Düsseldorf. In der Coronakrise richten sich viele Blicke auf Karl-Josef Laumann (CDU). Der NRW-Gesundheits-, Arbeits- und Sozialminister steht unter Druck.

Gesundheitsminister ist ein anspruchsvoller Job, in einer Pandemie sogar ein unerhört schwerer. Seit das Coronavirus Nordrhein-Westfalen heimsucht, richten sich mehr Blicke als sonst auf NRW-Gesundheits-, Arbeits- und Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU).

Der Minister, der an diesem Wochenende 63 Jahre alt wird, geht den vom Wunsch nach Lockerungen geleiteten Kurs seines Chefs und Parteikollegen Armin Laschet loyal mit, steht aber in der Coronakrise erheblich weniger in der Kritik als der Ministerpräsident.

Obwohl nicht alles immer rund lief beim Corona-Gesundheitsmanagement, obwohl die von Laumann früh versprochenen Schutzmasken reichlich Verspätung hatten, obwohl noch Anfang März trotz einer sich zuspitzenden Lage zehntausende Zuschauer das Bundesligaspiel Gladbach gegen Borussia Dortmund verfolgen durften, obwohl die Kreise Heinsberg, Gütersloh und Warendorf vorübergehend zu Virus-Hotspots wurden und sich auch der Gesundheits-, Arbeits- und Sozialminister der Frage stellen musste, ob die Landespolitik nicht zu lange die schützende Hand über den Fleischkonzern Tönnies und dessen Branche gehalten hat.

Arbeitsschutz durchleuchtete die Fleischbranche

Im Fall von Clemens Tönnies und seiner Branche kann Karl-Josef Laumann allerdings etwas vorweisen: Er ließ nämlich die NRW-Fleischindustrie schon im Herbst 2019, Monate vor der Coronakrise, vom Arbeitsschutz gründlich durchleuchten. Mit erschreckenden Resultaten, die der Minister damals so kommentierte: „Diese Situation ist nicht akzeptabel. Sie verletzt die Würde von Menschen, die sich aus ihrer Heimat auf den Weg machen, um für ihre Familien und sich ein besseres Leben zu erarbeiten.“

In 26 der 30 kontrollierten Betriebe stellten Beamte damals „eine hohe Anzahl teils gravierender Arbeitsschutzmängel“ fest. Rund 8750 Verstöße fielen insgesamt auf, meist ging es um die Arbeitszeit. Werkvertragsarbeiter mussten im Extremfall bis zu 16 Stunden ohne Pause durcharbeiten.

David gewann gegen Goliath

Der von christlichen und sozialen Überzeugungen geleitete Arbeitsminister sagte damals, der Einsatz für faire Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie ähnele dem Kampf Davids gegen Goliath. Das erschrecke ihn aber nicht: „Wer die Bibel kennt, der weiß, wer gewonnen hat.“ Vor wenigen Tagen erst schlug Laumann vor, „dass die großen Schlachthöfe in Zukunft ständig den Arbeitsschutz in der Bude haben.“ Wenn sich der Bund nicht darauf einlasse, dann übe NRW eben den Alleingang.

Zwei Eigenschaften zeichnen Laumann also besonders aus: Die beschriebene Empörungsfähigkeit über Ungerechtigkeiten. Und Empathie, also Mitgefühl. Im Frühjahr 2019 reiste er dienstlich nach Rumänien und war erschüttert ob der Not mancher Familien dort. Armut und Ausgrenzung bestimmter Bevölkerungsgruppen müssten in Rumänien bekämpft werden. Er aber werde als Landesminister darauf achten, „dass Arbeitskräfte aus Südosteuropa bei uns in NRW anständig behandelt werden. Dass die Menschen, die mit Werkverträgen in der Fleischindustrie arbeiten, nicht um ihren Lohn geprellt werden“.

Der letzte Verteidiger eines harten Pandemigesetzentwurfs

Eigenschaft Nummer drei ist eine gewisse Sturheit, die den Westfalen ja gang generell nachgesagt wird. Als im Frühjahr der Entwurf eines Epidemiegesetzes von der Opposition regelrecht zerrissen und die geplante Zwangsverpflichtung vom Ärzten und anderem Gesundheitspersonal nach heftigen Protesten gleich wieder gestrichen wurde, blieb Laumann einfach bei seiner Meinung.

Wenn es darum gehe, die Versorgung der Menschen sicher zu stellen, müsse dies im Extremfall mit „allen zur Verfügung stehenden Mitteln“ geschehen, also auch mit Zwang, wenn die Freiwilligkeit an ihre Grenze stößt. Zu diesem Zeitpunkt wies die Kurve der Neuinfektionen in NRW noch steil nach oben. Gesundheitsexperten befürchteten schlimme Szenarien wie zuvor in Italien und Spanien.

Knorrig statt cool

In einer Zeit, in der politische Akteure immer smarter und glatter wirken und rhetorisch so geschult sind, dass sie problemlos sowohl Politik als auch Gebrauchtwagen verkaufen könnten, fällt einer wie Karl-Josef Laumann zwangsläufig auf. Der Mann passt in kein Schema. Groß und breit, knorrig statt cool, unveredelte, münsterländische Rede. Sagt zum Beispiel immer „Entwickelung“ statt „Entwicklung“.

