Berlin. Union und FDP schmieden an dem Koalitionsvertrag. Laut einem Medienbericht könnte die Praxisgebühr wieder wegfallen. Auch die bestehenden Mindestlöhne werden offenbar geprüft. Die USA sollen zum Abzug der Atomwaffen aus Deutschland bewegt werden.
Union und FDP wollen offenbar die umstrittene Praxisgebühr auf den Prüfstand stellen. «Die Praxisgebühr wird auf ihre Steuerungswirkung hin überprüft und gegebenenfalls ersetzt», zitiert die Tageszeitung «Die Welt» aus einem Entwurf des Koalitionsvertrages. Die Gebühr war 2004 eingeführt worden. Die Einnahmen in Höhe von jährlich 1,5 Milliarden Euro fließen fast vollständig an die Krankenkassen.
Mindestlöhne im Visier
Branchenbezogene Mindestlöhne gelten in Deutschland derzeit für insgesamt rund 1,8 Millionen Beschäftigte in der Baubranche, bei den Gebäudereinigern und den Briefdiensten. Vorgesehen sind sie außerdem unter anderem für die Abfallwirtschaft, das Wach- und Sicherheitsgewerbe und die Pflegebranche. Einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn lehnen Union und FDP in dem von der Zeitung zitierten Entwurf des Koalitionsvertrages erwartungsgemäß ab. Künftige Branchenmindestlöhne müssten einvernehmlich im Kabinett geregelt werden.
Ferner plant Schwarz-Gelb dem Bericht zufolge eine Strukturreform bei Hartz IV. Die bisherigen Jobcenter von Kommunen und Arbeitsagenturen sollen offenbar aufgelöst werden. Die Kompetenz der Bundesagentur für Arbeit (BA) und der Kommunen solle «in getrennter Aufgabenwahrnehmung für die Betreuung der Langzeitarbeitslosen» genutzt werden, zitiert die Zeitung aus dem Vertragsentwurf. Die Bundesagentur solle den Kommunen aber «attraktive Angebote zur freiwilligen Zusammenarbeit unterbreiten». Die bisherigen 69 Optionskommunen, die die Arbeitslosen in Eigenregie betreuen, sollen unbefristet bestehen bleiben.
Abzug der Atomwaffen
Die künftige schwarz-gelbe Bundesregierung will die USA laut der Tageszeitung «Die Welt» zum Abzug ihrer Atomwaffen bewegen. Man wolle sich «dafür einsetzen, dass die in Deutschland verbliebenen US-Atomwaffen abgezogen werden», zitiert die Zeitung aus einer Rohfassung des Koalitionsvertrages. Damit hätte sich die FDP durchgesetzt.
Beim Thema Afghanistan-Einsatz verzichten Union und FDP dem Bericht zufolge auf die bisherige Zieldefinition der «selbsttragenden Sicherheit». Es gehe darum, «schrittweise Verantwortung an die Autoritäten des Landes zu übergeben», zitiert die Zeitung aus dem Entwurf des Koalitionsvertrags. Deutschland werde einen «der Bedeutung dieser Aufgabe angemessenen Beitrag leisten», hauptsächlich durch eine «deutlich verstärkte» Polizeiausbildung.
Offenbar Einigung über längere Laufzeiten für Atomkraftwerke
Wie zudem aus Verhandlungskreisen verlautete, beschlossen Union und FDP längere Laufzeiten für Atomkraftwerke. Die Details des Beschlusses wie die Länge der Laufzeitverlängerung oder Abmachungen mit den Stromunternehmen über Abgaben aus den Zusatzgewinnen sollen demnach noch nicht im Koalitionsvertrag stehen, sondern erst später erarbeitet werden.
In der Energiepolitik streben Union und FDP laut dem Vertragsentwurf eine «ideologiefreie, technologieoffene und marktorientierte Energiepolitik» an. Der Ausbau der erneuerbaren Energien soll weiter gefördert werden. Allerdings soll eine «Überförderung» bei der Solarenergie «im Dialog mit der Solarbranche» vermieden werden.
