Mülheim. Um bis 2035 klimaneutral werden zu können, muss Mülheim Geothermie und Flusswärme nutzen. Nur: Dafür braucht es eine neue Infrastruktur.
Das Ende der „Erdgas-Stadt Mülheim“ ist nunmehr absehbar - und nicht zuletzt besiegelt durch den ambitionierten Beschluss, in gut elf Jahren, bis 2035, klimaneutral werden zu wollen. Soweit es möglich ist. Die gute Nachricht: Die Zukunft der Mülheimer Wärmeversorgung haben der Energiedienstleister Medl und Stadt bereits in Planung und sie liegt nicht mal weit entfernt: in der Ruhr oder tief unter der Erde. Bis Mitte 2026 muss der kommunale Wärmeplan fertig sein. Er soll Klarheit schaffen, welche klimafreundliche Energie Hausbesitzer in welchen Stadtteilen nutzen können.
„Wir wissen, dass das Gasgeschäft langfristig rückläufig sein wird“, sagt der Leiter der Medl-Wärmeversorgung, Volker Weißhuhn. Viele Gründe sprechen dafür: der Klimawandel, die stetig steigenden CO₂-Abgaben auf Erdgas und Heizöl, das beschlossene Aus für Gas- und Ölheizungen im Jahr 2045. Vorschreiben, welche Wärmeerzeugung man nutzen möchte, wolle die Medl nicht, versichert Weißhuhn, aber natürlich seine Gaskunden auf diesen Weg der Transformation mitnehmen.
Zäsur in Mülheims Wärmeplan: Mehr Quellen statt dezentrale Wärmeversorgung
Denn zum einen kann es noch Jahre dauern, bis diese Wende in der Energieversorgung auch umgesetzt ist. Grundlage für die Abkehr vom klimaschädlichen Heizen mit Öl und Gas bildet das vor zwei Jahren veröffentlichte Gutachten des Fraunhofer Instituts Ifam. Dort ist allerdings nur grob festgelegt, in welchen Stadtteilen welche Alternativen infrage kämen. Die Medl muss daraus in den kommenden zwei Jahren noch eine Strategie entwickeln, welche Lösungen wo auch wirklich umsetzbar wären.
Zum anderen geht mit diesem Schritt auch eine weitere Zäsur einher: Die Medl geht nun davon aus, dass Mülheims Gebäude künftig kaum mehr über dezentrale Nahwärmenetze erwärmt werden. Solche Lösungen betreibt die Medl zwar etwa in 20 kleineren und größeren Teilnetzen, die rund 5500 Wohneinheiten versorgen. Fünf der größeren Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen (KWK) erzeugen an den Standorten „Auf den Hufen“, „Liverpoolstraße“, „Boverstraße“, „Hinnebecke“, „Sandstraße” und „Duisburger Straße“ Strom und Wärme für umliegende Wohnungen und setzen Biomethan als Brennstoff ein.
Doch davon rückt man ab. Der neue Ansatz ist nunmehr, die möglichen unterschiedlichen Wärmequellen zu verbinden, um sie in ein großes zentrales Wärmenetz einzuspeisen. Das soll dann die gesamte Stadt versorgen können. Allerdings wird dafür auch eine zweite Infrastruktur notwendig werden, denn etwa über das bestehende Gasnetz wäre die Versorgung - so Weißhuhn - nicht möglich.
Flusswärmepumpe soll bis 2028 in Mülheim verwirklicht sein
Drei Ressourcen hat die Medl mit Partnern im Blick: die Ruhrwassernutzung, die Geothermie und gesicherte Abwärme. Eine Ruhrwasser-Wärmepumpe im Hafengebiet an der Timmerhellstraße ist bereits konkret. Das notwendige Grundstück sei gekauft, Anfragen von Kunden im Hafengebiet lägen schon vor, sie soll in vier Jahren umgesetzt sein.
