Washington. Der Tod eines 17-jährigen Schwarzen löst in den USA eine heftige Debatte über tödlichen Rassismus, archaische Waffengesetze und eine Polizei aus, die wegsieht, wenn es ernst wird. Wie immer in solchen Fällen wirkt die Waffenlobby im Hintergrund.
Wie Mönche sehen sie aus. Mit gesenktem Haupt, den Kopf demonstrativ in Kapuzenpullis steckend, zeigen die NBA-Basketballstars der „Miami Heat“, LeBron James, Dwayne Wade und Chris Bosh, auf ihre Weise Solidarität mit Trayvon Martin. Unter ihrem Foto steht der Satz, hinter dem sich in diesen Tagen Millionen Amerikaner schwarzer Hautfarbe voller Zorn versammeln: „Wir wollen Gerechtigkeit!“ Gerechtigkeit für einen 17-jährigen unbescholtenen Jungen, der Ende Februar abends dem Nachbarschaftswächter Georg Zimmermann (28), einem Weißen hispanischer Abstammung, in einer Wohnanlage bei Orlando/Florida über den Weg läuft, nachdem er eine Dose Eistee und Süßigkeiten für seinen Bruder gekauft hat. Wenig später ist Martin tot. Erschossen mit einer Pistole, Kaliber 9 Millimeter.
Keine Beweise - aber ein Verdacht: rassistischer Totschlag
Zimmermann sagt, Trayvon Martin habe sich verdächtig benommen in seinem „Hoodie“, dem Kapuzenpulli, und ihn angegriffen. Ergo: Notwehr. Beweise gibt es nicht. Nur die Behauptung. Die Polizei von Sandford, wo sich die Tragödie ereignete, glaubte ihm. Der bullige Latino, selbst mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt geraten, ist seither auf freiem Fuß. Das schwarze Amerika macht das rasend. „In diesem Land kann man uns umbringen und frei herumlaufen“, ereiferten sich am Samstag Tausende Demonstranten in Washingtons Innenstadt.
Mitschnitte eines Handy-Telefonats, dass der Teenager bis unmittelbar vor seinem Tod mit seiner Freundin geführt hat, belegen nicht nur aus Sicht der Anwälte der Familie Martin das Gegenteil von Zimmermanns Schilderungen. Man hört, wie ein Junge um sein Leben fleht. Sie legen nahe, was seither in Fernsehdebatten und Zeitungskommentarspalten leidenschaftlich gedreht und gewendet wird: dass Zimmermann aus rassistischen Motiven dem Jungen nachgestellt, geschossen und dabei ein Gesetz missbraucht hat, das Wild-West-Manieren in mittlerweile 26 Bundesstaaten Tür und Tor öffnet? „Stand your ground“ (Verteidige deinen Raum) erlaubt jedem, der sich bedroht sieht, auch außerhalb der eigenen vier Wände, ohne passive Streitschlichtung oder Fluchtversuch, zur Waffe zu greifen.
Der Tod von Trayvon Martin
Gesetz der Waffenlobby soll gekippt werden
Seit sich Präsident Obama persönlich und bewegend in die Angelegenheit eingemischt hat („Wenn ich einen Sohn hätte, sähe er so aus wie Trayvon“) und rückhaltlose Aufklärung „aller Aspekte“ versprach, gerät das 2005 von der mächtigen Waffenblobby NRA herbeigeredete Gesetz ins Wanken. Floridas Gouverneur Rick Scott, ein Republikaner, kündigte Revision an. John F. Timoney, Miamis Ex-Polizeichef, liefert die Argumente: Die Zahl der fragwürdigen Tötungen habe sich verdreifacht, der Freibrief zur Selbstjustiz sei ein „Rezept für die Katastrophe“.
Als solche empfinden Millionen Amerikaner Äußerungen des bekannten Fernseh-Moderators Geraldo Rivera, der auf dem rechtspopulistischen Kanal Fox News die These verbreiten durfte, Trayvon Martin trage Mitschuld an seinem Tod – weil er eben einen Kapuzenpulli anhatte; ein Kleidungsstück, dass vorzugsweise von Drogen-Dealern und schießwütigen Gang-Mitgliedern getragen werde. Die politische Dimension des Falles, der massenweise zu Aufrufen geführt hat, den Schützen Zimmermann vor Gericht zu bringen, geht über textile Absonderlichkeiten weit hinaus. Die erste Garde der schwarzen Bürgerrechtler, von Jesse Jackson, einst Präsidentschaftskandidat, bis zu dem Talkshow-Gastgeber Al Sharpton, sehen sich in die dunklen 50er Jahre zurückversetzt und erkennen in dem Vorgang einen „weiteren Beweis für die Benachteiligung von Schwarzen durch Polizei und Justiz“.
Kopfgeld auf Zimmermann ausgesetzt
Ihr Appell, nicht eher Ruhe zu geben, bis Zimmermann zur Rechenschaft gezogen wird, blieb nicht ohne Wirkung. Militante Schwarze, die „New Black Panther“, haben 10 000 Dollar für die Gefangennahme Zimmermanns ausgelobt, der sich nach Angaben seines Anwalts versteckt hält. Lynchjustiz (von der anderen Seite) will der Bundesstaat Florida vermeiden. Der Polizeichef von Sandford ist zurückgetreten, ein Sonder-Staatsanwalt mit den Ermittlungen beauftragt. Am 10. April wird ein „Grand Jury“, eine Art Anklagekammer, über die Aufnahme eines Gerichtsverfahrens wegen Mordverdachts entscheiden. 10. April 2012. Das wird der Tag der Kapuzen-Pullis in Amerika.