Berlin. Der damalige Verteidigungsminister Jung (CDU) soll nach Medienberichten Informationen zum Luftangriff auf zwei Tanklaster in Afghanistan zurückgehalten haben. Bei dem Angriff im September waren Zivilisten getötet worden. Jungs Nachfolger Guttenberg versprach Aufklärung.
Der Vorsitzende der CDU/CSU/Bundestagsfraktion, Volker Kauder, hat eine «lückenlose Aufklärung» der Vorwürfe gegen die Bundeswehr gefordert, wesentliche Informationen über den schweren Luftangriff in Afghanistan zurückgehalten zu haben. Darüber berichtet die «Bild»-Zeitung am Donnerstag unter Berufung auf Geheimberichte der Bundeswehr und ein Video des Luftangriffs aus einem der beteiligten Kampfflugzeuge. Demnach hätte der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) bereits viel früher über mögliche zivile Opfer informiert sein müssen als bisher bekannt.
Kauder zeigte sich überzeugt, dass Jung nichts von diesen Aufnahmen gewusst habe. «Jung hätte nie und nimmer behauptet, es gebe keine zivilen Opfer, wenn er es gewusst hätte,» sagte Kauder. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss sei vorerst nicht nötig. Auch der Verteidigungsausschuss könne diese Aufgaben übernehmen.
Frühe Hinweise auf zivile Opfer
Der Angriff war von dem Bundeswehr-Oberst Georg Klein befohlenen worden. Laut Nato kamen bei dem Angriff bis zu 142 Menschen ums Leben - darunter auch Zivilisten. Der Zeitung zufolge dokumentiert eine Untersuchung der Bundeswehr-Feldjäger detailliert, zu welchem Zeitpunkt Informationen über zivile Opfer vom deutschen Regionalkommando in Masar-i-Scharif ans Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Potsdam übermittelt wurden. Dieser Bericht wurde nach Informationen der Zeitung aber nicht an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet.
Bereits am Abend des 4. September gab es laut «Bild» dem Bundeswehrbericht zufolge Hinweise darauf, dass auch Kinder bei dem Angriff verletzt worden waren. So habe ein deutscher Oberstarzt im Regionalkommando in seinem Bericht, der ebenfalls am Abend des 4. September nach Potsdam übersandt wurde, erst von einem Kind, später von zwei Jungen geschrieben, die verletzt worden seien. Zudem sei von «zwei Leichen im Teenager-Alter die Rede gewesen. Verteidigungsminister Jung habe aber noch zwei Tage später behauptet, es seien ausschließlich terroristische Taliban getroffen worden.
Jung hielt an der Rechtmäßigkeit fest
Der «Bild"-Zeitung zufolge dokumentieren der interne Bundeswehr-Bericht und das Angriffsvideo auch schwere Versäumnisse bei der Aufklärung unmittelbar vor dem Bombenabwurf. Demnach hatte der Augenzeuge, der behauptet hatte, es seien nur Aufständische an den Tanklastern, gar keinen Sichtkontakt zu den entführten Fahrzeugen.
Die Nato-Verbündeten seien bei der Auswertung von Videobildern in einem Bericht vom 6. September zu dem Schluss gekommen, dass es für Klein unmöglich gewesen sei, anhand der Bilder die Aussagen des Informanten zu bekräftigen. Zudem habe Kleins Vorgesetzter, Brigadegeneral Jörg Vollmer, am Abend des 4. September an das Einsatzführungskommando gemeldet, dass Kleins Informant die Tankfahrzeuge nicht einmal sehen konnte. Dennoch sagte Jung am 8. September im Bundestag zu Kleins Vorgehen: «Er hatte durch klare Aufklärungsmittel den eindeutigen Hinweis, dass es sich ausschließlich um regierungsfeindliche Kräfte handelt.»
Guttenberg verspricht Aufarbeitung
Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) kündigte in der Zeitung eine Untersuchung der Vorgänge an. «Sollten mir zu Kundus nicht alle relevanten Informationen aus der letzten Legislaturperiode vorgelegt worden sein, werde ich unverzüglich Konsequenzen ziehen müssen.» Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums wollte zu dem Bericht der «Bild"-Zeitung zunächst keine Stellungnahme abgeben.
Die Generalsekretärin der deutschen Amnesty-Sektion, Monika Lüke, forderte ein Gesetz, dass die Bundeswehr an den Schutz der Menschenrechte bindet. Ohne ein solches Gesetz könne der Angriff bei Kundus nur schwer aufgearbeitet werden. «Durch ein Gesetz würde klarer, was Soldaten dürfen und was nicht. Das gibt den Soldaten Rechtssicherheit, wirkt sich positiv auf die Wahrnehmung der Bundeswehr bei den Afghanen aus und schafft letztlich auch Vertrauen in der deutschen Öffentlichkeit», sagte sie.
Beratung über Afghanistan-Mandat im Bundestag
Die Berichte werden zu einem heiklen Zeitpunkt öffentlich. Denn am Donnerstag ab 9.00 Uhr berät der Bundestag über die Verlängerung der Auslandseinsätze der Bundeswehr in Afghanistan, am Horn von Afrika und vor der libanesischen Küste. Vorerst für ein weiteres Jahr sollen maximal 4.500 deutsche Soldaten in Afghanistan stationiert werden. Das geltende Mandat läuft am 13. Dezember aus.
Nicht mehr verlängert werden soll das Mandat für die AWACS-Aufklärungsflugzeuge, die wegen fehlender Überflugrechte nicht zum Einsatz kamen. Seit 2001 sichert die Bundeswehr im Rahmen der Internationalen Schutztruppe (ISAF) den Frieden am Hindukusch. Beim Afghanistan-Mandat geht es um die Verlängerung für ein Jahr, der Bundestag berät darüber in erster Lesung. (afp/ap/ddp)