Mülheim. Erstmals stellten sich die Bundestagskandidaten im Wahlkreis Mülheim-Essen I einer gemeinsamen Diskussion. Wer mit welchen Argumenten punktete.
3,5 Millionen. So viele Menschen ab 65 Jahren sind laut dem Statistischen Bundesamt von Armut bedroht. Trotz jahrelanger Arbeit bleibt im Alter kaum etwas übrig. Was wollen die Parteien unternehmen, um die künftigen Renten zu finanzieren - jetzt, da die Boomer-Generation kurz vor dem Eintritt ins Ruhestandsalter steht? Und wie lässt sich die gesellschaftliche Teilhabe von Seniorinnen und Senioren verbessern?
Diese und andere Fragen standen im Mittelpunkt einer ersten großen Diskussionsrunde aller Kandidatinnen und Kandidaten im Wahlkreis Mülheim-Essen I für den nächsten Deutschen Bundestag. Vier Tage nach dem traditionellen TV-Duell zwischen den Kanzlerkandidaten von Union und SPD sowie drei Tage vor dem als „Quadrell“ angekündigten Vierkampf, bei dem RTL auch Grüne und AfD mit an den Tisch bittet, stellte der Mülheimer Seniorenbeirat als Ausrichter also gleich eine Siebener-Runde auf die Beine.
Bundestagswahl 2025: Diskussion wird nur ein einer Stelle kurz giftig

Mit so einem großen Personenkreis eine echte Debatte zu starten, ist fast unmöglich, so dass die Kandidierenden ihre Ansichten zum Thema Pflege oder bezahlbarer Wohnen im Alter mehr oder weniger abwechselnd zum Besten gaben. Etwas Feuer kam nur zu Beginn einmal in die Angelegenheit, als AfD-Kandidat Reinard Zielke die Beendigung der Migration als Möglichkeit für eine Rentenfinanzierung angab. „Wir werden da 50 Milliarden rausholen, die noch in der Welt verschenkt werden. Ein Großteil fließt dann auf jeden Fall in die Rente“, erklärte Zielke.
„Sie holen schon bei der ersten Frage die Migrationskeule raus, weil Sie echte Lösungen auf die drängenden Fragen nicht haben“, entgegnete der Grünen-Kandidat Björn Maue. Tatsächlich konnte Zielke als mit Abstand ältester Teilnehmer keinen inhaltlichen Heimvorteil ausspielen.
Bundestagswahl: Mülheimer Kandidaten positionieren sich zur Rente
Die anderen Kandidaten positionierten sich da durchaus klarer. „Wenn ein Mensch 45 Jahre gearbeitet hat, Kinder großgezogen hat oder Angehörige gepflegt hat, dann muss die gesetzliche Rente deutlich oberhalb der Grundsicherung im Alter liegen“, meinte die CDU-Fraktionsvorsitzende Christina Küsters, die ihre erkrankte Bundestagsabgeordnete Astrid Timmermann-Fechter vertrat. Die Union setze dafür auf eine Aktivrente mit bis zu 2000 Euro steuerfreiem Zuverdienst für alle, die länger arbeiten wollen.

Die FDP ist für einen flexiblen Renteneintritt, aber: „Ich möchte nicht, dass jemand freiwillig länger arbeiten muss, weil er sonst nicht über die Runden kommt“, so Joachim vom Berg als Kandidat der Liberalen. Das unterstützte auch Björn Maue von den Grünen: „Es darf nicht dazu führen, dass eine Zuarbeit erst den Lebensstandard sichern kann.“ Das aktuelle Rentenniveau bedeute aber eben auch, „dass Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, mit dem Eintritt ins Rentenalter in die Bedeutungslosigkeit abgeschoben werden, weil sie sich Teilhabe am öffentlichen Leben nicht mehr leisten können. Und das kann es nicht sein.“
Sturz in die Bedeutungslosigkeit? Was die Parteien dagegen tun wollen
Aber wie lässt sich so ein Sturz in die Bedeutungslosigkeit vermeiden? Während die Linke mit Andreas Johren einen Rechtsanspruch auf soziale Teilhabe will, sieht Maximilian Eitner von den Freien Wählern etwa im Heißener Nachbarschaftshaus auch gute Beispiele in Mülheim. „Die Privatwirtschaft sollte staatlich gefördert werden, so dass sie solchen Aufgaben gerecht werden kann“, forderte der 27-Jährige.

