Washington/Miami. Der Freispruch im Fall Trayvon Martin erregt weiter die Gemüter in den USA. Am Samstag gingen Tausende Menschen auf die Straße. Sie wollen einen neuen Prozess gegen den Todesschützen. US-Präsident Obama hatte sich am Freitag in einer persönlichen Rede zu Wort gemeldet. Trayvon Martin, sagte er, “das hätte ich vor 35 Jahren sein können“.
Eine Woche nach dem Freispruch im Prozess um den erschossenen Schwarzen Trayvon Martin haben in den USA Tausende Menschen gegen das Urteil protestiert. Unter dem Motto "Gerechtigkeit für Trayvon" gingen am Samstag in schätzungsweise mehr als 100 US-Städten von der Ost- bis zur Westküste Menschen auf die Straße, um eine neue Anklage gegen den Todesschützen George Zimmerman zu fordern.
Zu den Kundgebungen, bei denen es jeweils mehrere Hundert Teilnehmer gab, hatte die Bürgerrechtsbewegung National Action Network (NAN) unter dem Schwarzen Al Sharpton aufgerufen. Demonstriert wurde unter anderem in New York, Washington, Miami, Chicago, Dallas und Los Angeles.
Auch Beyoncé und Jay-Z gingen demonstrieren
Der 17-jährige Trayvon Martin war vor 15 Monaten in Sanford (Florida) von Zimmerman erschossen worden, als er sich auf dem Rückweg von einem Einkauf befand. Er war unbewaffnet. Im Prozess hatte Zimmerman sich erfolgreich auf Notwehr berufen. Kritiker wollen nun, dass er wegen Verletzung von Trayvons Bürgerechten vor Gericht gestellt wird.
Die Mutter des getöteten Teenagers, Sybrina Fulton, und sein Bruder Jahvaris Fulton nahmen an den Protesten in New York teil. Trayvon habe jedes Recht gehabt, sich dort aufzuhalten, wo er dann sein Leben verlor, sagte Sybrina Fulton auf der Kundgebung, zu der auch Sängerin Beyoncé und Rapper Jay-Z kamen. "Das sind die Fakten, auf denen wir beharren müssen, denn heute war es mein Sohn, morgen könnte es Eurer sein."
Demonstranten trugen T-Shirts mit Trayvon Martins Foto
Vater Tracy Martin demonstrierte in Miami mit und rief die Gesellschaft zu einem Bewusstseinswandel auf. In Washington trugen Demonstranten T-Shirts mit einem aufgedruckten Trayvon-Foto und in der Hand Tüten mit jener Art Süßigkeit, die Martin am Abend seines Todes eingekauft hatte. In Sanford marschierten mehrere Hundert Menschen mit Postern mit dem Porträt des Getöteten durch die Straßen.
Obama prangert rassistische Ungleichheiten an - "Das hätte ich sein können"
Am Freitag hatte sich auch Präsident Barack Obama sehr emotional zu Wort gemeldet. Bei einem überraschenden Auftritt vor Journalisten prangerte er Vorurteile gegen die Schwarzen im Land und "rassische Ungleichheiten" im US-Strafrecht an, vermied es aber, den Freispruch direkt zu kritisieren. In einer ausgesprochen persönlichen Passage zog er eine Parallele zwischen Trayvon und seinen eigenen Erfahrungen in jungen Jahren. "Das hätte ich vor 35 Jahren sein können", sagte der erste afroamerikanische Präsident der USA.
Langjährige journalistische Beobachter in Washington sagen, dass sie selten einen Präsidenten erlebt haben, der derart persönlich geworden ist. Und selten einen, der nicht nur rhetorisch brilliert, wenn es um kämpferische Wahlkampfreden geht, sondern auch beim nachdenklichen Reflektieren.
Fall Trayvon Martin wühlt auch den Präsidenten auf
Es war nicht das erste Mal, dass sich Obama zum gewaltsamen Tod des schwarzen Teenagers Trayvon Martin in Florida äußerte. "Trayvon - das könnte mein Sohn sein", sagte er im Frühjahr vergangenen Jahres, als der Fall erstmals hohe Wellen schlug. Jetzt, am Freitag, wird er selbst zu Trayvon - ein klarer Hinweis darauf, wie sehr ihn der Fall im Laufe der Zeit immer stärker persönlich aufgewühlt hat.
Und auch ein Hinweis darauf, dass Obama es am Vorabend landesweit geplanter Demonstrationen gegen den Freispruch des Todesschützen an der Zeit sah, selbst in die heftige Kontroverse einzugreifen. Ziel war es offensichtlich, sie in eine andere Richtung zu lenken, von Wut und Zorn hin zu einem Dialog darüber, was - bei allen Fortschritten im Kampf gegen die Diskriminierung von Minderheiten - noch immer faul ist in den USA.
