Essen. Was bei Kopfschmerzen und Migräne hilft, weiß die Ärztin Dagny Holle-Lee. Warum die 44-Jährige ihre Spitzenmedizin von Essen aus betreibt.

Neonleuchter an der Decke erhellen die langen, fensterlosen Flure. Schuhsohlen quietschen auf dem Linoleumboden. Es riecht nach Desinfektionsmittel. Dagny Holle-Lee schließt eine Tür auf. Im Raum dahinter steht ein Schreibtisch mit einem Bürostuhl, über dessen Lehne ein weißer Kittel hängt. Vor dem Tisch sind zwei Stühle platziert, in der Ecke eine schwarze Liege. „Hier findet alles statt“, sagt die Ärztin. Hier betreibt sie ihre Spitzenmedizin.

Dagny Holle-Lee leitet in Essen Deutschlands größtes Kopfschmerz-Zentrum

Die 44-Jährige leitet das größte Zentrum für die Behandlung von Kopfschmerzen in Deutschland. Es gehört zur Universitätsklinik Essen. Patienten aus dem ganzen Bundesgebiet, Österreich und den Niederlanden warten monatelang auf einen Termin. Wer vor Holle-Lee sitzt, den erwarten keine schweren Apparate. „Wir machen nur Tests, um andere Erkrankungen auszuschließen“, sagt die Neurologin. Sie hört zu. Und lässt sich von den Momenten erzählen, in denen der Schmerz im Kopf auftaucht. Davon, was das Leiden mit den Patienten macht und wie es Beziehungen belastet. 

„Den einen Migräne-Test gibt es nicht“, sagt die Neurologin Dagny Holle-Lee. Sie hört ihren Patientinnen und Patienten vor allem zu. © Hans & Franz Filmproduktion

Da ist zum Beispiel das Schmatzen. Für die Betroffenen kann es fast unerträglich sein. Sie hören es überdeutlich. Jede Kaubewegung ihres Partners. Und ihr Gegenüber? Der merkt gar nichts. „Ein Migräne-Hirn kann Reize von außen nicht gut verarbeiten“, erklärt Holle-Lee. Es sei überempfindlich und nehme alles zu stark wahr. „Die Betroffenen erleben oft Unverständnis“, sagt die Ärztin. 

Wir treffen Dagny Holle-Lee in Essen für das Videoformat „Wegbier“. Hier führen uns Frauen aus dem Ruhrgebiet zu Orten, die für sie eine besondere Bedeutung haben. Unterwegs erzählen sie ihre Geschichte.

Medizinerin leidet selbst unter Migräne-Attacken

Die Ärztin wählt als Getränk für den Weg eine Limo statt Bier. Weil sie selbst unter Migräne-Attacken leide, trinke sie generell wenig Alkohol. Viele Menschen würden Alkoholkonsum nur mit einem Kater verbinden. Häufiger triggere das Trinken aber eine Kopfschmerzerkrankung. „Dann wacht man morgens auf und denkt: Ich habe einen Kater. Tatsächlich ist es eine Migräne-Attacke.“ 

Die große Unwissenheit treibt die Oberärztin um. Zwei von drei Menschen leiden zumindest zeitweise unter Kopfschmerzen. Doch viele nähmen das einfach hin, weil sie es so kennen oder weil auch die Mutter schon darunter gelitten habe. „Es ist nicht normal, Kopfschmerzen zu haben“, stellt Holle-Lee klar. Gegen die Erkrankung könne man immer etwas tun. Doch das wüssten viele nicht.

