Duisburg. Millionen kennen Marie Wegener, weil sie mit 16 Jahren die Castingshow DSDS gewonnen hat. Das will die Duisburgerin hinter sich lassen.
Ob sie es schafft, weiß Marie Wegener nicht. Ob sie eines Tages wieder vor Zehntausenden auftreten wird. Ob sie auf großer Bühne erneut das auslösen kann, was sie als „das krasseste Gefühl“ bezeichnet: „Wenn du Menschen mit deiner Stimme berührst.“
Über 28 Millionen Mal hat die Plattform YouTube die Sequenz ausgespielt, die Wegener als 16-jährige Schülerin bei ihrem ersten Auftritt bei „Deutschland sucht den Superstar“ (DSDS) zeigt. Erst verblüfft sie im Jahr 2018 den kritischen Juror Dieter Bohlen mit ihrer Version von „I Have Nothing“ von Whitney Houston. Dann singt sie sich von Runde zu Runde - und gewinnt schließlich als damals jüngste Kandidatin die Show.
Sechs Jahre später treffen wir Wegener für unser Videoformat „Wegbier“. Zehn Frauen aus dem Ruhrgebiet starten mit uns am Büdchen und zeigen uns Orte mit einer besonderen Bedeutung für sie. Unterwegs erzählen sie ihre Geschichte.
Mit Wegener sind wir an „Rosis Stübchen“ verabredet, um zum Duisburger Innenhafen zu schlendern. Früher hat sie die Strecke vorbei an modernen Bürotürmen, alten Kränen und Segelbooten im hohen Tempo bei Zehn-Kilometer-Läufen absolviert. Heute geht die 23-Jährige hier gern abends mit ihrem Hund spazieren.
Marie Wegener: Soll ich aufhören?
Beim Sport wie beim Singen sei sie ein Mensch, der intensiv an etwas arbeiten und seine Grenzen verschieben könne. Erst erscheine es zu anspruchsvoll, aber durch hartes Training erreiche sie dann doch ihr Ziel. „Du musst immer an dich glauben - egal, wie schwer der Weg ist und wie tief das Loch ist, in das du fällst“, sagt die 23-Jährige.
Ein Loch – das tut sich für die Duisburgerin während der Corona-Zeit auf. Der DSDS-Sieg hatte sie in die Schlagerwelt katapultiert: Sie hat einen Plattenvertrag. Sie singt auf großen Festivals und geht mit Andreas Gabalier auf Tour. „Guck dir die Helene Fischer an – in dem Metier kannst du mitspielen“, versprechen ihr die Berater. Sie kämpft sich auch durch Auftritte, bei denen das Publikum sie ausbuht und Menschen um sie herum hinter der Bühne koksen. Zweifel keimen in der jungen Sängerin auf. Kann sie in diesem Umfeld zeigen, was in ihr steckt? Dann bleiben die Auftritte wegen der Corona-Maßnahmen aus. „Soll ich aufhören?“, fragt sie sich zum ersten Mal.
„Mein Herz zur Musik ist mehr wert als das Geld, das man mit Schlager verdienen kann“
„Mein Herz, meine Seele zur Musik sind mir mehr wert als das Geld, das man mit Schlager verdienen kann“, sagt Wegener heute. Für DSDS und was dieser Erfolg mit sich gebracht hat, sei sie dankbar. Aber sie wolle nicht mehr nur darüber definiert werden.
Wegener probiert sich aus. Sie postet ihre Musikvideos bei TikTok. Anders als in der Schlagerwelt erreicht die junge Frau hier vor allem Menschen, die so alt sind wie sie selbst. Sie schreiben ihr: „Du berührst mich mit deiner Stimme sehr“ oder „Ich habe Gänsehaut“. Solche Rückmeldungen sind für Wegener ein Zeichen, dass sie weitermachen soll.
Sie trennt sich von ihrem Management. Dann löscht sie die Schlagerzeit aus. Auf ihrem Instagram-Account sind die Fotos und Videos aus dieser Zeit verschwunden. Ihr Youtube-Kanal ist aufgeräumt. Darüber steht ihr neuer Künstlername: Mary Lane.
Sie singt auf Englisch und schreibt jetzt auch selbst. Einen ersten Song hat sie veröffentlicht, ein zweiter soll Ende September folgen. „Das ist ein Risiko, ein Investment“, ist sie sich bewusst. Sie geht von „jahrelanger Aufbauarbeit“ aus, um sich als eigenständige Künstlerin zu etablieren.
Neben ihrem Musikmanagement-Studium in Düsseldorf arbeitet Wegener mehrmals in der Woche mit einem Gesangstrainer, nimmt im Studio auf, produziert Videos. Geld verdient sie mit Auftritten bei größeren Firmenveranstaltungen und exklusiven Feiern. Ab November spielt sie die Hauptrolle im Musical „Geist der Weihnacht“ im Metronom-Theater in Oberhausen.
Sängerin bekommt Morddrohungen auf TikTok
Auf TikTok und Instagram sehen die Fans nun immer wieder Bilder einer jungen Frau, die ihr Aussehen in Szene setzt: bauchfreies Top, dunkle, lange Haare, die über die nackten Schultern fallen, mit Kajal und Lidschatten betonte Augen. In kurzen Videosequenzen covert sie englische Popsongs, präsentiert sich mal verträumt, mal sexy, mal energiegeladen.
