Hat eigentlich wirklich jemand geglaubt, der amerikanische Geheimdienst NSA spioniere zwar Millionen und Abermillionen Menschen, dazu Unternehmen, Behörden und politische Zentralen in ganz Europa aus, mache dann aber vor der deutschen Bundeskanzlerin halt? So blauäugig kann doch niemand sein. Möchte man jedenfalls glauben – und hat dabei die eigene politische Führung ganz fest im Blick. Die war trotz geharnischter Gegenrede der Oppositionsfraktionen seit Bekanntwerden der Ausspähaktionen im Sommer nie anderer Meinung als dieser: Wir wussten nichts davon, aber jetzt sind die Vorwürfe vom Tisch.

Pustekuchen. Selbst Merkels Handygespräche wurden belauscht. Und jetzt ist sie sauer, die Kanzlerin. Sauer auf Obama, der ihr in die Hand versprochen hatte, die NSA zur Räson zu bringen. Sauer auch darauf, dass Innenminister Friedrich und ihr ach so ergebener Kanzleramtsminister und Geheimdienstkoordinator Pofalla sie in die falsche Richtung berieten. Sei’s drum. Angela Merkel hat Barack Obama jetzt mal so richtig die Leviten gelesen. Telefonisch – und deshalb von den NSA-Schlapphüten sicher mitgehört.

Dies beschreibt das Problem: Der amerikanische Geheimdienst hat sich – wie jeder, weil letztlich politisch nicht kontrollierbarer Geheimdienst dieser Welt – längst verselbstständigt. Sein Ziel ist die technisch mögliche Totalüberwachung. Nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern dort, wo er Gegner, Feinde, Verbündete, Freunde vermutet. Also überall. Alles zu wissen ist das Ziel der zum Machtbereich des Pentagon zählenden NSA – und dieses umfassende Wissen zu nutzen, um im Interesse der USA politischen Druck ausüben zu können. Das mussten Merkel mit ihrer DDR-Vergangenheit, Friedrich, Pofalla und andere in Kenntnis der Begehrlichkeiten alter und neuer deutscher Geheimdienste wissen.

Dass die Kanzlerin allerdings der Überzeugung zu sein scheint, ihre privaten und dienstlichen Telefongespräche seien schützenswerter als die von Anwälten, Geistlichen, Journalisten, Unternehmern oder die ganz „normaler“ Menschen, irritiert. Es zeigt, dass Politik und Politiker auf dieser Ebene deutlich an Bodenhaftung verloren haben.