Berlin. Der Generalinspekteur der Bundeswehr Wolfgang Schneiderhan tritt zurück. Grund sind zurückgehaltene Informationen über den von einem deutschen Oberst angeordneten Luftangriff in Afghanistan. Verteidigungsminister Guttenberg verspricht Aufklärung - und wäscht seine eigenen Hände in Unschuld.
Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan, tritt zurück. Das teilte Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) am Donnerstag im Bundestag mit. Für die Nichtvorlage von Berichten zum umstrittenen Luftschlag von Kundus sei «an maßgeblicher Stelle» Verantwortung übernommen worden. Das treffe auch auf Staatssekretär Peter Wichert zu.
Jung verteidigt sich gegen Vorwürfe
Die Opposition legt dem früheren Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) inzwischen den Rücktritt nahe. SPD, Linke und Grüne forderten den jetzigen Arbeitsminister am Donnerstag im Bundestag einhellig auf, Konsequenzen aus dem Vorfall zu ziehen. Außerdem müssten die Umstände des Luftangriffs in einem Untersuchungsausschuss aufgeklärt werden.
Der Beschuldigte allerdings weist die Vorwürfe zurück, er habe Informationen zum Luftangriff in Afghanistan unterdrückt. Er habe von Anfang an zivile Opfer nicht ausgeschlossen, sagte Jung, der inzwischen Bundesarbeitsminister ist. Er habe damals vom Gouverneur und der Polizei in Kundus die Information erhalten, dass Befragungen vor Ort ergeben hätten, lediglich Taliban und deren Verbündete seien von dem Luftangriff getroffen worden. Dies seien damals seine Informationen gewesen, fügte Jung hinzu.
Bundestagssitzung unterbrochen
Der Opposition genügen diese Aussagen jedoch nicht: Sie wollte Jung zu einer Stellungnahme im Bundestag zwingen, scheiterte jedoch mit diesem Antrag. Jung sprach daraufhin freiwilig vor dem Bundestag und erbat sich Zeit, um den Vorwürfen nachzugehen. Noch am Donnerstag will er sich ausführlicher vor dem Parlament äußern.
Die Linksfraktion im hessischen Landtag fährt indessen noch schwerere Geschütze auf und hat Jung angezeigt. Zudem sei dieser jenseits der juristischen Auseinandersetzung als Bundesminister nicht mehr tragbar, erklärte Fraktionschef Willi van Ooyen am Donnerstag in Wiesbaden.
SPD denkt über Untersuchungsausschuss nach
Die SPD erwägt indessen die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses zum Luftschlag von Kundus. «Wenn es richtig ist, dass Sie dem Parlament Informationen vorenthalten haben, ist das ein mehr als ernster Vorgang», sagte der SPD-Abgeordnete Johannes Pflug im Bundestag an die Adresse von Ex-Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU). Zugleich legte er dem jetzigen Arbeitsminister einen Rücktritt nahe. Jung werde wohl an einem Untersuchungsausschuss «nicht vorbeikommen, es sei denn, Sie ziehen vorher die Konsequenzen».
Die «Bild»-Zeitung hatte in ihrer Donnerstagsausgabe unter Berufung auf einen Bericht der deutschen Militärpolizei und geheime Videos berichtet, dass das Ministerium bereits früh Hinweise auf zivile Opfer des am 4. September von einem deutschen Offizier angeordneten Luftangriffs und auf unzureichende Aufklärung vor dem Bombenabwurf gehabt habe.
Guttenberg will Vorfall aufklären
Guttenberg sicherte dem Parlament eine Neubewertung des Vorfalls auch auf Grundlage der neuen Berichte zu. Der CSU-Politiker ergänzte, seine bisherige Bewertung des Luftschlages mit zivilen Opfern habe er auf Grundlage des Berichts des ISAF-Kommandeurs abgegeben.
Der Angriff war von dem Bundeswehr-Oberst Georg Klein befohlen worden. Laut Nato kamen bei dem Angriff bis zu 142 Menschen ums Leben - darunter auch Zivilisten. Der Zeitung zufolge dokumentiert eine Untersuchung der Bundeswehr-Feldjäger detailliert, die festhält, zu welchem Zeitpunkt Informationen über zivile Opfer vom deutschen Regionalkommando in Masar-i-Scharif ans Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Potsdam übermittelt wurden. Dieser Bericht wurde nach Informationen der Zeitung aber nicht an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet.
