Düsseldorf. NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) im Interview: „Typen wie mich gibt es nur noch selten in der Politik.“
„Wie ein Hexenkessel“ empfindet NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann an manchen Tagen seine Arbeit während der Pandemie. Halt findet er im Glauben. Mit Stephanie Weltmann und Matthias Korfmann sprach der CDU-Politiker über die Bedeutung der Impfungen, die Lage in den Altenheimen und die sozialen Verwerfungen der Krise.
Herr Minister, viele Menschen können Jahresrückblicke 2020 nicht ausstehen. Sie auch?
Karl-Josef Laumann: Es ist ein Jahr wie kein anderes, auch und gerade für Gesundheitsminister. Im Gesundheitssystem haben wir alle vor Fragen gestanden, die wir uns zuvor noch nie stellen mussten. Trotz der Probleme vom Anfang, als uns Schutzkleidung und Desinfektionsmittel fehlten: Ich finde, dass wir stolz auf unser Gesundheitssystem sein können. Ich habe immer wieder erlebt, dass dort Menschen über sich hinauswuchsen.
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Und wie erleben Sie diese Zeit persönlich?
Laumann: Das ist manchmal wie ein Hexenkessel. Um zehn Uhr morgens weiß man nicht, was nachmittags um vier Uhr passiert.
Wie groß war da die Sorge, Fehler zu machen?
Laumann: Ich entscheide nach bestem Wissen und Gewissen. Trotzdem wird es ein halbes Jahr später immer Leute geben, die sagen, mit dem, was sie dann wissen, hätte man das anders machen sollen.
Zum Beispiel bei den Altenheimen? Die wurden im März für Besucher geschlossen, und Heimbewohner vereinsamten.
Laumann: Es ging darum, die Bewohner zu schützen und wir hatten ja auch nicht genug Schutzmaterial. Heute wissen wir, dass das Besuchsverbot vielen Betroffenen das Herz gebrochen hat. Ich würde das heute nicht wiederholen. Es wird kein Besuchsverbot mehr geben. Auch weil wir im Gegensatz zum Frühjahr Konzepte und Material haben, um die Besucher zu schützen.
Wann haben Sie gewusst, dass 2020 anders wird?
Laumann: Mit Heinsberg. Als klar war, dass sich auf einer Karnevalsveranstaltung ein großer Teil eines Dorfs anstecken kann, wusste ich, dass es jetzt los geht. Und wir haben von Anfang an gewusst, dass das nicht vorbeigeht wie ein Hagelschauer. Die Lösung konnte nur in einem Impfstoff liegen.
Vielen Menschen muten Sie noch immer viel zu, viele bangen um Existenz und Job.
Laumann: Das stimmt. Im Sommer habe ich Schausteller getroffen, die ihr letztes Geld Weihnachten 2019 verdient haben und verzweifeln. Die sagen mir: Ihr habt uns ruiniert. Und ich konnte ihnen nicht einmal eine Perspektive geben! Natürlich versucht der Staat das über die Hilfsprogramme auszugleichen, aber die letzte Gerechtigkeit gibt es leider nicht.
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Was dann?
Laumann: Es kann nicht sein, dass diejenigen, die die Hauptlast dieser Krise tragen, wirtschaftlich ruiniert werden. Es gibt eine große Gruppe von Menschen, und dazu zähle auch ich, die jetzt genauso viel verdienen wie vorher. Diejenigen sollten sich solidarisch zeigen.
Sie fordern also eine Art Corona-Soli?
Laumann: Es muss nicht gleich eine Sondersteuer sein. Aber: Diese Menschen haben Anspruch auf die solidarische Unterstützung der Gemeinschaft. Die, denen es gut geht, müssen denen helfen, die in der Krise leiden.
Wie groß ist der soziale Sprengstoff der Pandemie?
Laumann: Wir haben nur vier Prozent weniger Beitragseinnahmen in der Rentenversicherung. Es wird also auch noch viel gearbeitet. Deshalb glaube ich, wenn der Impfstoff hilft und die Wirtschaft wieder hochfährt, entspannt sich die Lage rasch wieder.
Welche Lehre muss man aus der Krise ziehen?
