Berlin. . Ein Referatsleiter des Verfassungsschutzes ließ Akten über die Zwickauer Terrorzelle vernichten. Nun ist sein Chef Heinz Fromm in der Kritik. Er wurde monatelang hingehalten und belogen. Von der Vertuschung erfuhr Fromm am Mittwoch.

Wolfgang Wieland macht Witze. „Das ist Konfetti der besonderen Art.“ Das Konfetti, das der Grüne meint, kommt aus dem Reißwolf des Kölner Bundesamts für Verfassungsschutz. Dort wurden am 12. November 2011 sieben Akten über den „Thüringer Heimatschutz“ vernichtet. Das sind die Neonazis, zu denen die Zwickauer Terrorzelle von Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gehörte.

Am 4. November hatten die beiden Männer Selbstmord begangen, und Zschäpe ergriff die Flucht. Seit dem 7. November war man in Köln alarmiert. Der Zusammenhang zwischen einer Mordserie an Ausländern und dem Trio wurde deutlich. Am 11. November begann die Bundesanwaltschaft dann gegen den „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU), wie sich das Trio nannte, zu ermitteln. Die Akten hätten folglich nie vernichtet werden dürfen.

Verfassungsschutz-Präsident Heinz Fromm wurde Monate lang hingehalten und belogen. Er bekam immer nur als Auskunft, die Daten seien routinemäßig (eine Frage des Datenschutzes) schon im Januar 2011 gelöscht worden, lange bevor das Trio aufflog. Eine Lüge.

„Instinktlos“, „idiotisch“, „kapitale Fehlleistung“

Von der Vertuschung erfuhr Fromm am Mittwoch. Weil er demnächst vor dem Berliner NSU-Untersuchungsausschuss als Zeuge aussagen sollte, bohrte er im eigenen Amt nach und fragte nach dem Protokoll mit dem genauen Datum der Löschaktion. So kam der Skandal ans Licht. Die Amtsleitung ist „stinksauer“. „Idiotisch“, „kapitale Fehlleistung“, „instinktlos“, lauten die Kommentare in Geheimdienstkreisen. Gegen den beschuldigten Referatsleiter läuft ein Disziplinarverfahren. An Rücktritt denkt Fromm nicht. Gegenüber Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) gerät er in Erklärungsnot. Bis heute soll Fromm einen Bericht vorlegen. Gibt Friedrich ihm die Chance, im Amt aufzuräumen?

Rückblick: Am 10. November 2011 setzt Fromm in Köln rund 90 Leute an, sämtliche Akten zu durchforsten, was bei der Aufklärung der NSU-Morde helfen könnte. Einen Tag später, ein Freitag und der Start des Kölner Karnevals, trifft der erfahrene Referatsleiter von der Abteilung II (Rechtsextremismus) die folgenschwere Entscheidung: Das Material sei bedeutungslos und so alt, dass es nach den Vorschriften des Datenschutzes (zehn Jahre) gelöscht werden sollte. Gesagt, getan. Es eilt so, dass eine Mitarbeiterin seinen Auftrag 24 Stunden später erledigt – an einem Samstag. Wie umfangreich die Akten waren und was im Detail drinstand, lässt sich nicht rekonstruieren. Unklar ist auch, ob der Beamte damals „nur“ unsensibel, beziehungsweise penibel war oder ob er was vertuschen wollte.

Akten zurückdatiert auf 2011

Die Akten betrafen die „Operation Rennsteig“, die von 1997 bis 2003 lief. Die Behörden stellten im Freistaat fest, dass die Zahl der Neonazis stieg; dass die Szene gewalttätiger wurde und dass man über den „Thüringer Heimatschutz“ wenig wusste. Die Verfassungsschützer in Erfurt und im Bund sowie der Militärische Abschirmdienst (MAD) nahmen sich vor, Quellen anzuwerben. 35 Neonazis wurden angesprochen. Acht davon wurden V-Leute. Die Listen mit den Namen sind erhalten. Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos finden sich nicht darunter. Die beiden Männer tauchen dafür in einer Liste für den MAD auf: Die Militärs interessierten sich für männliche Neonazis im wehrfähigen Alter.

Geheimdienste führen getrennt Akten über Beschaffung und Auswertung von Informationen. Gelöscht wurden nur die Beschaffungsakten. Über die Analyse-Akten sucht man Hinweise darüber, was den Referatsleiter umgetrieben hat. Die Reißwolf-Aktion war lange bekannt, aber kaum problematisiert worden. Der Referatsleiter hatte sie ja auf Januar 2011 zurückdatiert. Zu der Zeit wussten die Behörden nichts von dem NSU. Nachdem er Fromm hinters Licht geführt hatte, blieb der Beamte bei der Lüge. Nur weil die „Operation Rennsteig“ die Medien und auch den Untersuchungsausschuss beschäftigte, hakte Fromm nach.