Essen. Ab Montag dürfen kleinere Läden wieder öffnen. Kik und Tedi profitieren, Karstadt und Sinn bleiben zu. Handel spricht von Wettbewerbsverzerrung.
Die Entscheidung von Bund und Ländern, dass ab Montag nur Geschäfte mit bis zu 800 Quadratmetern Verkaufsfläche wieder öffnen dürfen, sorgt im Einzelhandel für Unverständnis und scharfe Kritik. „Die Hoffnung der Händler wurde mit einem Schlag pulverisiert.
Die Stimmung kippt“, sagte Marc Heistermann, Geschäftsführer des Handelsverbands Ruhr, unserer Redaktion. Friedrich Goebel, Chef der Hagener Modehauskette Sinn, spricht von einem „Skandal“ und wirft den verantwortlichen Politikern vor, „kopflos“ zu sein. Eine Sondergenehmigung erteilte NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) am Nachmittag für Einrichtungshäuser wie Ikea und Babyfachmärkte.
Händler aus dem Ruhrgebiet sind besorgt
Die ersten Anrufe besorgter Händler aus dem Ruhrgebiet erreichten Heistermann bereits im Morgengrauen. „Wir haben alle Hoffnungen auf den 20. April gesetzt“, sagt der Manager des Handelsverbands Ruhr. Mit der Pressekonferenz der Kanzlerin am Mittwochabend seien sie jäh geplatzt.
Auch fünf Wochen nach dem Corona-Shutdown dürfen nur Läden bis 800 Quadratmeter Verkaufsfläche öffnen. „Die größeren Händler fürchten doch genauso um ihre Existenz wie die kleinen“, sagt Heistermann. „Sie haben das Gefühl, Politik wirft ihnen Knüppel zwischen die Beine.“
Sinn-Chef: "Das ist Wettbewerbsverzerrung in reinster Form"
Das sieht auch Friedrich Goebel so. Der knorrige Manager hat gerade erst die traditionsreiche Textilkette Sinn zurück auf die wirtschaftliche Erfolgsspur gebracht. In der Essener Innenstadt wollte er im März direkt neben dem Kaufhof eine 3200 Quadratmeter große Filiale eröffnen – bis Corona kam. Nach der Entscheidung von Bund und Land, den Einzelhandel nur ganz langsam hochzufahren, ist Goebel empört. „Dies ist Wettbewerbsverzerrung in reinster Form durch den Staat. Wir werden das Thema Staatshaftung prüfen lassen“, kündigt er an.
„Warum ist die Ansteckungsgefahr in einem Geschäft unter 800 Quadratmetern geringer als in einem größeren Laden?“, fragt der Sinn-Chef und gibt die Antwort in einem Brief an seine Mitarbeiter gleich selbst: „Die Wahrheit ist, dass die Möglichkeit in einem größeren Geschäft die Anstandsregeln einzuhalten, besser als in kleinen Läden ist.“
Goebel kündigt an, dass sein Unternehmen „gegen diese willkürlichen Maßnahmen aufbegehren“ werde und bittet seine Mitarbeiter, dabei mitzuhelfen: „Rufen Sie Ihren Bürgermeister, Ihren Landtagsabgeordneten, Ihren Gewerkschaftsvertreter an.“
Händler denken an Abtrennung von Flächen
Kanzlerin und Ministerpräsidenten wollen verhindern, dass durch eine frühzeitige Öffnung großer Läden zu viele Menschen in die Innenstädte und Einkaufscenter strömen und dadurch das Infektionsrisiko wieder steige. Unter der Größenbeschränkung leiden vor allem der Warenhauskonzern Galeria Karstadt Kaufhof, der sich bereits in ein Schutzschirmverfahren gerettet hat, aber auch Ketten wie Sinn, Primark, P&C oder Zara.
Um ihnen weitere Umsatzverluste zu ersparen, bringt Handelsverband-Geschäftsführer Heistermann eine Variante ins Spiel, über die jetzt etliche Händler nachdenken werden: die vorübergehende Verkleinerung der Verkaufsfläche durch Abtrennung bestimmter Abteilungen. Gesundheitsminister Laumann signalisierte aber am Donnerstag Ablehnung.