Laumann erinnert in vielerlei Hinsicht an den früheren DGB-Landeschef und NRW-Sozialminister Guntram Schneider, obwohl der durch und durch Sozialdemokrat war. Ähnliche Statur, vergleichbares soziales Gewissen, rhetorisch nicht feingeschliffen, Freude an gutem Essen, mehr Arbeit und Stress als gesund sein kann, der eine gelernter Werkzeugmacher, der andere Maschinenschlosser, beide gesellig und den Menschen zugewandt. „Wenn du Politik machst, musst du die Menschen mögen“, sagt Laumann gern. Als Guntram Schneider im Winter zu Grabe getragen wurde, hielt Laumann die Trauerrede für den „langjährigen und vertrauten Weggefährten, der mehr war als nur ein Kollege“.

Nicht zu unterschätzende Typen

Typen wie Laumann und einst Schneider wirken auf den ersten Blick befremdlich und unperfekt. Man neigt einem Moment lang dazu, sie zu unterschätzen und merkt erst später, dass da viel Sachverstand und politischer Instinkt im Spiel ist.

Als Bundesvorsitzender der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) verkörpert Laumann sozusagen das soziale Gewissen der Volkspartei CDU. Die breite Öffentlichkeit mag die Union vor allem als wirtschaftsliberale Kraft sehen, aber es gibt eben auch diesen „Sozialflügel“ mit engem Bezug zu Gewerkschaften und Arbeitnehmern, so wie es in der SPD – als Gegenpol zu den linkeren Kräften – den konservativen „Seeheimer Kreis“ gibt. In der Diskussion über Einmalzahlungen für Pflegekräfte – den so genannten „Coronabonus“ – ergriff Laumann Partei für die Pflegekräfte und sagte, diese Menschen hätten deutlich mehr verdient als einen einmaligen Bonus, nämlich Monat für Monat eine bessere Bezahlung. Allgemein verbindliche, flächendeckende Tarifverträge wären besser für diese Menschen als ein symbolischer Bonus.

Einst waren Laschet und Laumann Konkurrenten

Vor ein paar Jahren waren der Westfale Karl-Josef Laumann und der Rheinländer Armim Laschet übrigens innerparteiliche Konkurrenten. Laumann, damals Fraktionschef der Union im Landtag, stand dem Landesparteivorsitzenden Laschet im Wege, der auf diesen Posten schielte. Die „Doppelspitze“ Laschet/Laumann hatte sich zuvor überhaupt nicht bewährt. Sie war das Ergebnis einer für die CDU völlig missglückten Landtagswahl 2012 mit dem Spitzenkandidaten Norbert Röttgen und von Anfang an nur eine Notlösung.

Bundeskanzlerin Angela Merkel löste das Problem zum Jahreswechsel 2013/14, indem sie Laumann zum Patientenbeauftragten und Bevollmächtigten für Pflege der Bundesregierung machte und nach Berlin lockte. Im Rückblick ein genialer Schachzug. Laumann stieg Jahre später mit einer nochmals erweiterten gesundheitspolitischen Expertise erneut ins NRW-Landeskabinett auf, Laschet wurde Ministerpräsident.

"Verarschen kann ich mich selber"

Immer wieder stieß der Minister in der aktuellen Pandemie-Situation an Gewissens-Grenzen und musste abwägen zwischen den Erfordernissen des Infektionsschutzes und den Nöten der Menschen, die unter den Corona-Maßnahmen litten. Bei der umstrittenen Frage, ob Spielplätze geschlossen werden sollten („Wir wollen, dass Kinder an die frische Luft kommen“), bei der riskanten Aufhebung des Besuchsverbots in Pflegeheimen („Es ist hart, die Mutter, den Vater oder den Lebenspartner nicht besuchen zu können“), bei der Frage, welche Geschäfte wieder öffnen dürfen („Bei den Einrichtungshäusern haben wir ein klares wirtschaftliches Interesse“).

Wenn es um die Fleischindustrie geht, ist die Zeit des Abwägens und der Diplomatie längst vorbei. „Mit der kann es keine freiwilligen Vereinbarungen geben“, wetterte Laumann bei einem Termin im Juni im damaligen Corona-Hotspot Gütersloh. Bei solchen Themen brauen sich sämtliche Eigenschaften dieses Mannes zusammen: die Empörungsfähigkeit, das Mitgefühl, die westfälische Dickköpfigkeit. Manchmal kulminiert das alles in einem Wutausbruch. „Verarschen kann ich mich selber“, wetterte Laumann Ende Juni im Landtag gegen widersprüchliche Ausssagen von Tönnies und anderen Fleischriesen zu Werkvertragsarbeitern. Dafür kassierte er eine Rüge und im Plenum heimliche Anerkennung.

Zur Person:

Karl-Josef Laumann, geboren am 11. Juli 1957 im westfälischen Riesenbeck, Hauptschulabschluss, Berufsausbildung: Maschinenschlosser, trat 1974 in die CDU ein. Er war Bundestagsabgeordneter (1990 bis 2005), Fraktionschef der CDU im Landtag (2010 bis 2014) Landesminister für Arbeit-, Gesundheit und Soziales (2005 bis 2010 und seit 2017) sowie Patientenbeauftragter der Bundesregierung (2014 bis 2017). Der bodenständige Politiker (Wahlkreis Steinfurt) ist Mitglied der IG Metall und engagierte sich lange als Betriebsrat. Den Bundesvorsitz der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDU) hat er seit 2005 inne. Laumann ist verheiratet und Vater von drei Kindern.

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