Berlin. In der Affäre um den Luftschlag der Bundeswehr in Afghanistan gerät der ehemalige Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung unter Druck. Er soll die Öffentlichkeit belogen haben. Die Opposition forderte seinen Rücktritt. Doch Jung - jetzt Arbeitsminister - lehnt diesen ab.
Der wegen des umstrittenen Luftschlags von Kundus unter Druck geratene Bundesarbeitsminister Franz Josef Jung (CDU) will im Amt bleiben. Das bekräftigte Jung am Donnerstag im Bundestag in Berlin.
Jung rechtfertigte sein umstrittenes Verhalten nach dem tödlichen Luftangriff auf zwei Tanklaster in Afghanistan. Er habe Parlament und Öffentlichkeit «korrekt über seinen Kenntnisstand informiert», sagte der CDU-Politiker und amtierende Arbeitsminister am Donnerstag vor dem Bundestag in Berlin.
Zugleich räumte er ein, zwar den jetzt diskutierten Bericht der Feldjäger der Bundeswehr mit zusätzlichen Erkenntnissen über den Bombenabwurf zur Weitergabe an die Nato freigegeben zu haben. «Konkrete Kenntnis von diesem Bericht habe ich allerdings nicht erhalten.»
Jung war wegen des umstrittenen Luftschlags von Kundus in heftige Bedrängnis geraten. Nach jüngsten Medienenthüllungen legte die Opposition am Donnerstag im Bundestag dem CDU-Politiker einen Rücktritt nahe.
Der Vorwurf lautet, Jung habe in seiner Zeit als Verteidigungsminister im September die Öffentlichkeit über die Hintergründe des von einem deutschen Oberst befohlenen Luftangriffes in Nordafghanistan mit Dutzenden Toten belogen. Der Minister kündigte eine zügige Überprüfung der neuen Vorhaltungen an.
Anwalt will neue Beweise vorlegen
Der Bremer Anwalt von Angehörigen der Opfer des Bombenangriffes von Kundus, Karim Popal, will am Freitag in Berlin zudem neues Beweismaterial dafür vorlegen, dass weitaus mehr als die vom Bundesverteidigungsministerium angegebenen 30 bis 40 zivilen Opfer bei dem Angriff starben. Das erklärte Popal, der 78 afghanische Familien dieser Opfer vertritt, gegenüber der WAZ-Mediengruppe in Essen.
Laut Popal, der selbst sowohl über die afghanische wie die deutsche Staatsbürgerschaft verfügt, sind bei dem Angriff 168 zivile Opfer ums Leben gekommen, darunter auch zwei- und dreijährige Kinder. „Wir haben viel Material, viele Beweismittel dafür”, sagt der Anwalt. Popal fordert im Namen der Opfer-Familien eine Entschädigung, um Zivilklagen zu vermeiden und wartet derzeit auf eine Reaktion des Verteidigungsministeriums zu seinen Forderungen.
Schneiderhan und Staatssekretär zurückgetreten
Unterdessen gab es erste personelle Konsequenzen im Verteidigungsministerium. Sowohl Generalsinspekteur Wolfgang Schneiderhan als auch Staatssekretär Peter Wichert reichten ihre Rücktritte ein. «Der Generalinspekteur hat mich gebeten, ihn von seinen Dienstpflichten zu entbinden und ebenso hat Staatssekretär Wichert Verantwortung übernommen», sagte Ressortchef Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU). Er dankte zugleich Schneiderhan für seine siebeneinhalb Jahre an der Spitze der Bundeswehr.
Frühe Hinweise auf zivile Opfer
Die «Bild»-Zeitung hatte zuvor unter Berufung auf einen Bericht der deutschen Militärpolizei und geheime Videos berichtet, dass das Verteidigungsministerium bereits früh Hinweise auf zivile Opfer in Kundus gehabt habe. Das Ministerium habe zudem gewusst, dass dem Bombenabwurf eine unzureichende Aufklärung vorausgegangen sei. Bei dem Angriff am 4. September waren bis zu 142 Menschen ums Leben gekommen. Jung hatte auch noch Tage nach dem Angriff gesagt, nach seinen Informationen seien ausschließlich terroristische Taliban getötet worden.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will die Vorwürfe nun vollständig aufklären lassen. Es müsse hier «volle Transparenz geben», damit das Vertrauen in den Bundeswehreinsatz in Afghanistan erhalten bleibe, sagte Merkel in Berlin.
Koalition stellt sich hinter Jung
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Guttenberg versicherte, er habe von diesen internen Berichten bis Mittwoch nichts gewusst. Für die Opposition steckt derweil mehr dahinter als nur eine Informationspanne. Nach dem Willen von SPD, Linken und Grünen sollen die Hintergründe in einen Untersuchungsausschuss geklärt werden. Der Grünen-Abgeordnete Frithjof Schmidt forderte, der Verteidigungsausschuss solle sich dafür in einem Untersuchungsausschuss umwandeln. Dieser hat als einziger der 22 ständigen Ausschüsse des Bundestages das Recht dazu.
