Brüssel. Wer ist jetzt noch sicher vor Barack Obama und seinen Schnüfflern von der NSA? Jetzt, wo selbst Angela Merkel betroffen ist. So wird das “Handygate“ von selbst zum Thema beim EU-Gipfel in Brüssel. Man ist sich einig: Nur mit Schulterzucken und wird die Angelegenheit diesmal nicht abzutun sein.
Ist Jose Manuel Barroso eigentlich sicher, dass sein Handy nicht abgehört wird? Erstaunliche Fragen richten sich kurz vor Beginn des Brüsseler EU-Gipfels an den Chef der Brüsseler Kommission. Die Amerikaner hören Angela Merkels Handy ab – nichts scheint unmöglich. Nein, versichert Barrosos Sprecher schmallippig, der Präsident und seine Kommissare seien mit Qualitätstechnik ausgerüstet. „Wir haben keine Zweifel, dass diese Verbindungen vollständig geschützt sind.“
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz fordert die Aussetzung der Verhandlungen mit Washington über ein Freihandelsabkommen. „Ich glaube schon, dass wir jetzt mal unterbrechen müssen», sagt Schulz vor der traditionellen Auftakt-Begegnung mit den Gipfel-Teilnehmern. Soviel ist klar: Nur mit Schulterzucken und einer hochgezogenen Augenbraue wird die Angelegenheit diesmal nicht abzutun sein.
Swift-Abkommen wurde wegen des NSA-Skandals ausgesetzt
Dabei soll sich der Gipfel eigentlich mit andere Dingen befassen: Stabilisierung der Euro-Zone, Banken-Abwicklung, Wachstum durch Ausbau der digitalen Welt, Flüchtlingspolitik. Doch die Nachricht aus Berlin über den Lauschangriff auf die Kanzlerin bringt die Gemüter in Wallung. Zumal es sich bei Merkel nicht nur um die informelle Chefin der Chefs handelt, sondern auch um diejenige europäische Führungsfigur, die das sommerliche Enthüllungsgewitter über die Praktiken des US-Geheimdienstes NSA und anderer Agenturen im englischsprachigen Ausland am gleichmütigsten hingenommen hatte.
Andere am Gipfel-Tisch haben sich mehr aufgeregt. Frankreichs Präsident Francois Hollande etwa, nachdem die Zeitung le Monde berichtet hatte, die NSA habe binnen eines Monats über 70 Millionen Telefonate französischer Bürger abgehört und gefiltert. Das bislang stärkste Unmutssignal aus Europa kam vom EU-Parlament. Die Abgeordneten beschlossen mit einer knappen Mehrheit aus Sozialdemokraten, Grünen, Liberalen und Linken, das Swift-Abkommen auszusetzen, das den USA Zugang zu Bankdaten aus Europa verschafft.
"Ein Schatten auf das Vertrauen der EU Bürger in digitale Dienstleistungen"
Schon vor Bekanntwerden von Merkels Handygate hatte Barroso darauf verwiesen, dass die Digital-Wirtschaft, ein Hauptthema des Gipfels, von der Späh- und Horch-Skandalserie sehr wohl betroffen sei: „Die jüngsten Enthüllungen zu bestimmten Überwachungsaktivitäten werfen einen Schatten auf das Vertrauen der EU Bürger in digitale Dienstleistungen.“
Und die umtriebige Justizkommissarin Viviane Reding nutzte die Empörung über den Zugriff auf die Kanzlerin, um Druck für die Verabschiedung ihres Großprojekts zu machen: Das gemeinsame europäische Datenschutzrecht sei das wirksame Mittel „gegen große Lauschohren, egal ob es um die E-Mails der Bürger oder das Handy von Angela Merkel geht“.