Mülheim. Die Grundsteuerreform wird tausenden Hausbesitzern und Mietern Mehrkosten bescheren. Wie kräftig, entscheidet sich jetzt. Die drei Optionen.
Rund 52.000 Grundstücke gibt es in Mülheim, die die Grundsteuer B zu zahlen ist. Deren Eigentümerinnen und Eigentümer warten gebannt darauf, welche Grundsteuerbelastung im neuen Jahr auf sie zukommt. Am 5. Dezember muss der Stadtrat hier eine Entscheidung fällen. Eine heikle Angelegenheit, insbesondere mit Blick auf das Kommunalwahljahr 2025.
Die vom Bundesverfassungsgericht eingeforderte Grundsteuerreform und deren Umsetzung durch das Land NRW werden für die Bürger eine komplett neue, mitunter auch drastische Umverteilung der Steuerlasten bringen. Mülheims Politik und die Stadtkämmerei werden diese Woche zu entscheiden haben, wie heftig diese Umverteilung einzelne Grundstücksbesitzer treffen wird.
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Bleibt es in Mülheim beim alten Hebesatz, fehlen im Haushalt zehn Millionen Euro
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Bliebe alles beim Alten, nämlich bei einem ohnehin in Mülheim sehr hohen Grundsteuer-Hebesatz von 890 Prozent, würden laut aktueller Zusammenstellung von Stadtkämmerer Frank Mendack 55 Prozent aller Mülheimer Nichtwohngrundstücke (insbesondere Industrie- und Gewerbeflächen) steuerlich entlastet. Mendack kalkuliert bei gleichbleibendem, einheitlichen Hebesatz für die Grundsteuer B insgesamt mit Mindereinnahmen in Höhe von zehn Millionen Euro. Bei rund 60 Millionen Euro Gesamtaufkommen zuletzt ist das ein gewaltiger Batzen Geld für die überschuldete Stadt, auch wenn es ihr gelungen ist, die Zeit riesiger Haushaltsdefizite hinter sich zu lassen.
Trotzdem halten sich der Kämmerer und die Ratskoalition aus CDU und Grünen auch wenige Tage vor der nötigen Entscheidung die Option offen, es beim einheitlichen Hebesatz von 890 Prozent zu belassen. Das bestätigten gegenüber dieser Redaktion deren finanzpolitischen Sprecher Siegfried Rauhut (CDU) und Björn Maue (Grüne). „Wir rechnen noch“, sagt Letzterer - und meint damit wohl insbesondere, dass die Kämmerei bis zum letzten Moment abwarten will, um eine möglichst verlässliche Prognose abgeben zu können hinsichtlich der Gretchenfrage: Könnte Mülheim ein millionenschweres Steuerminus überhaupt verkraften, noch dazu in Zeiten fortdauernder Rezession?
Kämmerer rechnet noch: Kann Mülheim sich ein Steuer-Minus leisten?
Kämmerer Mendack sagt, dass er noch den Dienstag abwarten will, um nach dem aktuellen Steuerlauf zur Gewerbesteuer abschätzen zu können, wie die Steuereinnahmen sich hier entwickeln. Grünen-Politiker Maue stellt klar, dass die Koalition keineswegs gewillt sei, zur Grundsteuer-Kompensation eine neue Spardebatte aufzumachen für Dinge, die Bürger negativ zu spüren bekämen. Eine Kompensation könne gegebenenfalls möglich werden über die Auflösung von nicht näher benannten Rückstellungen oder über Liquiditätskredite, wenn es der Haushalt (und die Bezirksregierung) zulässt.
„Wir haben ja nur die Wahl zwischen drei Übeln“, sagt sein CDU-Kollege Rauhut. Bleibe man bei 890 Prozent Hebesatz, fehlten besagte zehn Millionen Euro im Haushalt. Wolle man dieses Loch stopfen, werde man insbesondere das Wohnen noch mehr verteuern, als es durch die Systematik der Reform ohnehin für viele der Fall sein wird. Bei einem einheitlichen Hebesatz müsste die Stadt laut Modellrechnung des Landes auf 1063 Prozent gehen, um die Reform ohne Einnahmenverlust umzusetzen.