Frühe Hinweise auf zivile Opfer
Bereits am Abend des 4. September gab es laut «Bild» dem Bundeswehrbericht zufolge Hinweise darauf, dass auch Kinder bei dem Angriff verletzt worden waren. So habe ein deutscher Oberstarzt im Regionalkommando in seinem Bericht, der ebenfalls am Abend des 4. September nach Potsdam übersandt wurde, erst von einem Kind, später von zwei Jungen geschrieben, die verletzt worden seien. Zudem sei von «zwei Leichen im Teenager-Alter die Rede gewesen. Verteidigungsminister Jung habe aber noch zwei Tage später behauptet, es seien ausschließlich terroristische Taliban getroffen worden.
Der «Bild"-Zeitung zufolge dokumentieren der interne Bundeswehr-Bericht und das Angriffsvideo auch schwere Versäumnisse bei der Aufklärung unmittelbar vor dem Bombenabwurf. Demnach hatte der Augenzeuge, der behauptet hatte, es seien nur Aufständische an den Tanklastern, gar keinen Sichtkontakt zu den entführten Fahrzeugen.
Afghanistan-Mandat steht zur Debatte
Die Nato-Verbündeten seien bei der Auswertung von Videobildern in einem Bericht vom 6. September zu dem Schluss gekommen, dass es für Klein unmöglich gewesen sei, anhand der Bilder die Aussagen des Informanten zu bekräftigen. Zudem habe Kleins Vorgesetzter, Brigadegeneral Jörg Vollmer, am Abend des 4. September an das Einsatzführungskommando gemeldet, dass Kleins Informant die Tankfahrzeuge nicht einmal sehen konnte. Dennoch sagte Jung am 8. September im Bundestag zu Kleins Vorgehen: «Er hatte durch klare Aufklärungsmittel den eindeutigen Hinweis, dass es sich ausschließlich um regierungsfeindliche Kräfte handelt.»
Der Bericht ist wohl nicht zufällig am Donnerstag publik geworden: Seit dem Morgen berät der Bundestag über die Verlängerung der Auslandseinsätze der Bundeswehr in Afghanistan, am Horn von Afrika und vor der libanesischen Küste. Vorerst für ein weiteres Jahr sollen maximal 4.500 deutsche Soldaten in Afghanistan stationiert werden. Das geltende Mandat läuft am 13. Dezember aus.
Gegen Truppenaufstockung
Eine rasche Aufstockung deutscher Truppen in Afghanistan lehnt Deutschland nach den Worten von zu Guttenberg (CSU) lehnt Deutschland ab. «Wir lassen uns nicht in ein Zeitkorsett zwängen», sagte Guttenberg im Bundestag. Es könne nicht sein, dass bereits wenige Tage nach der Grundsatzentscheidung von US-Präsident Barack Obama am 7. Dezember eine Truppenstellerkonferenz stattfinden soll, auf der es um mehr Soldaten geht. Deutschland wolle vielmehr seine «eigene Handschrift» deutlich machen.
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Nach dem von der Bundesregierung vorgelegten Mandat soll sich die Bundeswehr weiterhin mit bis zu 4500 Mann an der Internationalen Schutztruppe ISAF beteiligen können. Einsatzschwerpunkte bleiben danach der Norden des Landes und Kabul. Auf eine ursprünglich erwogene Truppenaufstockung wurde verzichtet.
«Es gibt weiterhin klare Gefährdungen», das treffe auch für die Sicherheit Deutschlands zu, sagte Guttenberg und betonte, von Afghanistan dürfe keine Gefahr mehr für die internationale Sicherheit ausgehen. Die Region dürfe nicht wieder zum Rückzugsraum für Terroristen werden. Zugleich plädierte Guttenberg dafür, den ISAF-Einsatz «vom Ende her zu denken». Bei allem Engagement müsse das Ziel sein, dass die Afghanen in absehbarer Zeit für ihre eigene Sicherheit sorgen. (afp/ap/ddp)