Berlin. . Bundeskanzlerin Angela Merkel ist das perfekte Opfer im NSA-Skandal. Kein Regierungschef nutzt so demonstrativ wie sie das Handy. Von Deutschlands Verbündetem USA fühlt sie sich hintergangen: “Das geht gar nicht“. Von einem schweren Vertrauensbruch ist die Rede.
Seit Donnerstag gehen die Regierung und die Parteien in Berlin davon aus, dass der US-Geheimdienst NSA ein Handy von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) abgehört hat. Der Vorwurf ist zwar offiziell unbestätigt, aber so plausibel, dass Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) schon eine Entschuldigung fordert. Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) ist vorsichtiger. Noch redet der Merkel-Vertraute im Konjunktiv: „Das wäre eine völlig neue Qualität.“
Jetzt wiederholten sich die Szenen vom Sommer, von den ersten Tagen der NSA-Affäre: echte und gespielte Überraschung, Protestnoten, Rufe nach Konsequenzen, angekündigte Sonderreisen nach Washington (nächste Woche), Sitzungen des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr), und dazu ein echtes Novum – der US-Botschafter wurde ins Auswärtige Amt einbestellt.
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Das PKGr soll sich eigentlich um die deutschen Dienste kümmern, aber nicht nur Michael Grosse-Brömer von der CDU beschlich der Eindruck, dass sich alles um die USA dreht – um die krummen Touren der Amerikaner.
Nach Informationen der Funke Mediengruppe taucht auf einem Computerupdate der NSA eine Telefonnummer auf, die Angela Merkel zuzuordnen ist. Friedrich spricht von einem privaten Handy. Laut „FAZ“ war es das Handy, das sie für Gespräche in der CDU nutzte; offenkundig ein Zweithandy, das nicht abhörsicher ist. Die Unterlage stammt vom früheren NSA-Mitarbeiter Edward Snowden, der sich derzeit in Moskau aufhält, und wurde dem „Spiegel“ zugespielt.
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Nach unseren Informationen hat das Magazin Minister Pofalla vor einer Woche mit dem Material konfrontiert. Der rief den Bundesnachrichtendienst (BND) und das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik auf den Plan. Beide konnten die Zweifel nicht ausräumen, ganz im Gegenteil.
Seither dringt das Kanzleramt in Washington auf Aufklärung. Die deutschen Experten hoffen aber, es auch ohne sie zu schaffen. Man will nicht auf die Amerikaner angewiesen sein.
Zudem müssen einige technische Details geklärt werden. Wurde Merkel direkt per Funk überwacht oder aber mit einem sogenannten IMSI-Catcher? Das ist ein Gerät, mit dem man innerhalb einer bestimmten Reichweite ein Telefon aufspürt. Dazu müsste man aber in Nähe der Kanzlerin sein, etwa bei öffentlichen Auftritten. Ungeklärt ist überdies: Seit wann und wie lange war Merkel auf dem Radarschirm der NSA? Die Kanzlerin ist das ideale Opfer. Kein Regierungschef hat so demonstrativ wie sie das Handy genutzt. Sie simst gern, selbst das Ergebnis ihrer Kanzlerwahl 2005 erfuhr Merkel zuerst per SMS.
Für wirklich wichtige Gespräche geht sie in einen abhörsicheren Raum. Es kommt weniger darauf an, was überwacht wurde – viele Minister rechnen damit –, sondern von wem. Chinesen und Russen traute man es zu. Den amerikanischen Freunden aber nahm die Regierung ab, dass ihre Dienste allein zur Terrorbekämpfung abhören. Nun fragen sich die Parteien in Berlin, was sie den USA noch glauben dürfen.
„Die Affäre ist nicht zu Ende“
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Die SPD, die mit Thomas Oppermann den Vorsitzenden des PKGr stellt, fühlt sich bestätigt. „Die NSA-Affäre ist nicht zu Ende. Die Vorwürfe sind nicht vom Tisch.“ Es sind Signalsätze – für Kenner leicht als Replik auf die Beschwichtigungen der Minister Pofalla und Friedrich zu entschlüsseln.
Die SPD vermeidet es, Öl ins Feuer zu gießen. Zum einen trat Pofalla gestern kleinlaut auf. Zum anderen führt die SPD gerade mit Merkel Koalitionsgespräche. Aber in der Sache bleibt man hart. Die SPD kann sich momentan zum Beispiel kein Freihandelsabkommen mit den USA vorstellen. Über die deutsche Spionageabwehr sagt Michael Hartmann (SPD): „Wir müssen besser werden.“ Man sinniert über Alternativen zu Servern, Software „Made in USA“.
Alle Fragen unbeantwortet
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Der FDP-Mann Hartfrid Wolff, der noch im PKGr sitzt, wünscht sich, dass der Generalbundesanwalt aktiver wird. Offenbar hat sich keine Behörde um einen Draht zum Enthüller Snowden bemüht. Es stellt sich aber heraus, dass er oft die Wahrheit aussprach, während die US-Geheimdienste einen Sommer mit Beschwichtigungen bestritten. Sie hatten die Chance, „Sorry“ zu sagen, reinen Tisch zu machen, haben aber den Partner hingehalten und alle Fragen unbeantwortet gelassen.
Das lässt die Spähaktion gegen Merkel ungeheuerlich erscheinen. Es wäre ein „schwerer Vertrauensbruch“ (Pofalla). Das ist ein Grund, warum die Kanzlerin sich persönlich bei US-Präsident Barack Obama beschwerte. Ein weiterer Grund ist, dass auch Italiener und Franzosen überwacht wurden; da nimmt eine Ablehnungsfront Gestalt an. Ausspähen unter Freunden – „Das geht gar nicht“, wiederholte Merkel gestern in Brüssel. So spricht eine Frau, die sich hintergangen fühlt.