Union-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) lehnte auf n-tv einen Untersuchungsausschuss ab und stellte sich vor Jung: «Ich gehe davon aus, dass er es auch nicht gewusst hat, wenn es Guttenberg nicht gewusst hat.» Auch andere Politiker von Union und FDP warnten vor Vorverurteilungen. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Fraktion, Peter Altmaier (CDU), mahnte, sich nicht nur auf einen Zeitungsbericht zu stützen. Die von der Opposition erhobenen Vorwürfe seien «in nichts begründet». Die FDP-Wehrexpertin Elke Hoff fügte hinzu, noch sei es zu früh, einer einzelnen Person ein persönliches Fehlverhalten vorzuwerfen.
Die Opposition will den Rücktritt
Die Opposition sah dies anders. Wenn sich die jüngsten Enthüllungen bestätigen sollten, werde Jung an einer parlamentarischen Aufklärung «nicht vorbeikommen, es sei denn, Sie ziehen vorher die Konsequenzen», sagte der SPD-Abgeordnete Johannes Pflug. Der Linke-Verteidigungsexperte Paul Schäfer forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf, Jung «unverzüglich die Entlassungspapiere auszustellen». Er kritisierte: «Ein solcher Minister ist entweder unehrlich oder unfähig.» Für den Grünen-Abgeordneten Schmidt wäre Jung, sollten sich die Vorwürfe bewahrheiten, «als Minister nicht mehr haltbar - egal in welcher Funktion».
Da sowohl SPD, Linke als auch Grüne sich für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses einsetzten, wird Jung sich vermutlich stellen müssen. Denn damit würde das erforderliche Quorum von 25 Prozent der Abgeordneten im Bundestag erreicht. Offen ist noch, ob dafür ein neues Gremium gebildet wird oder der Verteidigungsausschuss für diese Angelegenheit zu einem Untersuchungsausschuss teilweise umgebildet wird.
Steinmeier: "Informationen vorenthalten"
"Die jüngsten Enthüllungen werfen ein neues Licht auf die Ereignisse in Kundus», erklärte SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier in Berlin. «Offenbar sind Informationen, die im Verteidigungsministerium vorlagen, der Öffentlichkeit und dem Parlament systematisch vorenthalten worden.» Über die Entlassung von Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan und Verteidigungsstaatssekretär Peter Wichert hinaus stelle sich die Frage der politischen Verantwortung, erklärte Steinmeier weiter.
Stichwort Untersuchungsausschuss
Einen eigenen Untersuchungsausschuss müsste das Plenum des Bundestages mit einem Viertel seiner Stimmen beschließen. Eine Umformung des Verteidigungsausschusses könnte das Gremium selbst mit ebenfalls 25 Prozent seiner Stimmen beschließen. Anders als ein eigenständiger Untersuchungsausschuss würde der umgeformte Verteidigungsausschuss aber nicht öffentlich tagen.
"Wir fordern die sofortige Herausgabe aller Informationen und eine umfassende Aufklärung des Bundeswehreinsatzes», erklärte Linken-Fraktionsvize Jan van Aken. «Hierzu ist die sofortige Einsetzung eines Untersuchungsausschusses unerlässlich.» Grünen-Chefin Claudia Roth sagte, der Verteidigungsausschuss solle sich als Untersuchungsausschuss mit dem Fall befassen. Über diesen Vorschlag hatten die drei Oppositionsfraktionen zunächst noch kein Einvernehmen erzielt, es wurde aber mit einer Einigung gerechnet.
Für die Grünen erklärte ihre Vorsitzende Claudia Roth, wenn Jung die Informationen nicht bekannt gewesen seien, «dann wäre das ein vollständiges Führungsversagen. Wenn ihm diese Informationen dagegen bekannt waren, hätte er das Parlament und die Öffentlichkeit schlicht belogen.» In beiden Fällen sei er als Minister nicht mehr tragbar.
Guttenberg gegen Aufstockung deutscher Truppen
Durch die Personaldebatte wurde die ursprünglich im Mittelpunkt der Sitzung stehende Verlängerung des ISAF-Einsatzes deutscher Soldaten in Afghanistan in den Hintergrund gedrängt. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) und Guttenberg bezeichneten die einjährige Mandatsverlängerung mit einer Obergrenze von weiterhin 4500 Mann als alternativlos. Die SPD kündigte Zustimmung an, die Grünen äußerten Vorbehalte. Die Linke will das Mandat wie bisher schon ablehnen.
Guttenberg machte zugleich deutlich, dass Deutschland eine rasche Aufstockung deutscher Truppen in Afghanistan nicht mitmache. «Wir lassen uns nicht in ein Zeitkorsett zwängen», sagte er. Es könne nicht sein, dass bereits wenige Tage nach der Grundsatzentscheidung von US-Präsident Barack Obama am 7. Dezember eine Truppenstellerkonferenz stattfinden soll, auf der es um mehr Soldaten geht. Nach Informationen des «Kölner Stadt-Anzeiger» ist von bis zu 6500 deutschen Soldaten die Rede. (afp/ap/ddp)