Berlin. Nachdem beim Bundesverfassungsschutz geheime Akten vernichtet worden sind, melden sich immer mehr Politiker, die über eine Abschaffung des Geheimdienstes nachdenken. Grünen-Vorsitzende Roth fordert eine öffentlich nachvollziehbare Evaluation der Tätigkeiten der Behörde.

Für den Verfassungsschutz geht es ans Eingemachte. Nicht nur die Linkspartei, auch Grünen-Chefin Claudia Roth und die Türkische Gemeinde dachten am Mittwoch laut über eine Abschaffung des Geheimdienstes nach. Die Union warnte vor einem solchen Schritt. Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) forderte eine bessere Ausbildung von Verfassungsschutzbeamten.

Grund für diese Attacken sind Pannen bei Ermittlungen zu den vom rechtsextremen Terrortrio NSU begangenen zehn Morden, insbesondere die Vernichtung von Akten beim Bundesverfassungsschutz. Dessen Präsident Heinz Fromm hat seinen Rückzug angekündigt. Auch Thüringens Verfassungsschutzpräsident Thomas Sippel räumt seinen Posten.

Für Roth ist der Geheimdienst politisch pleite

Die Grünen-Vorsitzende Roth sagte der "Frankfurter Rundschau", das ganze Konstrukt der Behörden stehe vor der "politischen Insolvenz". "Verfassungsschutzämter in Bund und Ländern haben sich zum blinden Fleck der Demokratie entwickelt", sagte Roth. Wer geheime Akten vernichte, lege die Axt an die eigene Legitimationsbasis. Die Grünen forderten deshalb "eine öffentlich nachvollziehbare Evaluation der Tätigkeit der Behörden". Bei Systemfehlern müsse die Politik eine Strukturreform bis hin zur teilweisen oder vollständigen Auflösung der Behörden ins Auge fassen.

Der Vorsitzende der Türkische Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat sagte: "Wir müssen über die Abschaffung des Verfassungsschutzes in Bund und Ländern nachdenken." Die Fehler bei den Ermittlungen zu den NSU-Morden seien unverzeihlich, die Verfassungsschutzämter führten ein Eigenleben. "Niemand kann kontrollieren, was diese Behörde und ihre V-Leute tun", sagte Kolat den Dortmunder "Ruhr Nachrichten". Wer Akten schreddere, wolle etwas verbergen. "Hier wird getrickst, getäuscht und vertuscht", sagte er. Diese Verschleierungstaktik sei ein Schlag ins Gesicht der Angehörigen der NSU-Opfer.

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Der Innenexperte der Linksfraktion, Jan Korte, nannte den Verfassungsschutz eine Gefahr für die Demokratie, weil dieser den demokratischen Prinzipien der Transparenz und Kontrollierbarkeit widerspreche. Wer die Verfassung tatsächlich schützen wolle, der müsse "nicht nur mit dem kriminellen V-Leute-System aufräumen, sondern den ganzen Laden, der sich von Anfang an verselbstständigt hatte, dichtmachen", sagte Korte der "Frankfurter Rundschau".

Nicht alle Politiker wollen Verfassungsschutz abschaffen

Der innenpolitische Sprecher der Unionsbundestagfraktion, Hans-Peter Uhl (CSU), warnte hingegen vor der Abschaffung des Geheimdienstes. "Den Verfassungsschutz abzuschaffen bedeutet, den wachsamen Blick auf die Extremisten gleich welcher Couleur aufzugeben", sagte er der Zeitung. Nötig seien vielmehr Reformen. "Und wenn wir zu dem Schluss kommen, für zentrale Bedrohungen unserer Inneren Sicherheit dem Bund mehr Zuständigkeiten auch im Bereich des Verfassungsschutzes zu geben, sollen wir dies beherzt umsetzen", sagte Uhl den "Ruhr Nachrichten"

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Der Präsident des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz, Burkhard Körner, sieht seine Behörde durch ihr Scheitern bei der Aufklärung der NSU-Mordserie geschwächt. "Das Renommee, das wir uns in Bayern aufgebaut haben, hat Schaden genommen", sagte Körner der "Süddeutschen Zeitung". Das rechtsextreme Zwickauer Terrortrio NSU hatte in Bayern fünf seiner zehn Morde verübt. "Die Nähe der rechten Szene zur Gewalt war immer bekannt. Was wir nicht erkannt haben, sind die terroristischen Strukturen", räumte Körner ein. Dennoch stellte er sich vor seine Mitarbeiter. "Auch in der Rückschau gibt es aus meiner Sicht bis heute keine Hinweise, die uns direkt zu den Tätern geführt hätten", sagte Körner.

Niedersachsens Innenminister Schünemann sagte der "Neuen Osnabrücker Zeitung": "Wir müssen eine neue verzahnte Ausbildung auf Bundesebene auf den Weg bringen, gemeinsam für Verfassungsschützer des Bundes und der Länder." Er wolle mit den anderen Ländern eine Reform der Verfassungsschutzämter erreichen. "Wir brauchen einen Philosophiewechsel, damit wichtige Informationen zur Aufklärung von Straftaten nicht nur im Panzerschrank landen", sagte Schünemann. "Dafür ist es notwendig, dass der Verfassungsschutz stärker als bisher an der konkreten Gefahrenabwehr und Strafverfolgung mitwirkt." (dapd)