Mülheim. Die Stadt Mülheim hatte Gutachter beauftragt herauszufinden, welche Nachfrage am Wohnungsmarkt zu erwarten ist. Nun liegen die Ergebnisse vor.

Längst überfällig und sehnlich erwartet: Die Stadt Mülheim hat ein neues Gutachten vorgelegt, das aufzeigt, wo auf dem Wohnungsmarkt der Schuh drückt - und wie viele neue Wohnungen in welchen Qualitäten und Preissegmenten in den kommenden 20 Jahren nötig erscheinen. Das „Handlungskonzept Wohnen“ soll Richtschnur sein für Mülheims Wohnungsbaupolitik. Die Gutachter beantworten dabei etwa die Frage, ob das Mega-Stadtentwicklungsprojekt der „Parkstadt“ mit Hochhäusern auf altem Tengelmann-Areal so üppig ausfallen sollte, wie es aktuell zur Debatte steht.

Ja, das Parkstadt-Projekt mit geplant 650 bis 680 neuen Wohnungen mache Sinn, ist die schlichte Antwort der Gutachter, die von der Stadt erneut mit einer Bedarfsanalyse zum Wohnungsmarkt beauftragt worden waren: die Inwis Forschung & Beratung GmbH (Bochum) und die Neitzel Consultants GmbH (Witten). „Wir sind sehr positiv gestimmt für das Vorhaben“, sagte nun deren Geschäftsführer Michael Neitzel im Gespräch mit dieser Zeitung. Im Übergang von Broich zu Speldorf hunderte neue Wohnungen zu schaffen, sei „ein wichtiger Baustein“ bei dem, was Mülheim in den kommenden Jahren zu bewältigen habe - freilich sei auch in der Parkstadt darauf zu achten, dass gebaut werde, was preislich und an Qualitäten zum Bedarf passe. Dazu soll es ein Sondergutachten geben, das allerdings noch nicht veröffentlicht ist.

Trend in Mülheim: Mehr Kinder und Jugendliche, aber auch mehr Rentner

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Aber noch einmal mehrere Schritte zurück. Basis für Perspektiven, die das Gutachten gibt, ist eine aktualisierte Prognose zur Entwicklung der Einwohnerzahl, der Bevölkerungs- und Altersstruktur, die Inwis berechnet hat. Entgegen früherer Prognosen, die Mülheim schrumpfend gesehen haben, gehen die Gutachter nun davon aus, dass Mülheim von aktuell fast 176.000 auf gut 181.000 Einwohner im Jahr 2045 wachsen wird. Die Zahl der Haushalte werde im gleichen Zeitraum ebenfalls um fast 1000 auf dann 92.000 zunehmen. Das diesbezügliche Wachstum werde allerdings erst ab 2035 zutage treten.

Auch hinsichtlich der Altersstruktur sehen die Inwis-Fachleute zwei Trends für Mülheim: Im Jahr 2045 würden rund 550 mehr Kinder und Jugendliche in Mülheim leben, heißt es da. Erstaunlich: Abweichend vom Bundestrend einer alternden Gesellschaft gehen die Gutachter für Mülheim von einer leichten Verjüngung aus. Gleichwohl sei Mitte des kommenden Jahrzehnts eine andere Spitze zu erwarten: nämlich 5000 Personen mehr im Rentenalter - mit entsprechend erhöhter Nachfrage nach altersgerechten Wohnformen.

Das war Mülheims Mega-Wohnbauprojekt vor rund 30 Jahren: die Entwicklung der Saarner Kuppe. Hier ein Luftbild aus dem Jahr 2004.
Das war Mülheims Mega-Wohnbauprojekt vor rund 30 Jahren: die Entwicklung der Saarner Kuppe. Hier ein Luftbild aus dem Jahr 2004. © foto@luftbild-blossey.de | Hans Blossey

Gutachter: Mülheim hat den Bedarf an 6800 zusätzlichen Wohnungen

Schlussfolgerungen daraus sind, dass Mülheim neben altersgerechten überhaupt zahlreiche neue kleine Wohnungen brauche, weil die aktuell hohen Zahlen an Minderjährigen zeitversetzt auch einen hohen Bedarf an Starter-Haushalten erwarten lasse. Die demografische Entwicklung werde daneben die Nachfrage nach Wohnungen für junge Familien und Familien mittleren Alters steigen lassen.

Alles zusammen gehen die Wohnungsmarktexperten davon aus, dass Mülheim in den kommenden 20 Jahren den Bedarf von 6800 neuen Wohnungen hat - aktuell attestieren sie dem örtlichen Markt wegen der Bremse der hohen Bau- und Finanzierungskosten einen „angestauten Nachholbedarf“, hervorgehoben bemerkt das Gutachten dies auch für den Teilmarkt der öffentlich geförderten Wohnungen mit Preisdeckel für die Mieten.

