Herne. In Herne kämpfen zwei Sozialdemokraten ums Erbe der Bundestagsabgeordneten Michelle Müntefering. Wer in der ersten Runde nach Punkten „siegte“.
Kampf um die Kandidatur: Sowohl Hendrik Bollmann (41) als auch Sarah Jansen (34) wollen die Nachfolge von Michelle Müntefering antreten und bei der Bundestagswahl 2025 für die SPD im Wahlkreis Herne-Bochum II ins Rennen gehen. Bei einer ersten von mehreren öffentlichen Foren haben sie sich am Dienstagabend in der Gaststätte Zille in Herne-Mitte vorgestellt und Fragen beantwortet. Gemessen am Beifall gab es einen Punktsieg für Bollmann.
Die Ausgangslage
Wohl nicht zuletzt aus der Einsicht, dass sie im Falle einer erneuten Bewerbung in der Herner SPD schlechte Karten hätte, hatte die Bundestagsabgeordnete Michelle Müntefering (44) vor knapp zwei Monaten im Parteivorstand erklärt, 2025 nicht mehr antreten zu wollen. Völlig überraschend kündigte damals neben Hernes Parteichef Hendrik Bollmann auch die in der Herner SPD weitgehend unbekannte Gewerkschafterin Sarah Jansen ihre Kandidatur an.
Dreimal in Folge konnte Müntefering den Wahlkreis direkt für die SPD gewinnen, zuletzt 2021 mit 43,4 Prozent und einem Vorsprung von 23,6 Prozent auf die CDU. Bei der Europawahl im Mai 2024 lag die SPD in Herne nur noch fünf Stimmen vor der CDU; beide kamen auf 23,7 Prozent.
Die erste Runde
Parteichef & Platzhirsch gegen Gewerkschafterin & Newcomerin: Diese Konstellation stieß zum Auftakt des von der SPD organisierten Nominierungsverfahrens auf großes Interesse. Mehr als 70 Menschen fanden den Weg zu der in Einladungen als „Townhall-Meeting“ bezeichneten öffentlichen Veranstaltung.
Jeweils 20 Minuten hatten Bollmann und Jansen zunächst Zeit, sich und ihre Ziele vorzustellen. Der SPD-Chef - er ist Lehrer am Emschertal-Berufskolleg - warf dabei immer wieder seine Erfahrungen, Erfolge und Engagement für die Herner Sozialdemokratie in die Wagschale. Als „einer von euch“ wolle er für Herne in den Bundestag, so seine Botschaft. Als einer, der aus der langjährigen Praxis ganz genau wisse, welche Nöte es in einer armen Stadt wie Herne gebe und wo der Hebel anzusetzen sei. Thematisch schlug er drei große Pflöcke ein: „Arbeit und Fortschritt“, „Bildung und Aufstieg“ und „Bürgernähe und Gemeinschaft“.
Sarah Jansen stellte heraus, dass die Herner SPD bei der Bundestagswahl vor zwei zentralen Aufgaben stehe: Vertrauen zurückzugewinnen sowie klarzumachen, wofür die Partei eigentlich stehe. Die Kernthemen Arbeit und Wirtschaft könnten mit ihr als „authentischer Kandidatin“ am besten besetzt werden, sagte die stellvertretende Bezirksleiterin der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE) in Köln-Bonn. Als inhaltliche Schwerpunkte für den Wahlkampf benannte sie die Punkte „gute Arbeit“, „starke Wirtschaft“ und „ein funktionierender Staat, der Menschen Sicherheit bietet“. Und sie beklagte, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer größer werde.
Für seine persönliche Vorstellung erhielt Bollmann deutlich mehr Beifall als seine Kontrahentin. Indirekte Unterstützung gab es zudem durch Beiträge altgedienter Genossen wie Ex-OB-Büroleiter Lothar Przybyl und Ratsherr Ulrich Klonki, die die Kandidaten nach ihren „Herner Netzwerken“ und „erfolgreichen Herner Projekten“ fragten. In diesen Punkten könne sie natürlich nicht mit Bollmann konkurrieren, räumte Jansen ein. Es gehe aber nicht darum, Kommunalpolitik zu machen, sondern Bundespolitik. Dabei könnten ihre jenseits von Herne geknüpften Netzwerke ebenso dienlich sein wie ihr „Riesenerfahrungsschatz“ und ihre „große Kompetenz in der Verhandlungsführung“, betonte sie. Und: Es sei wichtig, dass in der SPD nicht nur Menschen kandidierten, die zuvor „die Ochsentour“ gemacht hätten.
Natürlich werde im Bundestag „keine Kommunalpolitik gemacht“, entgegnete Bollmann. Aber: „Die Gesellschaft konstituiert sich am Ende des Tages immer in der Kommune, dort kommt letztendlich alles an.“ Es gehe darum, passgenaue Lösungen für Herne zu finden. Bisher kenne er die Prozesse als Kommunalpolitiker nur vom Ende her. Er sei aber überzeugt davon, so Bollmann, dass er die Fähigkeit besitze, die Prozesse zum Wohle der Stadt von Anfang an mitgestalten zu können.
