Witten. Die Protestanten in Witten sollen sich zusammentun. Doch plötzlich stellt sich Stockum quer. Es gibt erbitterten Widerstand gegen die Fusion.
In der evangelischen Kirche in Witten rumort es gewaltig. Mitgliederschwund, Finanzprobleme und Personalmangel erfordern viele Veränderungen. Die Fusion der drei Gemeinden in Annen, Rüdinghausen und Stockum war dabei längst beschlossene Sache. Doch plötzlich stellt sich Stockum quer. Das neue Presbyterium hat alle Beschlüsse gekippt und will nun sein eigenes Ding durchziehen.
Julia Holtz ist sehr unglücklich über das, was gerade geschieht. „Es war alles klar. Die Gemeinde wusste Bescheid. Doch nun macht Stockum einen auf gallisches Dorf und schießt sich damit selbst ins Abseits“, sagt die Superintendentin des Evangelischen Kirchenkreises Hattingen-Witten.
Stockumer Presbyterium im März neu gewählt
Seit Jahren schon hatte sich auch das Stockumer Presbyterium mit der geplanten Fusion beschäftigt, die zum 1. Januar 2026 offiziell werden soll. Im Februar 2024 standen dann Neuwahlen an. Damit einher ging ein nahezu kompletter Wechsel der acht Mitglieder. Es hätten sich viele zur Wahl gestellt, die gegen die - vor einem Jahr verabschiedete - Pfarrerin Aletta Dahlhaus und das alte Presbyterium Stimmung gemacht hätten, kritisiert ein ehemaliger Presbyter. Er will anonym bleiben.
„Früher war alles besser“ - diese Einstellung pflege man im aktuellen Presbyterium der Stockumer Gemeinde. „Da klar war, dass viele dieser Menschen gewählt werden und eine konstruktive Arbeit mit ihnen nicht möglich sein würde, haben sich einige von uns nicht erneut aufstellen lassen“, erklärt der Ehemalige. Superintendentin Julia Holtz bestätigt dieses Empfinden. „Im alten Presbyterium waren liebe, engagierte Menschen. Doch sie hatten mit viel Gegenwind zu kämpfen.“
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Das neue Presbyterium will, dass Stockum eigenständige Gemeinde bleibt. Vorsitzender Norbert Mannebach (71): „Wir haben dieses Signal aus der Gemeinde empfangen.“ Vor allem die Älteren der rund 2300 Mitglieder hätten Angst vor einer Fusion. Sie fürchteten, dass sich alles zum Negativen entwickeln würde, auch angesichts der Kirchenschließungen in den Hölzern. „Die wollen uns verhökern.“ Auch solche Stimmen wurden schon laut.
„Keiner aus Stockum fährt nach Rüdinghausen oder Annen in den Gottesdienst. Sonntags gibt‘s ohnehin keinen Bus“, weiß Mannebach. Die Gläubigen wollen ihre eigene Kirche behalten, deren kleinere Sturmschäden sie gerade zu reparieren versuchen. Das Gebäude steht unter Denkmalschutz, würde ohnehin nicht abgerissen, wie die Superintendentin bereits angekündigt hat.
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Die Mittel für die eigentliche Renovierung wollen sie aus dem bereits erfolgten Verkauf des Pfarrhauses nehmen. Denn - das ist ihnen durchaus klar - darin hätte kein Pfarrer mehr gewohnt. Kleine Gemeinden wie Stockum haben keinen Anspruch auf eine volle Pfarrstelle. Das Paul-Gerhardt-Haus dagegen wollen sie erst mal halten - trotz energetischer Probleme.
„Wir haben uns gegen eine Fusion entschieden und das den beiden Gemeinden so mitgeteilt“, sagt Presbyteriumsvorsitzender Norbert Mannebach. Klärende Gespräche gab es indes nicht. „Die Rüdinghauser und Annener sind entsprechend sauer. Es war, als ob man eine langjährige Beziehung per Whatsapp beendet“, beschreibt Superintendentin Julia Holtz das Verhalten der Stockumer, denen sie nur gut zureden kann. Die letzte Entscheidung liegt in der basisdemokratischen evangelischen Kirche tatsächlich beim Presbyterium.
„Verluste durch Spenden auszugleichen, halte ich für sehr sportlich“
Dieses sei höchstens zu einer Kooperation bereit. Man stellt sich das etwa so vor: Pfarrer helfen sich aus, Konfirmandenunterricht findet gemeinsam statt - was bereits jetzt klappt. Doch den Segen sollen Letztere möglichst in der eigenen Kirche erhalten. Und nicht, wie zuletzt, in der katholischen Kirche von Stockum, mit der man sich aber durchaus verstehe. Superintendentin Julia Holtz hat solchen Widerstand noch nicht erlebt und glaubt, dass er der Gemeinde letztlich eher schade.
„Der Haushalt der Gemeinde ist defizitär. Jedes Jahr gibt sie mehr für Personal und Gebäude aus, als an Geld hereinkommt“, sagt sie. In Stockum liege das strukturelle Defizit inzwischen im fünfstelligen Bereich - und werde von Jahr zu Jahr größer, während die Einnahmen aus Kirchensteuern sinken. Verluste durch Spenden auszugleichen, halte sie für sehr sportlich. Das könne Stockum nicht leisten. Das Spendenaufkommen sei angesichts der Fusionspläne tatsächlich gesunken, heißt es von dort. Doch mit dem Widerstand steige die Spendenbereitschaft wieder.
Gemeindeversammlung am 30. Juni
Holtz hofft auf einen Versöhnungsprozess mit Kompromissen, „damit es in Stockum kein dauerhaftes Versorgungsloch gibt“. Bleibt das Presbyterium bei seiner Entscheidung, dann habe sie als Superintendentin lediglich die Pflicht, eine Grundversorgung bereitzustellen, so dass notwendige Gottesdienste, Trauungen und Beerdigungen stattfinden können.
Presbyteriumsvorsitzender Norbert Mannebach ist einer Annäherung nicht abgeneigt. Bald soll doch ein Gespräch mit der Superintendentin stattfinden, am 30. Juni dann allerdings auch eine Gemeindeversammlung (12 Uhr, Paul-Gerhardt-Haus). „Stockum ist ein Dorf“, sagt der 71-Jährige. Und das will möglichst bei seinen alten Wurzeln bleiben. „Eine Fusion ist unumgänglich“, sagt Julia Holtz. Nur gemeinsam habe die evangelische Kirche in Witten eine Chance.
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