Dafür bekommt sie viel Zuspruch, aber auch Nachrichten voller Hass. „Ich bin der hässlichste Mensch auf der Welt, ich bin zu dick, ich bin zu dünn“, zählt sie die Beleidigungen auf. Auch Morddrohungen habe sie auf TikTok erhalten. Inzwischen ignoriert und blockiert sie das komplett. „Fokussiert euch auf die positiven Kommentare, vor allem aber auf euch selbst“, rät sie anderen.
- Zur Wegbier-Folge eins mit der Gelsenkirchener Kampfsportlerin Mandy Böhm geht es hier
Das gelinge ihr selbst nicht immer. Manchmal stehe sie morgens vor dem Spiegel und frage sich: Wie sehe ich heute eigentlich aus? Bin ich es wert? „Aber das sind die falschen Gedanken“, sagt sie. Es komme nicht darauf an, was andere über Äußerlichkeiten sagen.
Schon sehr früh hat Wegener lernen müssen, mit Anfeindungen umzugehen. Von der fünften bis zur siebten Klasse mobben Mitschüler sie. Warum, weiß sie nicht. Damals wie heute ist es insbesondere die Mutter, die sie unterstützt.
Familie in Duisburg bleibt der Ankerpunkt
Die besondere Beziehung zu ihrer Familie hält an, sie wohnt bis heute bei ihr. „Duisburg ist für mich Heimat und für immer mit meiner Familie verbunden“, stellt sie klar. Hier sind die Orte, die sie erden: der Landschaftspark, wo sie als Kind zusammen mit ihrer Mutter die Liveshows einer früheren DSDS-Staffel sah und wenig später ihr erstes eigenes Musikvideo drehte. In unmittelbarer Nähe, im Stadtteil Meiderich, ist sie aufgewachsen.
Ein anderer Ort ist das Tierheim, das die 23-Jährige immer wieder besucht. Sie bedauert, dass sie wegen ihres knappen Zeitbudgets keinen weiteren Hund aufnehmen kann. Aber sie bleibt fokussiert auf ihren Lebensplan: „Mein größter Wunsch ist es, auf den großen Bühnen zu stehen und dass die Menschen meine Songs mitsingen können.“
Auf ein Wegbier – Zehn Frauen aus dem Ruhrgebiet
Zehn Frauen, zwei Getränke, ein Weg: Im neuen Video-Format Wegbier trifft sich Anne Krum, Chefredakteurin Digital, in zehn Folgen mit Frauen aus dem Ruhrgebiet. Sie starten am Kiosk. Mit einem Getränk in der Hand gehen sie zu prägenden Orten oder Lieblingsplätzen. Auf dem Weg erzählen die Frauen ihre Geschichten. Was treibt sie an, was um?
Kampfsportlerin Mandy Böhm trinkt in der ersten Folge (ab 13. September) kein Bier, aber Kaffee. Beim Streifzug durch Gelsenkirchen erzählt sie, warum sie zwar nicht so aussieht, sie sich selbst aber für ein „Monster“ hält.
In der zweiten Folge erzählt Sängerin Marie Wegener, warum sie trotz Morddrohung und Hassnachrichten an ihrem Traum arbeitet: auf großen Bühnen zu stehen mit ihrer eigenen Musik.
Die Kabarettistin Esther Münch hat ihre Heimat derartig lieben gelernt, dass sie fest davon überzeugt ist, ihre Heimat riechen zu können. In der dritten Folge führt sie durch ihre Heimat Bochum.
In der vierten Folge berichtet die frühere Spitzensportlerin und Nationaltrainerin Martina Voss-Tecklenburg, wie sie auf den Straßen von Duisburg das Kicken erlernte und warum ihre Mutter dagegen war, dass sie im Verein spielt. Sie erzählt auch, wie sie durch ihre Erkrankung ihren Job nicht mehr machen konnte.
In der fünften Folge erzählt Fernsehmoderatorin und Autoverkäuferin Panagiota Petridou, dass sie ihre Menschenkenntnis vor allem in der Kneipe ihrer Eltern gewonnen hat. Mutter und Vater sind als Gastarbeiter in den 60er Jahren nach Nordrhein-Westfalen gekommen.
In der sechsten Folge stellt Jasmin Wolz ihren Alltag als Feuerwehrfrau in Bochum vor. Sie ist eine von ganz wenigen Frauen, die diesen Job ergreifen. Sie berichtet, dass sie als Jugendliche „das Männer-Ding“ Feuerwehr abstoßend fand und wie sie nun ihren Traumjob gefunden hat.
In der siebten Folge gesteht Oberärztin Dagny Holle-Lee: „Das Ruhrgebiet war am Anfang ein Schock“. Wie sie als eine der Top-Spezialistinnen für Kopfschmerzen ihre Medizin aus Essen heraus betreibt, erzählt sie im Video.
Die seit ihrer Geburt blinde Sängerin Cassandra Mae aus Duisburg erreicht Millionen mit ihrer Musik. Selbst der indische Premier ist ein Fan.
„Ich habe relativ vielen Menschen geholfen zu kündigen,“ sagt Britta Cornelißen. Sie arbeitet als Female Empowerment Coach und setzt sich für einen Mutterschutz für alle ein. Aufgewachsen ist sie in Gladbeck.
In der zehnten Folge: DJ Rubiga Murugesapillai.
Die Folgen erscheinen wochenweise neu auf unserer Wegbier-Formatseite.