Was mit Einkaufszentren im Ruhrgebiet passiert, ist offen
Ob die kommunalen Ordnungsämter da mitspielen, ist allerdings offen. Ebenso die Frage, was in den zahlreichen Einkaufszentren des Ruhrgebiets passieren wird. Bislang dürfen hier nur Lebensmittel- und Drogeriemärkte, Reformhäuser und Apotheken öffnen. Was die Lockerungen ab Montag für die Malls bedeuten, muss die Landesregierung gesondert regeln. „Wir warten aktuell auf die konkrete und verbindliche Verfügung der Landesregierung“, sagte Unibail-Rodamco-Westfield-Sprecher Julian Kalcher unserer Redaktion.
Das Unternehmen betreibt unter anderem das Centro in Oberhausen, den Ruhr-Park in Bochum, das Palais Vest in Recklinghausen und die Düsseldorf Arcaden. Bei einer Pressekonferenz ließ Gesundheitsminister Laumann durchblicken, dass kleinere Läden in Shopping-Centern ab Montag öffnen können sollen.
Kik und Tedi wollen Zugang zu Filialen begrenzen
Noch ist die Unsicherheit freilich groß. Die Discounter Kik und Tedi, die zur Mülheimer Tengelmann-Gruppe gehören, gehen Stand Donnerstag davon aus, dass sie ihre Filialen in Einkaufscentern nicht werden öffnen dürfen. „Da sind wir aber ohnehin nicht so stark vertreten“, relativiert ein Sprecher. Gleichwohl begrüßen die beiden Ketten aus Bönen bei Dortmund die Lockerung der Beschränkungen für den Handel, weil sie davon profitieren. „Wir freuen uns, dass wir am Montag wieder aufmachen können“, so der Sprecher.
Beim Textildiscounter Kik geht man davon aus, dass 95 Prozent der mehr als 2600 Filialen in Deutschland wieder öffnen können. Beim Nahversorger Tedi sei es „der größere Teil“ der rund 1650 Märkte, die kleiner als 800 Quadratmeter sind, heißt es. Beide Ketten zeigen sich zuversichtlich, dass sie die staatlich verordneten Hygiene-Vorschriften einhalten können.
Einlasskontrollen und Desinfektionsmittel an den Eingängen
So soll es am Eingang aller Filialen Einlasskontrollen und Desinfektionsmittel geben. Kik will dem Sprecher zufolge Mitarbeiter und Kunden mit Gesichtsmasken ausstatten, Tedi zunächst nur das eigene Personal. Die Kosten für die Sicherheitsleute draußen und die Hygiene in den Filialen, so der Sprecher, trügen die Unternehmen selbst.
Deichmann, Deutschlands größter Schuhhändler kündigte an, ab Montag nach und nach „einen Teil der Filialen“ zu öffnen. Wie viele es sein werden, prüft das Essener Unternehmen gerade. „Konkretere Aussagen zu machen ist im Moment noch schwierig, da die Vorgaben in den Bundesländern teilweise voneinander abweichen und es auch auf lokaler Ebene in einigen Fällen spezielle Regelungen gibt“, sagte Sprecher Ulrich Effing.
Landesregierung nimmt Rücksicht auf die Möbelbranche
Am Nachmittag überraschte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann mit der Ankündigung, dass auch Babyfachmärkte und Einrichtungshäuser wie Ikea ab Montag wieder öffnen dürfen. „Da haben wir ein klares wirtschaftliches Interesse“, sagte Laumann in Düsseldorf. In NRW habe die Möbelbranche etwa 35.000 Mitarbeiter. Über 60 Prozent aller Küchen in Deutschland würden in Westfalen produziert.
Wenn größere Autohäuser unter den Bedingungen des Infektionsschutzes wieder öffnen könnten, sei das auch bei Einrichtungshäusern möglich. Beide seien nicht in den Innenstädten angesiedelt und es gehe darum, dass sich die Fußgängerzonen nicht wieder füllten. „Wir haben hier einen nordrhein-westfälischen Weg“, betonte Laumann. Er könne sich aber vorstellen, dass sich andere Bundesländern dem anschließen werden.