Vorerst Entwarnung: Der Untersuchungsausschuss des Bundestag findet in den Ermittlungsakten zur NSU keinen Hinweis, dass es Verbindungen zwischen den mörderischen Neonazis und dem Verfassungsschutz gab. Dieser Verdacht war nach der Vernichtung etlicher Akten laut geworden.

Entlastung für den Verfassungsschutz: Der Inlandsgeheimdienst hat keinen Mitwisser oder Beschuldigten der Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund als V-Mann angeworben oder geführt. Das bestätigte am Mittwoch der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses im Bundestag, Sebastian Edathy, in Berlin.

Nach den Angaben des SPD-Politikers ist dies das Ergebnis einer ersten Prüfung von insgesamt 45 Aktenordnern zur sogenannten Operation "Rennsteig", die der Verfassungsschutz den Mitgliedern des Ausschusses zur Verfügung gestellt hatte. Darunter waren auch Akten, die von einem Referatsleiter des Bundesamtes geschreddert worden waren, teilweise aber rekonstruiert werden konnten.

Die Terrororganisation NSU war im November vergangenen Jahres aufgeflogen. Die Gruppe lebte mehr als ein Jahrzehnt unentdeckt von den Sicherheitsbehörden im Untergrund und ermordete bundesweit zehn Menschen.

Weiterhin viele offene Fragen

Der Bundesverfassungsschutz habe insgesamt acht V-Leute im NSU-nahen Thüringer Heimatschutz (THS) geführt, sagte Edathy weiter. Zu jedem Informanten habe es eine Akte gegeben. Allerdings hätten die Parlamentarier nur eine einzige Akte "dem Anschein nach vollständig" erhalten vorgefunden. Die anderen sieben Unterlagensammlungen seien der Vernichtungsaktion im Verfassungsschutz nach Auffliegen der Terrorzelle zum Opfer gefallen und nur rekonstruiert vorgelegt worden.

Allerdings sah der Ausschuss noch viele Fragen offen. "Vollständige Entwarnung kann ich noch nicht geben", sagte der Grünen-Obmann Wolfgang Wieland. Zu klären sei etwa, ob der Verfassungsschutz möglicherweise Quellen im Umfeld der NSU geführt habe, die nie in Akten dokumentiert worden seien. Dies müsse der scheidende Verfassungsschutzchef Heinz Fromm bei seiner Aussage vor dem Ausschuss am Donnerstag klären. Ähnlich äußerte sich die Linken-Abgeordnete Petra Pau.

Abgeordnete fordern weitere Aufklärung

Der Obmann der CDU/CSU, Clemens Binnninger, nannte das Offenlegen der Akten durch den Verfassungsschutz ein Novum in der deutschen Sicherheitspolitik. Er kritisierte jedoch, dass sich die Behörde mit dem Vorlegen der Unterlagen so lange Zeit gelassen habe.

SPD-Obfrau Eva Högl betonte, dass es sehr wichtig gewesen sei, die Akten zu sehen, um Verschwörungstheorien den Boden zu entziehen. Sie kündigte zudem an, dass der Untersuchungsausschuss noch mal die Akten einsehen müsse.

Grünen-Obmann Wieland betonte, dass das Schreddern durch die Rekonstruktion der Akten nicht "geheilt" worden sei. Die Unterlagen seien immer noch unvollständig gewesen. Der für die Schredderaktion verantwortliche Referatsleiter des Verfassungsschutzes müsse bei seiner für Donnerstagmorgen geplanten Vernehmung vor allem die Motivation für sein Verhalten erklären.

Strafanzeige gegen den Verfassungsschutz

Hinterbliebene der NSU-Opfer zeigten den Bundesverfassungsschutz wegen der Schredderaktion unterdessen an. Es sei am Mittwoch eine Strafanzeige wegen Urkundenunterdrückung eingegangen, sagte ein Sprecher der Karlsruher Bundesanwaltschaft. Erreicht werden solle unter anderem ein Durchsuchungsbeschluss für die Räume des Bundesverfassungsschutzes.

Zudem stehen dem Inlandsgeheimdienst grundlegende Veränderungen bevor. Der Ruf nach Reformen kam am Mittwoch aus allen Parteien. Während Linkspartei, Grünen-Chefin Claudia Roth und die Türkische Gemeinde gar über eine Abschaffung des Verfassungsschutzes nachdenken, sehen Koalitionspolitiker die Verantwortung vor allem bei den Ländern.

Auch in Bayern wird sich derweilen nun ein Untersuchungsausschuss mit den Ermittlungspannen befassen. Das Gremium wurde am Mittwochabend vom Landtag eingesetzt. Es ist damit der vierte parlamentarische Ausschuss, der den Fall untersucht. (dapd/afp)