Stockholm/ Oslo. Das zweite Gutachten zum Mörder Anders Behring Breivik ist falsch. Entgegen dem Ersten hält es Breivik für geistig gesund und voll zurechnungsfähig. Eine unabhängige rechtsmedizinische Kommission erklärte dieses Gutachten jetzt für ungenügend.
Der 77-fache Mörder Anders Behring Breivik ist höchst wahrscheinlich psychisch krank und unzurechnungsfähig. Ein sehr umfangreiches Gutachten zweier bekannter Rechtspsychiater vom November kommt zwar zu diesem Schluss. Doch ein weiteres, scheinbar aufgrund des öffentlichen Drucks und völlig entgegen norwegischer Rechtspraxis im Februar fertiggestelltes Gutachten kam zum entgegengesetzten Ergebnis. Breivik sei voll zurechnungsfähig und gehöre ins Gefängnis statt in die Psychiatrie.
Am Freitag wurde jedoch am Amtsgericht in Oslo bekanntgegeben, dass eine von beiden Gutachten unabhängige rechtsmedizinische Kommission das Ergebnis dieses zweite Gutachten aufgrund „wesentlicher Mängel“ durchfällt. Die Psychiater Agnar Aspaas und Terje Törrissen stellten es zusammen, anhand von 37 eigenen Interviewstunden mit Breivik- Eigentlich sollten vor allem auch die Unterlagen und Gespräche des ersten, viel umfangreicheren Gutachtens aus dem November einfließen.
Aussagen der Mutter seien nicht ausreichend berücksichtigt worden
Laut Richterin Wenche Elizabeth Arntzen erhält das für schuldfähigkeit plädierende Gutachten ein Ungenügend aus folgenden Gründen: „Laut der Kommission haben Aspaas und Törrissen das Thema Persönlichkeitsstörungen nicht gut genug behandelt. Sie haben auch nicht gut genug bewertet, was die Mutter Breiviks gesagt hat und auch nicht, was die ersten Gutachter ermittelt haben“, so die die Richterin über den Beschluss.
Die beiden damit peinlichst in Frage gestellten Verfasser reagierten trotzig auf diese Bewertung: „Wir haben mit einer solchen Reaktion gerchnet. Aber wir haben trotzdem Recht und freuen uns auf den Prozesstag, an dem wir unser Ergebnis genauestens darstellen können.“, so Aspaas gegenüber dem norwegischen Radio NRK.
Prozessbeobachter halten Breivik für geistig krank
Doch seit Prozessbeginn tendieren immer mehr Beobachter dahin, Breivik für geistig krank zu halten. Anders Behring Breivik sei eindeutig schuldunfähig und gehöre in die Psychatrie statt ins Gefängnis, heißt es auch im ersten Gutachten. Demnach ist Breivik „vor, während und nach“ dem Doppelanschlag von Oslo und Utöya am 22. Juli 2011 psychotisch gewesen.
Die beiden völlig widersprechenden psychiatrischen Gutachten hätten eigentlich zur Folge gehabt, dass das Gericht entscheiden muss, welchem Gutachten es mehr Glauben schenkt. Jedes der beiden Gutachten wurde von jeweils zwei renommierten norwegischen Rechtspsychiatern verfasst. Beide Gutachten wurden mit großer Entschiedenheit präsentiert.
Präzedenzfall für Norwegens Rechtsgeschichte
Beide Psychiaterteams unterstrichen, dass sie sich ihre entgegengesetzten Urteile ohne jeglichen Zweifel gebildet hätten. In Norwegens Rechtsgeschichte gilt die nun entstandene Situation auch als Präzedenzfall. Bislang wurde stets nur ein psychiatrisches Gutachten bei Prozessen angefertigt. Richter und Staatsanwaltschaft richteten sich stets nach dessen Urteil.
Im Falle der Schuldfähigkeit des geständigen 33-Jährigen dürfte sich der Prozess um eine wichtige politische Dimension ausweiten, so norwegische Kommentatoren am Dienstag. Ein Rechtsprozess gegen einen Wahnsinnigen sei etwas völlig anderes als gegen einen kalt berechnenden psychisch gesunden Terroristen und Moslemhasser. Breivik hatte, laut eigenen Worten, mit den insgesamt 77 Todesopfern mehrheitlich Jugendliche der sozialdemokratischen Nachwuchspartei, die Arbeiterpartei für ihren „Moslemimport“ bestrafen wollen.
Zweites Gutachten entsprach Erwartungen von Breiviks Anwälten
Anders Behring Breivik selbst hatte zuvor laut seiner Anwälte mehrmals unterstrichen, dass er sich für völlig zurechnungsfähig hält. Breiviks Wunschanwalt Geir Lippestad sagte, dass das zweite Gutachten seiner Erwartungen entspreche. „Ich habe angenommen, dass es zu diesem Ergebnis kommt. Es ist das, was sich Breivik gewünscht hat. Es wird ein wichtiges Beweismittel für uns sein, damit Breivik strafrechtlich zurechnungsfähig verurteilt wird“, so Verteidiger Lippestad.
Schuldfähigskeitsfrage ist entscheidend im Prozess
Anwalt Lippestad selbst hatte nach seinem ersten Treffen mit Breivik kurz nach dem Anschlag im Juli 2011 der Presse gesagt, er halte seinen Mandanten für „eindeutig psychisch sehr, sehr krank“. Breivik hatte damals gefordert, in Uniform vor den Untersuchungsrichter treten zu dürfen. Er sei schließlich als christlicher Kreuzritter Soldat. Dementsprechend hatte er seine Bluttaten zugegeben sich aber nicht für schuldig des Mordes erklärt, da er sich im Krieg fühlt. Er glaube, dass er ein Erlöser seines Volke sei, der für dieses Ziel entscheiden dürfe, wer leben darf und wer sterben muss. Das seien eindeutig Wahnvorstellungen, hatten die beiden Psychiater des ersten Gutachtens im November festgestellt.
Die Schuldfähigkeitsfrage ist die wesentliche in diesem Prozess. Im Gericht sitzen weitere Experten, die ihrerseits Breiviks Seelenzustand analysieren. Am Ende muss das Gericht alle Informationen zusammennehmen und entscheiden, statt wie sonst üblich, einfach der einzigen rechtspsychiatrischen Empfehlung zu folgen. Auch das birgt Gefahren meinen viel Norweger, weil Richter eben keine Psychiater seien und nun zwischen vielen Unterschiedlichen Interpretationen wählen müssen.