Barack Obamas Rede zum Fall Trayvon Martin in Auszügen
Die Nachrichtenagentur dpa dokumentiert Auszüge aus Obamas Rede in eigener Übersetzung.
"Wie Sie wissen, habe ich gleich, nachdem Trayvon Martin erschossen wurde, gesagt, das hätte mein Sohn sein können. Ein anderer Weg, dies auszudrücken, ist, Trayvon Martin, das hätte ich vor 35 Jahren sein können. (...)
Es gibt sehr wenige afroamerikanische Männer in diesem Land, die nicht die Erfahrung gemacht haben, verfolgt zu werden, während sie in einem Kaufhaus einkauften. Das gilt auch für mich. Es gibt sehr wenige afroamerikanische Männer, die nicht selbst die Erfahrung gemacht haben, dass sie hörten, wie Autoschlösser verriegelt wurden, während sie auf der Straße liefen. Das ist mir passiert - zumindest bevor ich Senator wurde. Es gibt sehr wenige Afroamerikaner, die nicht die Erfahrung gemacht haben, dass, wenn sie in einen Aufzug stiegen, eine Frau ihre Handtasche umklammerte und nervös die Luft anhielt, bis sie aussteigen konnte. Das passiert häufig. (...)
Was wäre gewesen, wenn der Jugendliche weiß gewesen wäre?
Die afroamerikanische Gemeinde weiß, dass es in der Anwendung unseres Strafrechts eine Geschichte rassischer Ungleichheiten gibt - von der Todesstrafe bis hin zur Anwendung der Drogengesetze. Und das hat einen Einfluss darauf, wie Menschen diesen Fall deuten. Nun, das bedeutet aber nicht, dass afroamerikanische Gemeinden naiv sind, wenn es um die Tatsache geht, dass junge afroamerikanische Männer überproportional im Strafjustizsystem vertreten sind, dass sie überproportional sowohl Opfer als auch Gewalttäter sind. (...)
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Und das alles, denke ich, trägt zu dem Gefühl bei, dass das Ergebnis und die Folgen von vorne bis hinten möglicherweise anders gewesen wären, wenn ein weißer Jugendlicher in so ein Szenario verwickelt gewesen wäre. (...)
Trägt die "Stand Your Ground"-Regel zur Sicherheit bei?
Ich denke, es wäre hilfreich, einige unserer Gesetze auf bundesstaatlicher und Gemeindeebene zu prüfen, um zu sehen, ob sie nicht möglicherweise Streit, Konfrontation und Tragödien - wie wir im Fall Floridas gesehen haben - fördern, statt potenzielle Auseinandersetzungen aufzulösen.
Ich weiß, dass es Kommentare zur "Stand Your Ground"-Regelung (Notwehrgesetz im US-Staat Florida, wonach sich ein Mensch mit allen Mitteln wehren darf, wenn er sich bedroht fühlt) in Florida gegeben hat (...).
Wenn wir als Gesellschaft die Botschaft an unsere Gemeinden aussenden, dass jemand, der bewaffnet ist, potenziell das Recht hat, seine Schusswaffen zu nutzen - selbst wenn es für ihn einen Weg gibt, diese Situation zu umgehen - trägt das wirklich zu Frieden, Sicherheit und Ordnung bei, die wir uns wünschen? (...)
Und glauben wir wirklich, dass er (Trayvon Martin) berechtigt gewesen wäre, Mr. Zimmerman zu erschießen, der ihn in einem Auto verfolgte, weil er sich bedroht fühlte? Und wenn die Antwort auf diese Frage zumindest nicht eindeutig ist, dann scheint es mir, dass wir diese Art Gesetze untersuchen sollten. (...)
Afroamerikanische Jungen unterstützen und stärken
Wir müssen einige Zeit darauf aufwenden, darüber nachzudenken, wie wir unsere afroamerikanischen Jungen unterstützen und stärken können. Darüber reden Michelle und ich sehr viel. (...)
Und lassen Sie mich Ihnen noch einen abschließenden Gedanken mit auf den Weg geben. So schwer und herausfordernd diese ganze Episode für viele Menschen ist, möchte ich nicht aus den Augen verlieren, dass die Dinge besser werden. Jede nachfolgende Generation scheint Fortschritte zu machen, wenn es um Einstellungen gegenüber der Rasse geht. Das heißt nicht, dass wir eine post-rassische Gesellschaft sind. Es bedeutet nicht, dass Rassismus ausgelöscht ist. Aber wenn ich mit Malia und Sasha spreche, ihren Freunden zuhöre und sie miteinander sehe, (erkenne ich), sie sind bei diesen Themen besser als wir. sie sind besser darin, als wir einst waren. Und das gilt für jede Gemeinde, die ich in diesem Land besucht habe. (...)" (dpa/rtr/afp)