Gladbeck. In Gladbeck stellen Einsatzkräfte von KOD, DRK und ZBG eine zunehmend aggressive Stimmung fest. Dem Frust sind die Beschäftigten ausgesetzt.
In der Corona-Krise ist das Nervenkostüm vieler Menschen durchgescheuert. Frust, Sorgen und Ärger finden dann offenbar ihr Ventil in Aggression. Und diese Entwicklung bekommen im starken Maße diejenigen ab, die an vorderster Front arbeiten, im Kontakt mit der Bevölkerung stehen – beispielsweise im Rettungswagen oder beim Kommunalen Ordnungsdienst. Beschäftigte in Gladbeck stellen fest: Die Stimmung wird zunehmend gereizter. Bedrohungen gibt’s immer wieder.
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Stefan Walter, Kreisgeschäftsführer des hiesigen Deutschen Roten Kreuzes (DRK), erzählt beispielhaft einen Vorfall: „In der Drive-In-Teststelle bei uns an der Europastraße wurde eine Mann richtig aggressiv. Es ging um einen Corona-Nasentest. Der Mann drohte: Wenn Du mir wehtust: Ich weiß, wo Du arbeitest!“ Situationen wie diese nehmen zu, weiß Stefan Walter auch aus Berichten seines Teams.
„Man merkt, dass die Menschen dünnhäutiger werden“
„Alle Kollegen erleben, dass es mehr Konflikte gibt“, so der Fachmann. Daraus zieht er den Schluss: „Man merkt, dass die Menschen dünnhäutiger werden.“ Diese Entwicklung sei nicht auf bestimmte Alters- oder Gesellschaftsgruppen beschränkt. Stefan Walter spricht von „einem kompletten Querschnitt durch die Bevölkerung: „Aggressiv verhalten sich Jüngere wie Ältere. Alle sind offenbar von den Corona-Maßnahmen genervt.“
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Diese Erfahrungen ziehen sich beim Roten Kreuz durch diverse Bereiche, darunter auch der Krankentransport. Ein weiteres Beispiel: „Wenn man unseren Hausnotruf betrachtet, müssen unsere Mitarbeiter, die mit Kittel, Handschuhen etc. vor Ort sind, Diskussionen, beispielsweise über das Masken-Tragen, führen. Einige sagen: ,Ich habe mich testen lassen, ich bin negativ.“ Dass die Corona-Regeln auch auf den Schutz der gesamten Gesellschaft, inklusive der Einsatzkräfte, abzielen, das komme so manch’ einem nicht in den Sinn.
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Stefan Walter berichtet: „Ein Konflikttraining gehört bei uns zur Grundausbildung. In der Verwaltung wird auf den Umgang mit Beschwerden vorbereitet.“ Doch selbst wenn die 30 Beschäftigten plus mehr als 50 Kräfte an der Teststelle reagieren können: Diese Techniken taugen nichts gegen Angriffe, die nicht Aug’ in Aug’ geschehen. „Was uns trifft, sind Beleidigungen und Beschimpfungen, wie wir sie bei Hetzkampagnen im Internet sehen“, sagt der Gladbecker DRK-Kreisgeschäftsführer.
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Dieses Phänomen kennen Beschäftigte der Stadtverwaltung ebenfalls. Sprecherin Gina Günther registriert: „In den vergangenen Monaten ist der Ton in den sozialen Medien gegenüber der Stadt härter geworden, das heißt durch Menschen, die generell die Corona-Maßnahmen ablehnen.“ Diskussionen über die Masken-Pflicht und die Einhaltung anderer Corona-Regeln, die kennen auch Verwaltungsbedienstete mittlerweile zu Genüge. Wer im Außendienst oder im Bürgerdienst tätig ist, spüre, „dass sich die Pandemie nach über einem Jahr auf die Stimmung der Bürgerinnen und Bürger auswirkt, unter anderem durch gereiztere Stimmung und weniger Verständnis.“ Von Handgreiflichkeiten hat Gina Günther keine Kenntnis, aber auch Verbal-Attacken können verletzen.
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In den städtischen Bereichen, in denen der Publikumsverkehr momentan hauptsächlich telefonisch oder online erfolge, gibt es nach Auskunft der Pressesprecherin keine Beschwerden über Aggressionen. Genannt seien hier unter anderem das Jobcenter und das Amt für Soziales und Wohnen: „Dort haben die neu eingeführten Verfahren dazu geführt, dass viele Anträge einfacher gestellt werden können.“ Bei der Feuerwehr seien mit Blick auf das Aggressionspotenzial keine auffälligen Veränderungen im Bürgerverhalten erkennbar.
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Andreas Wilming-Weber, Leiter der Pressestelle im Polizeipräsidium Recklinghausen, meint: „Nach subjektivem Empfinden stellen wir fest, dass die Menschen gereizter sind und die Grundstimmung negativ ist. Die Bürger sind nicht mehr so locker.“ Fallzahlen liegen ihm zwar nicht vor, aber Kollegen-Berichte kommen Wilming-Weber zu Ohren. Er schlussfolgert: „Mit der Vor-Corona-Zeit ist die momentane Atmosphäre nicht vergleichbar.“
„Es gibt häufiger als vor Corona Streitigkeiten, zu denen die Polizei gerufen wird.“
Aber diese Reizbarkeit, die dann auch mal zu Aggressionsausbrüchen führt, beziehe sich keinesfalls auf die Einsatzkräfte: „Widerstand gegenüber Polizeibeamten gehört leider Gottes seit Jahren regelmäßig zum beruflichen Alltag. Aber was auffällt: Die Unzufriedenheit der Menschen untereinander nimmt, so gefühlt, zu. Es gibt häufiger als vor Corona Streitigkeiten, zu denen die Polizei gerufen wird.“
Differenziert nach Aufgabenbereichen betrachtet René Hilgner, Zweiter Betriebsleiter beim ZBG, die Lage. Er erläutert: „Man muss die Quellen der Kundenkontakte ansehen. Wir haben den Wertstoffhof, unsere Hotline und das Bestattungswesen.“ Das Gute vorweg: „Am Telefon sind die Menschen freundlicher und verständnisvoller. Wünschen auch mal Gesundheit.“
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Auf dem Gebiet des Bestattungswesens „merkt man, dass die Bürger mehr Zeit und Gesprächsbedarf haben“. Bisweilen hitzige Diskussionen gebe es hingegen schon auf dem Wertstoffhof – zum Beispiel habe sich ein Mann partout geweigert, eine Maske aufzuziehen. Wegen der Corona-Regeln haben sich die Abläufe beim ZBG verändert: „Wir helfen momentan nicht beim Ausladen. Es kann zu Staus bei der Anlieferung kommen, darüber gibt es dann schon mal Beschwerden.“ Bei den meisten sei das Verständnis für die Schutzmaßnahmen zwar vorhanden, aber „wir müssen immer wieder daran erinnern“.