Auf Instagram klärt sie deshalb unter dem Account migraene_doc auf. Ihr wichtigster Tipp ist ein gleichmäßiger Lebensrhythmus. Viele Menschen bekämen am Wochenende Migräne, wenn der Stresspegel sinkt und der Wecker später klingelt. „Dann hilft es häufig schon, auch am Wochenende nicht auszuschlafen.“ Sport sei ebenfalls ein gutes Mittel, um die Barrierefunktion des Gehirns zu stärken. Doch die Medizinerin stellt klar: „Auch wer das perfekte Leben führt, kann Kopfschmerzen haben.“

Kopfschmerzen: Frauen doppelt so oft betroffen

Dass die Krankheit verharmlost wird, liegt für die Medizinerin daran, dass Frauen doppelt so oft betroffen sind wie Männer. „Es gibt immer noch die Ansicht, das seien überreizte Frauen, die ein bisschen hysterisch sind“, sagt sie. „Dann wird das nicht ernst genommen.“

Das Ruhrgebiet war für die Spitzenmedizinerin Dagny Holle-Lee zunächst ein Schock. Ihre Karriere begann in einem Gebäudekomplex oberhalb einer Tankstelle. Hier hatte das Kopfschmerzzentrum seinen Sitz.
Das Ruhrgebiet war für die Spitzenmedizinerin Dagny Holle-Lee zunächst ein Schock. Ihre Karriere begann in einem Gebäudekomplex oberhalb einer Tankstelle. Hier hatte das Kopfschmerzzentrum seinen Sitz. © Hans & Franz Filmproduktion

Holle-Lee läuft an einem Gebäudekomplex an der Hufelandstraße im Stadtteil Holsterhausen vorbei. Hier, oberhalb einer Tankstelle, hatte das Kopfschmerz-Zentrum seinen Sitz, als sie als junge Assistenzärztin ihre Karriere begann. „Der Aufzug war immer kaputt“, erinnert sie sich. Schon damals sei Essen groß in der Kopfschmerz-Medizin gewesen. 

Medizinerin: „Das Ruhrgebiet war am Anfang ein Schock“

„Das Ruhrgebiet war am Anfang ein Schock“, gibt Holle-Lee zu. Aufgewachsen ist sie in „einer ganz aufgeräumten Stadt“, in Wiesbaden, sie lebte in Jerusalem und Boston. Inzwischen reizen sie an Essen gerade die Gegensätze: „Man muss erst einmal verstehen, dass man auch in einem so schäbigen Gebäude gute Medizin ausüben kann.“ Sie selbst trifft in diesen Räumen über der Tankstelle auf Ärztepersönlichkeiten, die sie mit ihrer Expertise für das Fach maßgeblich prägen. Ihr wichtigster Mentor habe sich viele Patienten mit ihr gemeinsam angeschaut. „Ich glaube, dass man so Medizin am besten lernt, dass man jemandem zuguckt, der das mit Leidenschaft macht und von dem man lernen kann.“ 

„Es ist gut, wenn man einen Kompromiss zwischen Muttersein und dem Beruflichen findet““

Dagny Holle-Lee
Neurologin und Oberärztin an der Uniklinik Essen

Heute verlässt Holle-Lee die Behandlungsräume um 17 Uhr. Sie möchte Zeit für ihren Sohn haben. „Es ist anstrengend“, sagt sie. Für Frauen sei es viel schwieriger, eine Familie zu haben und als Ärztin eine Führungsposition einzunehmen. Obwohl es mehr Medizinstudentinnen gebe, seien auf der Leitungsebene kaum Frauen. „Ich habe auch gewartet, Mutter zu werden, bis ich Oberärztin war.“ Mit einem Kind wolle man nicht mehr bis 22 Uhr abends in der Klinik sein. Hier brauche es andere Strukturen. Den ersten Kampf müssten Frauen aber zu Hause ausfechten und den Partner in die Pflicht nehmen. „Es ist gut, wenn man einen Kompromiss findet zwischen Muttersein und sein berufliches Ding machen zu können.“ 

Für Holle-Lee ist Rüttenscheid das schönste Viertel

Eine Spazierlänge von der Uniklinik entfernt liegt für Holle-Lee das schönste Viertel der Stadt. In Rüttenscheid schlendert die Ärztin an kleinen Läden und hübschen Cafés vorbei. In einem ihrer Lieblingsorte, dem Gin & Jagger am Christinenpark, bestellt sie am liebsten Avocado-Pommes. Am Ruhrgebiet und insbesondere der Stadt Essen gefällt ihr, wie viele unterschiedliche Menschen hier leben und wie viele Möglichkeiten von Theater bis Musik es hier gibt: „Ich weiß gar nicht, ob es noch irgendwo in Deutschland so vielfältig ist wie hier.“