Im Fokus steht in Mülheim der Bau von Mehrfamilienhäusern

„Über den gesamten Prognoseraum überwiegt der Bedarf an Wohnungen in Mehrfamilienhäusern“, lautet eine der Kernbotschaften. Seien in den vergangenen zehn Jahren in Mülheim im Schnitt 241 Wohnungen in Mehrfamilienhäusern geschaffen worden, so sei künftig eine Steigerung auf durchschnittlich 254 Einheiten pro Jahr nötig. Ein- und Zweifamilienhäuser spielten zwar auch eine Rolle, aber eine kleinere (Anteil am Bedarf: 17 Prozent). In diesem Bereich könne die Stadt vom Gas gehen. Statt durchschnittlich 104 Wohneinheiten (2013-2023) seien künftig nur mehr 54 neue Wohneinheiten im Ein- und Zweifamilienhaus-Segment im Jahr gefordert.

6800 neue Wohneinheiten innerhalb der nächsten 20 Jahre: Was sich zunächst gigantisch anhört, gilt es laut Gutachtern zu relativieren. Allein 460 neue Wohnungen könnten nach ihrer Überzeugung durch Ausbau im Bestand entstehen, so etwa geschehen in jüngerer Vergangenheit in Dümpten. Im Quartier „Auf dem Bruch“ hatte das Wohnungsunternehmen Convivio 30 seiner alten Wohnhäuser nicht nur saniert, sondern auch aufgestockt um je zwei neue Wohneinheiten. Gleich rund 2570 neue Wohnungen seien zudem realistisch möglich, wenn alte Wohnhäuser abgerissen und durch größer dimensionierte Neubauten an gleicher Stelle ersetzt würden.

Mülheim braucht laut Gutachten Bauland für 3700 Wohnungen

Nach Abzug dieser Potenziale kommt Inwis auf die Zahl von rund 3700 Wohnungen, für die Bauland gebraucht werde. Das sind gut 500 Wohnungen mehr, als es der Regionalverband Ruhr (RVR) im Oktober 2022 bei einer Berechnung für Mülheim ermittelt hatte. Die Abweichung liegt darin begründet, dass der RVR von einem Einwohnerschwund ausgegangen war, Inwis nun aber mit dem Zuwachs von besagten 5000 Einwohnern in den kommenden 20 Jahren rechnet.

Einiges der künftigen Mülheimer Flächenbedarfe sei bereits abgedeckt durch bebaubare Baulücken, die im entsprechenden Kataster der Stadt aufgeführt seien. In der Summe sind dies immerhin 6,2 Hektar. Darüber hinaus sei Bauland verfügbar aus bereits rechtskräftigen beziehungsweise in Arbeit befindlichen Bebauungsplänen. 17 solcher Flächen sind ausgemacht, man denke an das Lindgens-Areal am Kassenberg oder eben an die Parkstadt-Pläne. Wohnbaureserven gebe es auch an zahlreichen Stellen, wo ohne Bebauungsplan nach §34 BauGB neue Häuser möglich sind, heißt es im Gutachten.

Hier auf dem ehemaligen Gelände der Lederfabrik Lindgens am Kassenberg gibt es schon Baurecht für rund 240 Wohnungen. Sparkasse und Mülheimer Wohnungsbau sind hier Entwicklungspartner.
Hier auf dem ehemaligen Gelände der Lederfabrik Lindgens am Kassenberg gibt es schon Baurecht für rund 240 Wohnungen. Sparkasse und Mülheimer Wohnungsbau sind hier Entwicklungspartner. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Mülheim verfügt über 17 Entwicklungsflächen für Wohnungsbau

Weniger in Baulücken, viel stärker auf jenen 17 Entwicklungsflächen sehen die Gutachter viel Potenzial: Bis zu 2190 Wohneinheiten könnten hier zusätzlich entstehen. Eingerechnet sind hierbei die Großprojekte auf dem ehemaligen Tengelmann-Gelände (650-680 Wohneinheiten), dem Lindgens-Areal (240), den Wetec-Grundstücken an der Heerstraße (260) und der Wissoll-/Liebigstraße (165), der alten Stadtgärtnerei-Fläche in Holthausen (135) oder am Papenbusch (100).

Bereits geräumt ist auch ein Gelände an der Heerstraße in Mülheim-Speldorf. Das aktuelle Gutachten nennt erstmals auch Zahlen: 260 Wohnungen könnten hier möglich werden. Noch aber gibt es keinen Bauantrag des Eigentümers.
Bereits geräumt ist auch ein Gelände an der Heerstraße in Mülheim-Speldorf. Das aktuelle Gutachten nennt erstmals auch Zahlen: 260 Wohnungen könnten hier möglich werden. Noch aber gibt es keinen Bauantrag des Eigentümers. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Mit den beabsichtigten Entwicklungen könnten rund 60 Prozent des Neubaubedarfes bis 2045 gedeckt werden, heißt es im Gutachten. Als Lücke bleibe der Bedarf an knapp 390 Wohnungen in Ein- oder Zweifamilienhäusern und gut 1100 Wohnungen in Mehrfamilienhäusern, der bis 2045 zu decken sei. Hier müsse die Stadt aber erst perspektivisch tätig werden. Für die nahe Zukunft seien genug Bauprojekte angestoßen.

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