Witten. Es war landesweit bekannt, nur in der Ruhrstadt nicht oft zu sehen: das Wittener Kinder- und Jugendtheater. Nun ist Schluss.

  • Das Wittener Kinder- und Jugendtheater verlässt nach 45 Jahren die Bühne.
  • Gründer Ralph Reiniger übt zum Schluss noch Kritik am Verhalten der Stadt Witten.
  • Das Ensemble geht mit einem „Pettersson“-Stück auf große Abschiedstournee.

Auf der Homepage des Wittener Kinder- und Jugendtheaters ist es schon seit einer Weile zu lesen: „Wir stellen Ende 2024 unseren regulären Spielbetrieb ein.“ 45 Jahre lang hat das Ensemble um Gründer Ralph Reiniger (66) Klassiker, moderne Stücke sowie Selbstgeschriebenes auf die Bühnen gebracht. In Deutschland und Österreich war die Truppe unterwegs - und ist doch in ihrer Heimat Witten nie von der Stadt gebucht worden.

„Absurd“, nennt Ralph Reiniger die Situation im Rückblick - auch wenn er deshalb kein großes Fass mehr aufmachen will. Es ist auch nicht der Grund, warum jetzt Schluss ist. „Es ist einfach genug“, sagt der Theaterpädagoge. Nur etwas will er noch loswerden: Zwar habe sein Theater zuletzt 9.200 Euro pro Jahr aus städtischen Mitteln erhalten, ansonsten aber kaum Unterstützung erfahren. So musste er die Räumlichkeiten im Saalbau zum Beispiel selbst anmieten. Das Geld sei also quasi wieder an die Stadt zurückgeflossen. Und viel sei dann von den Einnahmen auch nicht mehr übrig geblieben.

Vom Dschungelbuch bis zu Pippi Langstrumpf

Dabei hatte alles so vielversprechend in Witten begonnen. Der gebürtige Bochumer, der Theaterwissenschaften studierte und auch mal an der Schauspielschule war, hatte im Haus der Jugend an der Nordstraße einen Theaterkurs gegeben. „Dabei habe ich passende Mitstreiter gefunden und so ist das entstanden.“

Abschiedstournee: Warum das Wittener Kinder- und Jugendtheater hinschmeißt
Umgeben von Theaterplakaten: Ralph Reiniger in seinem Büro am Haldenweg in Heven. Er hat vor 45 Jahren das Wittener Kinder- und Jugendtheater gegründet. © FUNKE Foto Services | Sebastian Sternemann

Reiniger erinnert sich noch an das erste Stück, mit dem das Ensemble auf Tour ging: „Trummi kaputt“, dessen Text vom bekannten Berliner Grips-Theater stammte. Trummi war eine Art Roboter. „Schon damals war der Einfluss von Technik auf Kinder ein Thema“, so Reiniger. Mal spielte das Wittener Kinder- und Jugendtheater, das seinen Namen über die Jahre der Einfachheit halber behielt, Stücke wie das Dschungelbuch, Pippi Langstrumpf oder Pumuckl. Mal wurde experimentiert.

Bis zu 400 Vorstellungen pro Jahr hat die Gruppe, zu der längst mehrere Ensembles gehörten, gegeben. Sie sind dazu auch in kleine Städtchen gereist, „in die ich sonst nie gekommen wäre.“ Ralph Reiniger liebt das: unterwegs sein, über Land fahren, im einzigen Wirtshaus des Ortes einkehren. „Das bedeutet Freiheit.“

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Natürlich kennt er auch die Schattenseiten des Jobs: die sehr arbeitsintensiven Tourneen, die logistische Herausforderung, das Fehlen jeglicher Sicherheit. „Man lebt von der Hand in den Mund.“ Reiniger, der auch mal selbst auf der Bühne stand, erzählt von einem Auftritt in einer riesigen Halle in einem kleinen friesischen Dorf. Genau sechs Kinder saßen dort im Publikum.

Sie sind auch schon an falschen Spielorten gelandet - wenn zwei Städte den gleichen Namen trugen. Und sie haben die Polizei in Staunen versetzt, als die Truppe im Winter auf eisiger Fahrbahn mit dem Bus im Graben landete. „Keinem ist was passiert. Aber es war bitterkalt. Und weil die Schauspieler so froren, haben sie einfach zusätzlich die Kostüme übergezogen.“ Da saßen also Prinz und Prinzessin am Straßenrand, als die Ordnungshüter auftauchten.

November 2005: Das Wittener Kinder- und Jugendtheater spielt „Dornröschen“ im Saalbau. Mit dabei: Anne Scherliess (li.) und Annike Weitershagen. Im Bärenkostüm steckt Oliver Grice.
November 2005: Das Wittener Kinder- und Jugendtheater spielt „Dornröschen“ im Saalbau. Mit dabei: Anne Scherliess (li.) und Annike Weitershagen. Im Bärenkostüm steckt Oliver Grice. © WAZ | Foto: Werner Liesenhoff

Mit solchen Anekdoten ist es nun also vorbei. Einen Nachfolger hat Ralph Reiniger nicht gefunden. Aber zur Ruhe setzen wird er sich keineswegs. Denn da gibt es noch sein zweites Standbein namens „theaterconcept“, das er vor etwa 25 Jahren mit der Stadt Ratingen entwickelte. Es ist Reinigers „sichere Bank“. Denn er lässt sein Ensemble dort den ganzen Sommer lang auf der Naturbühne Blauer See spielen. „40.000 Zuschauer haben wir in der Saison.“ Neulich, sagt Reiniger, habe er noch einen 20-Jahres-Vertrag unterschrieben. Sein Büro am Haldenweg in Heven behält er trotzdem.

Das Ende des Wittener Kinder- und Jugendtheaters habe bei Veranstaltern deutschlandweit Bestürzung ausgelöst, sagt das langjährige Ensemble-Mitglied Andreas Richter. Deshalb wird es auch nicht sang- und klanglos abtreten. „Einen hauen wir noch raus“, sagt Chef Ralph Reiniger. Bald geht die Truppe mit dem Stück „Pettersson zeltet“ auf große Abschiedstournee. 40 Vorstellungen sind bereits gebucht. Zwei Mal werden sie in Witten spielen: am 30. Mai und 1. Juni - in der Werkstadt.

Das kleine Gespenst Witten
„Das kleine Gespenst“: Das Wittener Kinder- und Jugendtheater hat das Stück 2013 aufgeführt. © Wittener Kinder- und Jugendtheater | URSULA HILGER

Das sagt der städtische Veranstalter

„Superschade“ - so äußert sich die Veranstaltungsabteilung „Saalbau und Haus Witten“ des Kulturforums zum Aus des Wittener Kinder- und Jugendtheaters. Dass man das Ensemble dennoch nicht selbst gebucht hat, habe verschiedene Gründe.

Die Bühne des Theatersaals im Saalbau sei einfach zu groß für die Produktionen des Wittener Ensembles. Zudem seien die Wittener häufig in Schulen und Kitas der Ruhrstadt aufgetreten. Wer sie dort gesehen habe, komme dann natürlich nicht mehr zu einer Aufführung in den Saalbau. Wenn das Wittener Kindertheater dennoch den Saalbau buchte, sei man ihm mit der Raummiete entgegengekommen.

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