«Kernenergie ist eine Brückentechnologie, bis sie durch erneuerbare Energien ersetzt werden kann», heißt es der Zeitung zufolge in dem Entwurf weiter. Deshalb sollen die Laufzeiten der Kernkraftwerke verlängert werden. Für die Endlagerung soll der Salzstock Gorleben weiter erkundet werden. Die Endlager Asse II und Morsleben sollen zügig geschlossen werden.
Höhere Abfall- und Abwassergebühren offenbar geplant
Auf die Bürger kommen möglicherweise deutlich höhere Abfall- und Abwassergebühren zu. Im Entwurf des Koalitionsvertrages von Union und FDP wird eine «Wettbewerbsgleichheit kommunaler und privater Anbieter insbesondere bei der Umsatzsteuer» angestrebt, wie die «Financial Times Deutschland» vorab berichtet. Demnach soll die Steuerbefreiung für die kommunale Abfall- und Abwasserwirtschaft wegfallen.
Derzeit zahlen die kommunalen Unternehmen keine Mehrwertsteuer, private Firmen hingegen 19 Prozent. Bund und Ländern, die sich die Mehrwertsteuer teilen, könnte der Plan der Zeitung zufolge bis zu vier Milliarden Euro in die Kasse spülen. Die Gebühren für Abfall und Abwasser könnten im Schnitt um 12 bis 20 Prozent steigen.
«Eine Umsatzsteuerpflicht würde die Bürger mit deutlich höheren Müll- und Abwassergebühren belasten», warnte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Stephan Articus. Der Geschäftsführer der bayerischen Gemeinden, Jürgen Busse, kritisierte die Pläne als «ungeheure Abzocke der Bürger». Karin Opphard, Geschäftsführerin des Verbands kommunale Abfallwirtschaft, warnte ebenfalls vor einem Gebührenschock. «Der Bürger zahlt die Zeche», sagte sie.
Bankenaufsicht soll allein bei Bundesbank liegen
Benötigt werde eine national wie international «flächendeckende Regulierung» der Finanzmärkte «mit Sanktionsmöglichkeiten», sagte der FDP-Unterhändler für Finanzthemen, Hermann Otto Solms, nach Beratungen der großen Koalitionsrunde. Nach den Worten de Maizières soll die Bankenaufsicht in Zukunft allein bei der Bundesbank liegen. Bislang hatten sich in Deutschland die Bundesbank und die Finanzaufsichtsbehörde Bafin die Aufsicht der Finanzinstitute geteilt.
Die Koalitionäre planen zudem strengere Regelungen für Ratingagenturen und hochspekulative Hedgefonds. Bayerns Finanzminister Georg Fahrenschon (CSU) kündigte zudem «Initiativen» gegen die «krisenverschärfenden Elemente» der Eigenkapitalrichtlinien Basel II an, um eine Kreditklemme zu verhindern.
Schwarz-Gelb verteidigt Schattenhaushalt
Union und FDP verteidigten die Pläne für einen Schattenhaushalt. Bei «großen historischen Anlässen» in der Geschichte des Landes habe es schon wiederholt Sondervermögen gegeben, sagte Seehofer am Mittwochabend nach den Beratungen der großen Koalitionsrunde. «Das ist völlig korrekt, ist transparent, entspricht dem Haushaltsrecht und ist von der Sache her geboten bei der Dimension um die es geht bei den Sozialversicherungszweigen.»
Im Gespräch ist die Einrichtung eines Sonderhaushalts, über den vor allem die Milliardenlöcher abgedeckt werden sollen, die sich 2010 im Gesundheitsfonds und bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) auftun. Auch FDP-Vize Rainer Brüderle erinnerte daran, dass es solche Sonderfonds bereits in der Vergangenheit zur deutschen Einheit und in der Wirtschaftskrise gegeben habe. Durch die angestrebte Regelung werde es nicht weniger, sondern mehr Transparenz geben, sagte de Maizière. (ap/afp/ddp)