Gladbeck / Bottrop. Mit der Bundestagswahl kommt für Michael Gerdes das Aus. Im Gespräch erzählt er von den letzten Wochen in Berlin und wann er wehmütig wird.

In Bottrop, Gladbeck und Dorsten kämpfen die beiden unter 30-Jährigen Dustin Tix (SPD) und Nicklas Kappe (CDU) um das Direktmandat und den Einzug in den Bundestag. Auch die Kandidaten von Grünen, FDP, Linke, AfD, Freie Wähler, Die Partei und MLPD buhlen um die Wählerstimmen. Der Noch-Abgeordnete für die drei Städte, Michael Gerdes (SPD), taucht dagegen in dieser Auseinandersetzung kaum noch auf. Die Bühne Bundestag ist für ihn Geschichte.

Während also einer der Kandidaten – ja, es sind tatsächlich nur Männer, die in diesem Wahlkreis antreten – ab Sonntagabend ein Pendlerleben zwischen Berlin und der Heimat planen kann, endet für Michael Gerdes ein Lebensabschnitt.

Seine letzte Rede beendet Michael Gerdes mit einem Appell an den Bundestag

Vieles hat er in den vergangenen Wochen seit der Vertrauensfrage zum letzten Mal gemacht. Kurz vor Weihnachten etwa stand er das letzte Mal am Rednerpult des hohen Hauses. Arbeits- und Sozialpolitik, sein Fachgebiet. Es geht um die Flexibilisierung des Arbeitszeitgesetzes, doch Gerdes nutzt diesen letzten Auftritt auch für persönliche Worte und einen Appell ans Haus: „Seid doch Menschen, benehmt euch wie Menschen.“ Diesen Wunsch, angelehnt an den berühmten Wunsch der Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer, hinterlässt er den Abgeordneten.

Da sei schon Wehmut dabei gewesen, gibt Gerdes offen zu. Wie bei so manchen Dingen, die er in den letzten Monaten und Wochen erledigt hat. Seine Wohnung in Berlin? Aufgelöst! Vor zwei Wochen sei er mit einem Transporter gemeinsam mit seiner Frau in der Hauptstadt gewesen. Die Kisten, Kartons, Taschen und Tüten stehen jetzt zu Hause in Bottrop. Obwohl er schon in Berlin vieles sortiert und auch entsorgt habe, müssen sie auch jetzt noch einige Dinge sichten, berichtet Gerdes. Immerhin, für die Wohnung gebe es bereits einen Nachmieter, der auch die Möbel übernehme. Doch die Schlüsselübergabe sei schon ein Schritt gewesen. „Da ist mir dann nochmal klargeworden, dass es das jetzt war.“

Sein Büro in Berlin hat der Abgeordnete für Gladbeck, Bottrop und Dorsten schon fast geräumt

Allerdings: Noch hat er ein Büro im Paul-Löbe-Haus, direkt am Reichstag. Doch auch das sei schon so gut wie leer. Der PC funktioniere noch, doch mit der Wahl sei auch das Büro dann weg. Wobei: Allzu häufig habe er den Ausblick vom Büro auf den Reichstag gar nicht genießen können. Die meiste Zeit habe er dann doch in Ausschusssälen, Sitzungszimmern oder im Plenum verbracht.

Emotional und schwer sei auch der Abschied von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gewesen. Deren Arbeitsverträge sind an seine Amtszeit im Parlament gekoppelt. Das gelte so für alle Abgeordnetenbüros. Mit dem Ausscheiden aus dem Bundestag enden auch die Arbeitsverträge. Gerdes hofft, dass seine Kräfte nach der Wahl bei anderen Parlamentariern und Parlamentarierinnen unterkommen.

Arbeitsverträge der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter laufen aus

Das sei eben abhängig vom Ergebnis der Wahl. Würde ihm sein Parteifreund Dustin Tix nachfolgen, wären die Kolleginnen und Kollegen wohl versorgt, so Gerdes. Anders, wenn einer der anderen Kandidaten den Wahlkreis direkt gewinnt. Dann hänge es davon ab, wie groß die SPD-Fraktion im künftigen Bundestag sein wird und wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort gebraucht würden.

2009 wurde Gerdes erstmals direkt in den Bundestag gewählt, dreimal wurde er seither wiedergewählt. Dass er diesmal nicht wieder antritt, habe schon vorher festgestanden. Und doch: Durch die vorgezogenen Neuwahlen geht nun alles schneller als gedacht. Als Hauptschüler und Bergmann, so sagt er es selbst in seiner letzten Rede im Plenum, sei dieser Weg nicht vorgezeichnet gewesen. „Jedes Mal, wenn ich in den Plenarsaal gegangen bin, war es für mich etwas Besonderes“, sagt er, durchaus feierlich, im Gespräch.

Katrin Göring-Eckardt

„Sie sind ein geschätzter und zugewandter Kollege. Sie haben viel von ihrer Menschlichkeit mit in dieses hohe Haus gebracht“

Katrin Göring-Eckardt
Bundestags-Vizepräsidentin nach der letzten Rede von Michael Gerdes im Plenum

Am Dienstag wird er nochmal in Berlin sein, zur ersten Fraktionssitzung nach der Wahl sind auch die Ehemaligen eingeladen. Danach will Gerdes die Zeit nutzen, um häufiger aufs Fahrrad zu steigen. Er hat sich vorgenommen, alle Halden des Ruhrgebiets anzusteuern. Nach Karneval geht's ins Sauerland, ausspannen, runterkommen.

Auch Freundschaften will er wieder intensivieren. Er sei froh und dankbar, dass die Kontakte über all die Jahre des Lebens zwischen Berlin und dem Wahlkreis nicht abgerissen sind. „Ich habe Kollegen, die haben durch die Arbeit alle Freunde verloren“, sagt er mit Blick auf den Arbeits- und Zeiteinsatz, den so ein Mandat eben auch fordert. Er habe früher immer gesagt, er wolle nie auf Montage. „Aber letztlich waren die Jahre im Bundestag nichts anderes.“ Er habe Glück gehabt, dass seine Kinder schon groß gewesen seien, dass seine Frau ihn oft habe begleiten können. „Ein anderer Kollege hört jetzt auf, weil er kleinere Kinder hat. Der sagt, wenn er weitermacht, dann verliert er seine Familie.“

Er bereue nichts und er bedauere es auch nicht, nun aufgehört zu haben. Nach seiner letzten Rede im Plenum dankte ihm Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckkardt für seinen Einsatz für die Demokratie und gab ihm eine persönliche Wertschätzung mit auf den Weg: „Sie sind ein geschätzter und zugewandter Kollege. Sie haben viel von ihrer Menschlichkeit mit in dieses hohe Haus gebracht.“

[Gladbeck-Newsletter: hier gratis abonnieren | Folgen Sie uns auch auf Facebook | Hier gibt‘s die aktuellen Gladbeck-Nachrichten einmal am Tag bei WhatsApp | Auf einen Blick: Polizei- und Feuerwehrartikel | Alle Artikel aus Gladbeck]