Laumann: Für mich als Sozialpolitiker hat sich gezeigt, wie schutzwürdig Soloselbstständige sind. Die haben lange nichts von der Sozialversicherung wissen wollen. Jetzt in der Krise fordern sie einen Rettungsschirm. Die Lösung wäre, Soloselbstständige in die Arbeitslosenversicherung aufzunehmen. Darüber kann man durchaus mal sprechen.
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Hat die Pandemie auch positive Nebenwirkungen?
Laumann: Ohne sie hätten wir wohl kein neues Gesetz durchgesetzt, das die Beschäftigten in den Schlachthöfen schützt.
Sie kämpfen seit Jahren gegen die Ausbeutung in der Fleischindustrie. Ärgert es Sie, dass es erst einer Pandemie bedurfte, um einen Riegel vorzuschieben?
Laumann: Ein Minister muss Gelegenheiten erkennen, in denen er was verändern kann. Ich finde, es ist mir ziemlich gut gelungen, die Schlachthöfe bei der Ausbeutung in die Knie zu zwingen. Außerdem ist es mir gelungen, mehr Stellen und Geld für den Arbeitsschutz durchzusetzen.
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Manche ruinieren ihren Ruf in der Pandemie. Bei Ihnen scheint das Gegenteil der Fall zu sein. Der Stern-Kolumnist Micky Beisenherz hat Ihnen jüngst eine Hymne „Cord für alle Fälle“ gewidmet.
Laumann: Ich kenne Herrn Beisenherz nicht mal (lacht). Es stimmt schon, Typen wie mich, mit meinem Werdegang, gibt es nur noch selten in der Politik. Aber darauf muss man sich nicht viel einbilden. Die Lebensgeschichten sind so, wie sie sind. Ich bin in einer Zeit groß geworden, in der 90 Prozent der Kinder in meinem Dorf zur Volksschule gingen. Ich bereue nichts, das war eine schöne Zeit.
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Wie sind Sie selbst durch die Pandemie gekommen?
Laumann: Ich hatte seit Februar keinen freien Tag mehr, nur ein paar freie Stunden am Wochenende. Zum Glück fielen Abendveranstaltungen weg, das hat mir etwas Luft verschafft. Und mit den Videokonferenzen habe ich noch mal ein neues Handwerk gelernt.
Werden Sie sich impfen lassen?
Laumann: Ja, aber erst, wenn ich dran bin. Das habe ich in dieser Pandemie übrigens auch gemerkt: Ich kann Dinge machen wie ich möchte, am Ende kann man nie alle zufrieden stellen. Wenn ich mich früh impfen lassen würde, hieße es, der sorgt für sich. Mache ich es ganz zum Schluss, dann würden die Leute sagen: Der schickt uns alle vor (lacht). Ich habe in diesem Jahr allerdings auch viele Briefe von Menschen bekommen, die mir geschrieben haben: Sie machen das klasse. Ich habe eine Akte, auf der steht „Schöne Briefe“. Die war vor Corona nicht sehr dick, jetzt schon.
Wie entscheidend war Ihr Glaube in den letzten Monaten?
Laumann: Ich bin schon überzeugt, dass Gott auf uns aufpasst. Und dass die Menschen einen Grund haben, dem Herrgott dafür zu danken, dass er kluge Menschen erschaffen hat, die so schnell einen Impfstoff gefunden haben. Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich mir einen kindlichen Glauben bewahrt habe. Glauben muss ich auch nicht wissenschaftlich begründen.
Stimmt Sie das zuversichtlich für 2021?
Laumann: Ja, sicher. Und bei all den Problemen hoffe ich doch, dass es für jeden Menschen im zurückliegenden Jahr auch Momente gegeben hat, die glücklich waren. Wir sind in einer schwierigen Lage, aber nicht in einer katastrophalen. Und wenn wir den Impfstoff so einsetzen können, wie erhofft, und im Sommer viele Menschen geimpft haben, wird 2021 auch das Jahr, in dem wir wieder ein Stück der alten Normalität zurückbekommen.
Was ist das Erste, was Sie dann nachholen?
Laumann: Wenn die Kneipen wieder auf sind, trinke ich dort ein frisch gezapftes Pils.