Essen. Mehr als jedes vierte Heim in NRW ist von Corona-Infektionen betroffen. Träger und Kirchen appellieren an Familien und das Land.

Immer mehr Träger von Pflegeheimen in NRW und sogar Kirchenvertreter appellieren kurz vor Weihnachten an Angehörige, Heimbesuche gut abzuwägen und vor Ort abzustimmen. Infektionsrisiken und die Belastung der Beschäftigten müssten minimiert werden, hieß es vielfach.

“Unsere Pflegekräfte sind schon jetzt am Ende ihrer Kraft", sagte Thomas Oelkers, Vorstand der Diakonie in NRW, am Mittwoch. "Zusätzlich zur täglichen Pflege lenken, testen und begleiten sie die Besucherströme.“ Er unterstrich, dass Mitarbeiter mit viel Engagement dafür sorgten, dass niemand in den Heimen Weihnachten alleingelassen werde.

Diakonie: Unsere Mitarbeiter sind am Ende ihrer Kraft

Auch Frank Johannes Hensel, Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege NRW, riet zur Vorsicht. Besuche sollten auch über die Weihnachtstage stattfinden können. Aber: "Es braucht Planung und Abstimmung und ist ein Kraftakt für die Einrichtungen und deren Mitarbeitende, der den vollen Respekt und die Rücksicht aller verdient", sagte Hensel der Redaktion.

Vom Paritätischen Wohlfahrtsverband hieß es, angesichts dauerhaft hoher Infektionszahlen wachse die Sorge, dass das Virus in die geöffneten Einrichtungen getragen werden könne. Auch private Träger wandten sich zuletzt an Angehörige. Duisburger Heimbetreiber rieten sogar offen von Besuchen ab.

Jedes vierte Pflegeheim von Infektionen betroffen

NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann hatte jüngst eine Besuchsgarantie für Pflegeheime ausgesprochen hatte und dafür viel Kritik von Trägern auf sich gezogen. Zur Unterstützung des stark belasteten Pflegepersonals sind seit Mittwoch Ehrenamtliche der Hilfsorganisationen im Einsatz, die bei Schnelltests der Besucher helfen sollen.

Die Lage in den Heimen verschärft sich indes. Seit Oktober sind nach Angaben des Gesundheitsministeriums knapp 1300 Bewohner in den NRW-Pflegeheimen an oder mit Covid-19 gestorben. In mehr als jeder vierten der rund 2300 Einrichtungen waren Ende der vergangenen Woche Bewohner oder Mitarbeiter infiziert. Die Redaktion erreichen Berichte, nach denen Pflegeheime aus der Not heraus sogar infiziertes, aber symptomfreies Personal einsetzen, um wieder positiv getestete Senioren zu betreuen.

Kirchenvertreter im Rheinland: Jeder Besuch stellt ein Risiko dar

Die großen Evangelischen Kirchen in NRW sehen die Landesregierung in der Pflicht, die Bedingungen für Heimbesuche zu verändern. Es sei zu befürchten, dass die aktuellen Maßnahmen in der derzeitigen dramatischen Situation nicht ausreichen, um alte und kranke Menschen zu schützen, warnte Ulf Schlüter, Vize-Präsident der Evangelische Kirche von Westfalen in einer Mitteilung vom Mittwoch.

Er mahnte eindringlich: "Die Alten- und Pflegeheime brauchen mehr Freiheit, selbst über die Anzahl der Besuche zu entscheiden."

Ärger um neue Besuchsverordnung: Keine Pflicht zum Schnelltest

Derzeit können Heimbewohner in NRW pro Tag zwei Besuche von je bis zu zwei Personen erhalten. Angehörigen müssen ein „Kurzscreening“ mit Fiebermessung machen, tragen FFP2-Masken und müssen sich an den Mindestabstand von 1,5 Metern halten. Sie sollen zudem vor Einlass per Schnelltest auf eine Corona-Infektion geprüft werden.

Voraussetzung für Besuche ist ein solcher Test aber laut jüngster Pflegeverordnung des Landes nicht.

In einigen Heimen melden sich sogar vermehrt Besucher an

Bei der Diakonie RWL sorgt das für Unmut. „Besuche in den Pflegeheimen sind für die soziale Teilhabe am Leben wichtig, aber hier wird die Verantwortung auf die Heime abgewälzt“, sagte Andreas Zeeh, Leiter des Diakonie-Zentrums Teilhabe, Integration und Pflege. „Wir drehen uns hier im Kreis. Wenn wir die Menschen in den Einrichtungen schützen wollen, braucht es eine Testverpflichtung bei Besuchern in Zeiten so hoher Infektionszahlen.“

Kurze Screenings zum Gesundheitszustand eines Besuchers reichten nicht aus. Das aktuelle Risiko sei zu groß, so Zeeh.

***Nachtrag: Das Verwaltungsgericht Aachen hat die Position der Pflegeheimbetreiber in einem Eilentscheid vom 23. Dezember gestärkt. Danach darf ein Leiter einer Einrichtung Besuchern den Zugang durchaus verwehren, wenn der Betroffene sich keinem Schnelltest unterziehen will. Das NRW-Gesundheitsministerium hat die Besuchsregeln nachgebessert.***