Essen. . Psychiater Norbert Leygraf sagt: Nicht immer lasse sich die Schuldfähigkeit eines Täters zweifelsfrei feststellen. Anders Breivik lebe in einem Wahnsystem: Eine Heilung sei unmöglich. Breivik werde auch in der Haft weiter Manifeste verfassen, vermutet der Experte.
Professor Norbert Leygraf zählt zu den renommiertesten Gutachtern Deutschlands. Der 59-Jährige ist Direktor des Instituts für forensische Psychiatrie der Uni Duisburg-Essen. Kirsten Simon sprach mit ihm über den Fall Breivik.
Ein Gutachten hält Breivik für unzurechnungsfähig, ein zweites bescheinigt ihm geistige Gesundheit. Wieso diese Unterschiede?
Prof. Norbert Leygraf: Eine gesicherte Diagnose ist manchmal schwierig. Bei einer schizophrenen Psychose wäre Breivik schuldunfähig. Es gibt Fälle, da kann diese Diagnose schnell getroffen werden: Wenn der Betroffene neben dem Wahn in seinem Denken völlig durcheinander ist und wenn er zum Beispiel über schreckliche Dinge redet und dabei ein süßes Lächeln aufsetzt. Bei Breivik liegen diese Zusatzsymptome offenbar nicht vor.
Wie konnte Breivik so lange unauffällig leben?
Menschen wie Breivik leben in zwei Welten und sind in der Lage, die eine Welt zu verbergen. Es gab auch in Deutschland so einen Fall: 1913 hat der Lehrer Wagner 17 Menschen umgebracht. Er hatte vorher unauffällig als Lehrer gearbeitet und nebenbei ein Manifest geschrieben und Waffen gekauft.
Können solche Täter geheilt werden?
Nein. Wer so lange in einem Wahnsystem gelebt hat, kommt davon nicht los. Es ist höchstens möglich, dass die Betroffenen lernen, an ihrem Wahn vorbeizuleben.
Wie wird Breivik in der Haft mit dem Wahn umgehen?
Breivik wird wohl weiter schreiben, also Manifeste verfassen. Hauptlehrer Wagner hat damals in einer Heilanstalt ein Drama geschrieben. Darin steht: „Wie soll ich vom Wahn loskommen? Dann müsste ich zugeben, dass ich unrecht gehandelt habe.“