Viel Potenzial für private Haushalte verspricht sich die Medl von der Nutzung der Tiefengeothermie. Was an einigen Stellen in Dümpten oder Saarn von privaten Haushalten schon genutzt wird - die oberflächennahe Geothermie -, ließe sich auch im größeren Stil als Tiefengeothermie über Wärmenetze in viele Wärmezentralen in Mülheimer Siedlungen speisen. Dafür muss jedoch weitaus tiefer als 400 Meter gebohrt werden, bis in Kohlenkalk-Schichten, wo Temperaturen zwischen 70 und 100 Grad herrschen.
Vielversprechend für Mülheim: Tiefengeothermie
Die Bedingungen in Mülheim sollen vielversprechend sein. Weißhuhn rechnet damit, dass rund 20 Prozent der Wärmeversorgung über Tiefengeothermie bereitgestellt werden könnten. Die Bergbehörde habe der Medl die Aufsuchungserlaubnis erteilt. Doch konkret wird dies erst nach eingehender Analyse, die noch aussteht: Eine Studie mit einer ersten Simulation zum Untergrundmodell sowie Gespräche mit umliegenden Inhabern von Bergrechten sind die nächsten Schritte, so Weißhuhn. Danach müsse man sich die vielversprechenden Flächen sichern und könne somit die konkreten Standorte für diese Formen der Wärmeversorgung bestimmen.
Interessant ist ebenso die Nutzbarkeit von industrieller Abwärme. Wenn auch komplexer, da oft nur zeitlich begrenzt verfügbar. Im Gutachten der Ifam ist sie kaum berücksichtigt, die Medl will diesen Faktor aber für ihr Wärmenetz miteinbeziehen. Denn so könnten neben den großen Standorten auch viele kleine Erzeuger in der Stadt eine Rolle spielen, glaubt Weißhuhn. Zum Beispiel ein Bäckerbetrieb. Auch die Abwärme von Servern könnte genutzt werden.
Wer auf Wasserstoff setzt, könnte enttäuscht werden
Anderen Formen der Wärmeerzeugung kann die Medl dagegen schon eine Absage erteilen. Für eine breitere Versorgung durch Solarthermie etwa fehlen in Mülheim die Flächen. Sie konkurrieren eben auch mit Flächen für Photovoltaik, also Stromerzeugung.
Der Biomasse- und Abfallverbrennung räumt Weißhuhn bis auf Weiteres keine Rolle ein, ebenso wenig der Abwasserwärmenutzung, da kein Klärwerk zur Auskopplung vorhanden sei. Und auch, wer auf eine „Wasserstoff-ready“-Heizung gesetzt hat, braucht voraussichtlich viel Geduld. Die Technologie - vor allem grüner Wasserstoff - sei zwar „interessant“, so Weißhuhn, doch wann dieser für Privathaushalte zur Wärmeerzeugung verfügbar wäre, sei derzeit nicht planbar.
Medl-Wärme-Leiter: „Es ist gut, Druck für Hausbesitzer etwas herauszunehmen“
So müssen sich Mülheimer Hausbesitzerinnen und -besitzer in der Heizungsfrage wohl noch zwei bis weitere Jahre auf unsichere Zeiten einstellen, zumindest bis die Stadt Mitte 2026 eine Wärmeplanung vorlegen kann. „Das System muss noch atmen, bis die endgültige Versorgung steht“, drückt es Weißhuhn aus, sprich: auf welche städtische Wärmelösung die Haushalte zurückgreifen können. Oder ob sie doch auf die eigene Wärmepumpe setzen.
Aus Sicht des Leiters der Medl-Wärmeversorgung hat das auch etwas Gutes: „Es ist viel Unsicherheit und Panik bei den Menschen durch den Krieg in der Ukraine entstanden: ‚Soll oder muss ich in eine neue Heizung investieren?‘ Es ist daher gut, den Druck für Hausbesitzer etwas herauszunehmen“.
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