Im Restaurant Gin & Jagger ist Dagny Holle-Lee gern, wenn sie sich in ihrer Freizeit mit Freunden und Familie trifft. Rüttenscheid ist für sie besonders schön an Essen, erzählt sie im Videoformat Wegbier, hier im Gespräch mit Anne Krum (rechts).
Im Restaurant Gin & Jagger ist Dagny Holle-Lee gern, wenn sie sich in ihrer Freizeit mit Freunden und Familie trifft. Rüttenscheid ist für sie besonders schön an Essen, erzählt sie im Videoformat Wegbier, hier im Gespräch mit Anne Krum (rechts). © Hans & Franz Filmproduktion

Auf ein Wegbier – Zehn Frauen aus dem Ruhrgebiet

Zehn Frauen, zwei Getränke, ein Weg: Im neuen Video-Format Wegbier trifft sich Anne Krum, Chefredakteurin Digital, in zehn Folgen mit Frauen aus dem Ruhrgebiet. Sie starten am Kiosk. Mit einem Getränk in der Hand gehen sie zu prägenden Orten oder Lieblingsplätzen. Auf dem Weg erzählen die Frauen ihre Geschichten. Was treibt sie an, was um?

Kampfsportlerin Mandy Böhm trinkt in der ersten Folge (ab 13. September) kein Bier, aber Kaffee. Beim Streifzug durch Gelsenkirchen erzählt sie, warum sie zwar nicht so aussieht, sie sich selbst aber für ein „Monster“ hält.

In der zweiten Folge erzählt Sängerin Marie Wegener, warum sie trotz Morddrohung und Hassnachrichten an ihrem Traum arbeitet: auf großen Bühnen zu stehen mit ihrer eigenen Musik.

Die Kabarettistin Esther Münch hat ihre Heimat derartig lieben gelernt, dass sie fest davon überzeugt ist, ihre Heimat riechen zu können. In der dritten Folge führt sie durch ihre Heimat Bochum.

In der vierten Folge berichtet die frühere Spitzensportlerin und Nationaltrainerin Martina Voss-Tecklenburg, wie sie auf den Straßen von Duisburg das Kicken erlernte und warum ihre Mutter dagegen war, dass sie im Verein spielt. Sie erzählt auch, wie sie durch ihre Erkrankung ihren Job nicht mehr machen konnte.

In der fünften Folge erzählt Fernsehmoderatorin und Autoverkäuferin Panagiota Petridou, dass sie ihre Menschenkenntnis vor allem in der Kneipe ihrer Eltern gewonnen hat. Mutter und Vater sind als Gastarbeiter in den 60er Jahren nach Nordrhein-Westfalen gekommen.

In der sechsten Folge stellt Jasmin Wolz ihren Alltag als Feuerwehrfrau in Bochum vor. Sie ist eine von ganz wenigen Frauen, die diesen Job ergreifen. Sie berichtet, dass sie als Jugendliche „das Männer-Ding“ Feuerwehr abstoßend fand und wie sie nun ihren Traumjob gefunden hat.

In der siebten Folge gesteht Oberärztin Dagny Holle-Lee: „Das Ruhrgebiet war am Anfang ein Schock“. Wie sie als eine der Top-Spezialistinnen für Kopfschmerzen ihre Medizin aus Essen heraus betreibt, erzählt sie im Video.

Die seit ihrer Geburt blinde Sängerin Cassandra Mae aus Duisburg erreicht Millionen mit ihrer Musik. Selbst der indische Premier ist ein Fan.

„Ich habe relativ vielen Menschen geholfen zu kündigen,“ sagt Britta Cornelißen. Sie arbeitet als Female Empowerment Coach und setzt sich für einen Mutterschutz für alle ein. Aufgewachsen ist sie in Gladbeck.

In der zehnten Folge: DJ Rubiga Murugesapillai.

Die Folgen erscheinen wochenweise neu auf unserer Wegbier-Formatseite.