Berlin. Der Schuldenberg ist gewaltig. Jedes Jahr sind 70 Milliarden Euro Zinsen fällig - und die versprochene Steuersenkung soll auch noch finanziert werden. Dazu lassen sich die Koalitionäre kreative Lösungen einfallen. Wie den Schattenhaushalt. Ganz nach dem Motto: „In der Krise spart man nicht."
„Genossen, lasst die Tassen im Schrank”. Der Mann, der so vor Staats-Überschuldung warnte, hieß Karl Schiller. Er war Sozialdemokrat und Finanzminister. Er sah bestürzt, wie die eigene Regierung Brandt/Scheel Wohltaten fürs Volk auf Pump finanzierte. Schiller verweigerte sich dem Kurs. Er trat 1972 zurück. Damals hatten Bund, Länder und Gemeinden zusammen 79 Milliarden Euro Schulden. Heute rast die Schuldenuhr des Bundes der Steuerzahler, die mitten in Berlin für alle sichtbar tickt, auf die 1,7 Billionen-Marke zu – würden die riesigen Bürgschaften für die angeschlagenen Banken fällig, sind in absehbarer Zeit auch zwei Billionen nicht undenkbar.
Ein enormes Verschuldungstempo
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Die Belastung daraus zeichnet sich jetzt schon ab: Pro Sekunde wächst der Betrag um 4439 Euro. Jeder Bundesbürger steht mit knapp 20 000 Euro Staatsschuld im roten Bereich. Jedes Jahr sind 70 Milliarden Euro Zinsen fällig. Nur ein kleiner Teil der Kredite, die sich seit 1969 häufen, ist getilgt. Was also der Bundesbürger des Jahres 2030 abzahlen muss, macht schwindelig.
Doch das enorme Verschuldungstempo schreckt die schwarz-gelbe Koalition nicht. Sie überlegt, im Gegenteil, noch einmal Gas zu geben. Die Idee, mit denen sich Merkel und Westerwelle Luft für die Steuersenkungspläne schaffen wollen: Ein Schattenhaushalt.
Den Trick gibt es in mehreren Varianten. Eine: Man eröffnet ein „Sondervermögen”, vielleicht 50 bis 60 Milliarden Euro. Darin versteckt werden die Krisenausgaben der Bundesagentur für Arbeit und der Krankenkassen. Der Fonds wird mit Schulden bezahlt. Option 2 könnte die Sozialausgaben oder auch andere enthalten wie die im wahrsten Wortsinn bereits verschrotteten Milliarden für die Abwrackprämie. Auch das: Kreditfinanziert. Alles würde dem Etat 2009 zugerechnet und damit der abgewählten schwarz-roten Koalition angelastet.
Keine Beitragserhöhung?
Bis Freitag oder Samstag fällt die Entscheidung, ob es zu diesen Finanzierungs-Kunststücken kommt und zu welcher Variante. Die Vorteile: Es gibt keine Beitragserhöhungen. Und „wenn wir eine Entlastung (bei den Steuern) wollen, müssen wir mehr Geld in die Hand nehmen. Auch wenn das auf Pump ist”, sagt FDP-Vize Cornelia Pieper.
Die Signale der Union, der Logik zu folgen, sind klar, was nicht wundert: Auf ähnliche Weise, im Erblasttilgungs-Fonds, versteckte Helmut Kohl die Kosten der Einheit.
Geht das nicht alles zu Lasten der nächsten Generationen? Und: Bremst nichts diese Schuldenpolitik? Doch. Die Schuldenbremse, eigentlich. Sie wurde vom Ex-Finanzminister Peer Steinbrück und dem CDU-Politiker Roland Koch erfunden. Danach verpflichtet sich der Bund, die „strukturelle Verschuldung” bis 2016 zu senken und dann nur noch 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts als Kredit aufzunehmen. Die Länder dürfen ab 2020 gar keine Schulden mehr machen. Diese Bremse, hat Steinbrück zu Jahresbeginn errechnet, werde bis 2013 zu harten Sparschnitten von 40 Milliarden führen.
Von solchen Zumutungen für die Bürger ist keine Rede mehr – auch unabhängig davon, ob der Schattenhaushalt kommt. Offen ist, ob die Bremse überhaupt angezogen wird. Eher gilt: „In der Krise spart man nicht”. In die Schublade gelegt wurden auch alle „Giftlisten” mit drastischen Kürzungen von Sozialem und Subventionen – wie die mehr als 100 Seiten dicke des Pärchens Steinbrück/Koch aus 2004.
„Buchhalterische Kreativität” beschimpft Karl-Heinz Däke, der Chef des Bundes der Steuerzahler, den schwarz-gelben Verschuldungskurs. Im Klartext: So wird vertuscht. Karl Schiller trieb genau das zum Rücktritt. Im Demissionsschreiben des Brandt'schen Finanzministers vom 2. Juli 1972 heißt es: „Die Regierung hat die Pflicht, über den Tellerrand des Wahltermins hinauszublicken und dem Volk rechtzeitig zu sagen, was zu leisten und was zu fordern ist”. Aber das war vor 38 Jahren.