„Wir haben ja nur die Wahl zwischen drei Übeln.“
Dritte Option, die umstrittene Empfehlung der Landesregierung an die Städte und Gemeinden: Mülheim könnte einen differenzierten Hebesatz für Wohngrundstücke (887 Prozent) und Nichtwohngrundstücke (1608 Prozent) festsetzen, um die Lastenverteilung zu Ungunsten des Wohnens zumindest in der Gesamtschau zu umgehen und gleichsam die Einnahmen stabil zu halten.
Klar ist nur eins: Mülheim will insgesamt nicht mehr Grundsteuer kassieren
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In dieser Lösung sieht die kommunale Familie erhebliche verfassungsrechtliche Risiken. Diese teilt laut Rauhut etwa auch Mülheims CDU. Grünen-Finanzpolitiker Maue weist auf zusätzliche Härten hin, die eine solche „Lösung“ brächte. Er bemüht als plakatives Beispiel die Innenstadt-Immobilie mit dem Stadtcafé Sander im Parterre. Das ganze Grundstück werde wegen des Cafés als Gewerbegrundstück bewertet. Die skizzierte Hebesatz-Differenzierung treffe dann aber auch die Mietwohnungen über dem Café...
Es bleibt ein diffiziles Bild, das nun mit Preisschild zu belegen ist. Klar ist für alle Entscheidungsträger, dass sie die Steuerlast insgesamt nicht noch höher werden lassen wollen.
Auch bei unverändertem Hebesatz Mehrbelastung für fast jedes zweite Mülheimer Wohngrundstück
Mendacks Zusammenstellung für die Entscheidung im Rat lässt die Sprengkraft erahnen, die in der politischen Entscheidung steckt. Mal abgesehen von der Umverteilung zulasten der Wohngrundstücke, die ein einheitlicher Hebesatz bringen würde, müssten selbst bei gleichbleibendem Hebesatz knapp die Hälfte aller Eigentümer (48 Prozent) von Wohngrundstücken und mittelbar über die Nebenkosten deren Mieter mit Mehrkosten rechnen.
In der Spitze gar mit mehr als dem Dreifachen, wie Mendack anhand der übermittelten neuen Messbeträge für vier Prozent der circa 46.1000 Wohngrundstücke in der Stadt feststellt. Weitere vier Prozent der Wohngrundstücke würden bei einem Hebesatz von unverändert 890 eine um 200 bis 300 Prozent gestiegene Steuerlast zu tragen haben, neun Prozent müssten mit Kostensteigerungen zwischen 100 und 200 Prozent rechnen. Bei fast einem Drittel der Mülheimer Wohngrundstücke sei eine Mehrbelastung bis zu 100 Prozent ablesbar.
Mülheims Kämmerer will auf den letzten Metern eine Empfehlung geben
Die Sprengkraft der anstehenden politischen Entscheidung zum Kommunalwahljahr 2025 ist also schon gegeben, sollte die Stadt am Hebesatz nichts ändern. Allein die von Bund und Land zu verantwortende Reform bringt vielen eine Mehrbelastung - auch im Ergebnis der verfassungsrechtlichen Entscheidung, dass viele Bürger viele Jahre lang profitiert hatten von der seit den Sechzigerjahren unangetasteten Einheitsbewertung ihres Eigentums.
Sollte Mülheims Politik in dieser Woche zu der Einschätzung kommen, dass das Zehn-Millionen-Euro-Loch im Haushalt nicht zu stopfen sein wird ohne Hebesatz-Erhöhung, werden Hausbesitzer und Mieter noch stärker zur Kasse gebeten. Mit dann womöglich jenem Hebesatz von 1063 Prozent.
Kämmerer Frank Mendack sagte wenige Tage vor dieser Entscheidung, dass er sich nicht wegducken werde und nach dem Steuerlauf am Dienstag mit einer eigenen Empfehlung an die Politik in die Ratssitzung gehen werde.
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