Alleinerziehende Lidl-Verkäuferin contra Puppendiebstahl in der Kita
Und sonst? Bollmann bemühte immer wieder die „alleinerziehenden Lidl-Verkäuferin“. Die SPD müsse die Bedürfnisse solcher Menschen stärker in den Fokus nehmen - zum Beispiel beim Thema Klimaschutz sowie durch Einführung einer Kindergrundsicherung, so seine Forderung. Jansen erzählte drei Geschichten aus ihrem Leben, die sie geprägt hätten - darunter die Story, dass ihr drei ältere Mädchen in der Kita ihre Puppe weggenommen hätten. Das habe ihr Gerechtigkeitsempfinden berührt und ihr gezeigt, „dass man manche Kämpfe nicht alleine führen kann“, so die gebürtige Hernerin.
Einige Zuhörerinnen und Zuhörer nutzten das „Townhall-Meeting“ in der Zille für eine Abrechnung mit der aktuellen SPD-Politik. „Wir haben nicht nur die Lidl-Verkäuferin, sondern auch die Rentner und die gesellschaftliche Mitte verloren“, kritisierte Genosse Heinz Letat. Er vermisse zudem aus Berlin Unterstützung fürs Ruhrgebiet. Ein anderer Sozialdemokrat beklagte, dass die SPD die Älteren vergessen haben. Seniorenheime würde immer unerschwinglicher, gleichzeitig werde dort jedoch Personal abgebaut.
Das weitere Verfahren
In insgesamt vier öffentlichen Foren in Herne und Bochum sowie mehreren nicht öffentlichen Runden in Ortsvereinen und Arbeitsgemeinschaften stellten und stellen Bollmann und Jansen sich und ihre Ziele vor. Nach dem Auftakt in der Zille ging es nur einen Tag danach am Mittwoch, 21. August, im Wanner Mondpalast in die zweite (öffentliche) Runde. Anschließend finden weitere SPD-interne Vorstellungsrunden in den zum Herner Bundestagswahlkreis zählenden Bochumer Stadtbezirken Nord und Ost statt. Die finale Entscheidung über die SPD-Kandidatur steht dann am 9. November in einer gemeinsamen Wahlkreiskonferenz an.
Eine wichtige Vorentscheidung könnte allerdings bereits am 14. September im Wanner Mondpalast fallen, wo der Herner SPD-Parteitag eine „Empfehlung“ abgeben wird, sprich: sich mehrheitlich auf einen Kandidaten/eine Kandidatin einigen wird. Hintergrund: Bei der Wahlkreiskonferenz im November verfügen die Herner SPD-Delegierten über eine Zweidrittelmehrheit, die Bochumer SPD stellt „nur“ ein Drittel der Stimmberechtigen im gemeinsamen Wahlkreis.
2012 kämpften in Herne mit den Ratsfrauen Michelle Müntefering und Anke Hildenbrand und dem früheren WAZ-Chefredakteur Uwe Knüpfer - damals war er Chef der SPD-Zeitschrift Vorwärts - gleich drei Kandidaten um die Nachfolge des langjährigen SPD-Bundestagsabgeordneten Gerd Bollmann. Der (2017 verstorbene) Vater von Hendrik Bollmann war nach elf Jahren im Berliner Parlament nicht mehr angetreten. Beim Herner SPD-Parteitag hatte Müntefering mit 85 Stimmen die Nase vorne, auf Hildenbrand entfielen 53 Stimmen sowie auf Knüpfer 18 Stimmen. Der Journalist zog seine umstrittene Bewerbung - er war mitten im Verfahren ins Rennen eingestiegen - daraufhin zurück. Nach mehrtägiger Bedenkzeit entschloss sich Anke Hildenbrand, trotz des Votums des Herner Parteitags bei der Wahlkreiskonferenz erneut anzutreten, unterlag dort allerdings Michelle Müntefering.
Nachrichten aus Herne - Lesen sie auch:
- Analyse zeigt: So gut oder schlecht sind die Spielplätze
- Ruhrpott-Hymne vereint Stadionsprecher der Revier-Clubs
- Stadt Herne kauft Blumenthal-Brache - wie es nun weitergeht
Und wie wird es der oder die Unterlegene diesmal halten? Würden sie die Entscheidung des Herner SPD-Parteitags „akzeptieren“ oder trotzdem bei der Wahlkreiskonferenz antreten? Das wollte Genosse Lothar Przybyl am Ende der Zille-Veranstaltung wissen. „Für mich ist das Votum des Unterbezirksparteitags bindend“, sagte Bollmann. Und Jansen erklärte: „Natürlich ist das bindend. Es ist das Votum aus Herne.“