„Es gibt schon tolle Angebote“, meinte auch CDU-Vertreterin Christina Küsters. „Die kennt aber nicht jeder und dadurch gibt es immer noch Menschen, die durchs Raster fallen und leider vereinsamen.“ In den Augen Joachim von Bergs hat Teilhabe aber auch etwas mit der eigenen Einstellung zu tun. Dem widersprach der Kandidat der Grünen: „Ich kann die beste Einstellung haben, wenn ich aber eine Stunde bis zum nächsten Lebensmittelladen brauche, dann wird das nicht funktionieren. Es geht auch um den infrastrukturellen Aspekt, damit die Leute auch vor Ort wohnen bleiben können“, meinte Björn Maue.
Digitale Teilhabe? Mülheimer wollen, dass es auch noch analog klappt
Eine Rolle spielt in diesem Zusammenhang auch immer mehr die digitale Teilhabe - elektronische Tickets für Bus und Bahn oder eine Terminvereinbarung über das Internet. „Es muss aber auch noch eine Möglichkeit zur analogen Teilhabe geben“, meinte Andreas Johren, was etwa Sebastian Fiedler („Man muss nicht alle Leute zwingen, mit dem Smartphone unterwegs zu sein“) oder Björn Maue („Man kann niemandem die Digitalisierung aufstülpen“) unterstützten. Maue schlug eher Anlaufstellen vor, um Leute an die Hand zu nehmen.
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CDU-Vertreterin Christina Küsters hofft indes auf etwas Nachsicht, wenn es einmal mit der digitalen Fahrkarte nicht geklappt hat, „dass man dann nicht gleich eine Strafanzeige schreibt“. Joachim vom Berg nahm die ältere Generation in diesem Punkt aber auch in Schutz. „Wir dürfen nicht so tun, als wären alle Senioren digitale Analphabeten, da unterschätzen wir die Generation ein bisschen.“
Eigene Wohnungsbaugesellschaft des Bundes? „Ja, warum denn nicht?“
Viel wichtiger ist aber die Frage, wie Seniorinnen und Senioren in Zukunft wohnen können und wollen. „Es gibt im Moment einen Run auf den sozialen Wohnungsbau“, wusste SPD-Mann Sebastian Fiedler zu berichten, der noch am selben Tag Bundesbauministerin Klara Geywitz getroffen hatte. „Der Run kommt aber nur daher, weil der normale Wohnungsbau im Moment so schlecht läuft“, entgegnete Joachim vom Berg für die FDP, der auch eher genervt auf Fiedlers Vorschlag einer bundeseigenen Wohnungsbaugesellschaft reagierte.
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„Ja, warum denn nicht“, sprang Linken-Kandidat Johren dem SPD-MdB zur Seite. „Wenn sich das Investment für private Bauunternehmen nicht rentiert, dann sollte der Bund eben selbst bauen, der Staat muss da eingreifen.“ Zudem möchte Maximilian Eitner von den Freien Wählern nicht immer nur den Höchstbietenden gewinnen sehen. „Es sollte der den Zuschlag bekommen, der das sozialverträglichste Wohnbauprojekt realisiert, was der Gemeinschaft hilft.“
Bundestagswahl 2025: So bewerten Mülheims Kandidaten den Zustand der Pflege
Die FDP wolle sich in jedem Fall dafür einsetzen, dass Seniorinnen und Senioren so lange wie möglich im familiären Umfeld bleiben können und das Pflegeheim erst so spät wie möglich zum Thema wird. Der dortige Personalstand ist bekannt. „Eine Pflegekraft kann aber nicht die Hälfte ihrer Arbeitszeit mit Dokumentationen verbringen“, setzt vom Berg auch hier auf Entbürokratisierung.
Für Reinard Zielke von der AfD geht nichts über eine bessere Bezahlung. „Man kann es nur aktivieren, wenn man die Leute auch anständig bezahlt. Wenn ich nur 100 Euro mehr als das Bürgergeld bekomme, dann würde ich mich da auch nicht bewegen“, sagte er.
Der aktuelle Bundestagsabgeordnete Sebastian Fiedler verdeutlichte aber, dass Deutschland 400.000 Menschen im Jahr zusätzlich brauche, „die bei uns arbeiten. Es wäre an dieser Stelle bedeutsam, dass wir in der Welt insgesamt ausstrahlen, dass wir ein weltoffenes Deutschland sind. Und eines, das eben nicht dafür steht, Grenzen dichtzumachen und ausländerfeindlich zu agieren“, betonte der SPD-Politiker.
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