Oslo. . Der Prozess zum schlimmsten Verbrechen in Norwegens Geschichte droht zur Selbstdarstellungspropaganda eines rechtsradikalen Schlächters zu werden. Der 33-jährige Anders Behring Breivik plädiert auf nicht schuldig. Er habe aus Notwehr gegen Moslems gehandelt.
Der Prozess zum schlimmsten Verbrechen in Norwegens Geschichte droht zur Selbstdarstellungspropaganda eines rechtsradikalen Schlächters zu werden. Der 33-jährige plädiert auf nicht schuldig. Er habe aus Notwehr gegen Moslems gehandelt, so Breivik. Vor allem kämpft er darum, als zurechnungsfähig anerkannt zu werden. Deshalb müsse er ausreichend Zeit zur Selbstdarstellung erhalten, so Breiviks Anwalt Geir Lippestad.
Massenmörder Anders Behring Breivik fängt am ersten Prozesstag im Osloer Amtsgericht zu weinen an. Aber nicht die über eine Stunde währende Aufzählung aller Todesopfer und deren detaillierte, medizinische Todesursachen, bringen ihn zum Weinen.
Ein feistes, fast kindisches Grinsen
Die Staatsanwältin zählt zur Anklageeröffnung jeden einzelnen Fall auf. Die 69 Todesfälle von Utöya ähnelten sich dabei so sehr, dass die Zuschauer sie kaum noch auseinanderhalten können. Anklägerin Inga Bejer Engh fährt unbeirrt mit ihrer Aufzählung fort: „Eine Kugel war durch das Auge in das Gehirn der 14-jährigen Brigitta eingetreten. Eine weitere durch ihr rechtes Ohr. Eine dritte Kugel, entweder von Breiviks Pistole oder seinem Gewähr, zeriss ihren linken Lungenflügel und trat im Rücken wieder aus. Der Tod trat vermutlich schon durch die Kopfverletzungen ein“.
Breiviks runder Kopf wirkt entrückt. Er versucht stählern zu wirken, aber hatte es offenbar schwer, ein feistes, fast kindisches Grinsen zu unterdrücken. Erst als die Anklage sein Propagandavideo aus dem Gerichtsaal der ganzen Welt zeigt, beginnen Breiviks Lippen zu beben, sein Kopf wird rot. Das Weinen lässt sich nur noch schwer aufhalten.
Es ist rund zwölf Minuten lang, sein Video. „Europäer, greift zu den Waffen wie unsere Vorfahren und begebt euch auf den Kreuzzug gegen Moslems“, so der Tenor. Untermalt wird das mit ergreifender Musik und eingängigen antimarxistischen und antimoslemischen Bildern und einer Scharade aus romantischen Kreuzritterzeichnungen. Sie sind auf dem Weg nach Jerusalem, und am Ende die zwei bekannten Fotos von Breivik selbst, in seiner skurrilen Taucheruniform mit Gewehr, als ob er die logische Fortsetzung Richard von Löwenherz’ wäre. Bei dem Anblick seines Videos weint der 33-Jährige, aus Entzückung, aus Selbstmitleid, weil er Großes geleistet haben will. Weil seine Tat eben „grausam war, aber doch notwendig“, wie er zuvor sagte.
Anwalt hatte vor Breiviks Aussagen gewarnt
„Ich glaube er hat geweint, weil er gerührt war über das, was er erreicht hat“, sagte John Kyrre Hestnes, einer der zahlreichen Psychologen, die sich am Gericht in Oslo und den 17 weiteren Gerichten im Lande, aus denen der Prozess unzensiert ausgestrahlt wird, um die Angehörigen und Überlebenden kümmern.
Breiviks Chef-Anwalt Geir Lippestad hatte die Öffentlichkeit schon im Vorfeld gewarnt. Sein Mandant werde vor Gericht Erklärungen abgeben, die „schwer zu ertragen“ sind. Breivik wolle sein Bedauern darüber äußern, „nicht noch weiter gegangen zu sein“. Er wolle der Welt sein Weltbild erklären. Er wolle, dass man ihn versteht und vor allem für zurechnungsfähig erklärt, beschreibt Lippestad den Hauptfokus der Verteidigung, die völlig auf den Wünschen des Angeklagten aufgebaut sei.
Deshalb, um Breiviks Zurechnungsfähigkeit einschätzen zu können, müsse er viel Raum bekommen, um sich darstellen zu können, argumentiert Lippestad. Nur so könne das Gericht nach einem Gutachten aus dem November, das Breivik eindeutig als geistig gestört und unzurechnungsfähig beschreibt, und einem zweiten, neuen Gutachten, das ihm genauso eindeutig hundertprozentige Zurechnugnsfähigkeit zuschreibt, urteilen, so Lippestad. Das Gericht bewilligt es.
Breivik bekommt seine Bühne
Breivik bekommt die Weltbühne, die er sich gewünscht hat, für seine Ideologie, seinen Hass. Der Prozess wird sogar simultan ins Englische übersetzt für die über 300 Journalisten. Normalerweise wäre es im Sinne der Verteidigung erstrebenswert, für den Mandanten mildernde Umstände geltend zu machen. Sie könnte sich dabei auf ein psychiatrisches Gutachten stützen, in dem Breivik „paranoide Schizophrenie“ bescheinigt. Dann würde die Zwangseinweisung in die Psychatrie folgen.
Aber Breivik will ernst genommen werden. Zudem ist das norwegische Strafwesen eines der humansten der Welt. Nicht nur die Todesstrafe hat man abgeschafft. Es gibt auch kein „lebenslänglich“ mehr. Aus dem Gefängnis könnte Breivik bei guter Führung schon mit 50 wieder entlassen werden.
Die Schuldfähigkeit wird deshalb die Hauptfrage eines Prozesses, der schon am ersten Verhandlungstag und trotz aller Kritik und Warnungen, etwa von Opferangehörigen, zu einem Zirkus zu werden droht. Eine Bühne für einen Rechtsextremen, auch hinter Schloss und Riegel als Brandstifter wirken könnte. Breivik grüßte das Gericht mit dem modernen Hitlergruß, das heißt, die Faust wird geballt statt sie flach in die Luft zu strecken. In ganz Europa gibt es Menschen, die Breivik bewundern und mehr noch, ihm nacheifern wollen. Das wird in diversen Internetforen mehr als deutlich.
Breivik wirkt vor Gericht ungerührt
Der ganze Prozess wirkt schon am ersten Tag absurd, denn die Schuldfrage ist schon geklärt. Als die Richterin und dann die Staatsanwaltschaft das Leben des Angeklagten beschreiben, widerspricht Breivik. Er sei eben nicht arbeitslos: „Nein, ich bin Schriftsteller. Ich schreibe an meinem zweiten Buch“, sagt er. Das erste Buch ist sein Kreuzrittermanifest, mit über 1000 Seiten, die er aus dem Internet zusammenkopiert hat.
Die Staatsanwaltschaft kommt auf das Computerkriegsspiel „World of Warcraft“ zu sprechen: „Breivk hat ein ganzes Jahr vollzeit nur dieses Spiel gespielt und vor der Polizei zugegeben, dass es eine Vorbereitung für den Massenmord gewesen sei.“ Breivk zeigt, bis auf sein kurzes Weinen, kaum eine Rührung im Gesicht, manchmal dringt das Lächeln durch, dann drückt er es wieder zurück ins Innere. Er sieht ein wenig aus wie Computerspieler die völlig in ihrer eigenen Welt am Bildschirm versunken sind. Entrückt sind.