht, einen Rückgang um 80 Prozent in den fünf Wochen Schließzeit. Als Handwerker konnte er durcharbeiten. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Aber natürlich freut sie sich, wieder zu öffnen: „Ich lebe wieder!“ Wie nebenan Dirk Kasche, der als Kaufmann und Raumausstatter sozusagen an einer Schnittstelle saß: Alles Handwerkliche durfte er in den Wohnungen der Kunden tun, alles Verkäuferische im Ladenlokal nicht. „Man hat schon so viele Krisen überlebt.“

In vielen Geschäften ist dieser Montag jedenfalls ein Gute-Laune-Tag. Und ganz hoch am Himmel fliegt gerade ein Flugzeug, zieht einen weißen Streifen auf perfektem blauem Grund. Ein Flugzeug? Manche Leute bleiben stehen, gucken wahrhaftig hoch. Hat man auch lange nicht mehr gesehen.

So lief es in den Städten des Ruhrgebiets