Solingen. Fernseh-Moderatorin Panagiota Petridou stillt ihr zweieinhalbjähriges Kind als „Ausdruck von Nähe“. Für Männer hat sie eine klare Botschaft.

Panagiota Petridou zeigt auf den Bordstein. „Hier habe ich als Kind immer gesessen, wenn die Männer aus der Kneipe kamen“, sagt die Fernsehmoderatorin. Vor ihr donnern Autos und Lieferwagen über die Straße in Solingen. Hinter ihr steht ein weißer Altbau. Baujahr 1898, die Zahl prangt am Giebel. Der große Türrahmen darunter ist zugemauert. „Ich habe die Gäste in ein Gespräch verwickelt und, wenn sie sehr betrunken waren, nach Hause gebracht“, erinnert sie sich.

In den 80er Jahren betreiben ihre Eltern hier eine Kneipe. Im Stockwerk darüber wohnt die Familie. Petridou ist die Jüngste von drei Geschwistern. Zwanzig Jahre zuvor sind ihre Eltern als Gastarbeiter aus einem griechischen Dorf nach Deutschland gekommen. In der Gastronomie sehen sie eine Chance, sich hochzuarbeiten. „Meine Mutter ist bis heute stolz darauf, dass sie in diesem Land nicht einen Tag arbeitslos war“, sagt Petridou. Sie habe ihr eingebläut, dass sie viel Geld verdienen könne. Es gebe überall Putzstellen.

Wir treffen die TV-Moderatorin Panagiota Petridou in Solingen für das „Wegbier“. In dem Videoformat zeigen uns zehn Frauen aus der Region die Orte, die für sie eine besondere Bedeutung haben. Auf dem Weg erzählen sie ihre Geschichte.

Panagiota Petridou, Fernsehmoderatorin und Autoverkäuferin.
Die TV-Moderatorin und Autoverkäuferin Panagiota Petridou ist als Tochter von griechischen Gastarbeitern in Solingen aufgebwachsen. Ihre Emphatie und Menschenkenntnis habe sie in der Kneipe der Eltern gewonnen, ist sie überzeugt.  © Hans & Franz Filmproduktion | Hans & Franz Filmproduktion

Petridou ist mit Sendungen wie „Biete Rostlaube, suche Traumauto“ im Fernsehen zu sehen, tourt mit ihrer Bühnenshow durch Deutschland und arbeitet weiter als Autoverkäuferin. Sie lebt in ihrer Heimatstadt – nur wenige Kilometer entfernt von der inzwischen geschlossenen Gaststätte ihrer Eltern.

Meine Empathie und Menschenkenntnis sind sicher in der Kneipe entstanden“, sagt die 45-Jährige. Sie habe sehr viel Leid und auch glückliche Momente erlebt. Einen großen Unterschied gebe es nicht zwischen Kneipe und Bühne. „Die Leute wollen unterhalten werden“, glaubt Petridou. Sie wollten ihren Alltag teilen und Geschichten erzählen. Es komme darauf an, gut zuzuhören.

Panagiota Petridou: „Die Menschen kaufen dich“

Als kleines Mädchen wischt sie Tische ab, spitzt Billardqueues an und holt Zigarettenschachteln für die Kunden. Sie beobachtet, wie ihre Mutter die Gäste bedient. „Dem einen hat sie das Bier lautlos hingestellt, den anderen hat sie in den Schwitzkasten genommen, beim nächsten hat sie gefragt, wie es dem Hund geht, ein anderer hat sich immer über seine Frau beschwert“, zählt sie auf. Alle hätten etwas getrunken, aber jeder habe sein Bier auf andere Art ausgeschenkt bekommen. Nicht der beste Preis entscheide, sondern die Persönlichkeit, die etwas anbietet. „Die Menschen kaufen dich – das ist im Entertainment genauso wie im Autoverkauf wie im Leben“, ist Petridou überzeugt.  

Panagiota Petridou Wegbier
Als junges Mädchen hat TV-Moderatorin Panagiota Petridou (links) vor der Kneipe ihrer Eltern die Gäste in ein Gespräch verwickelt und die Betrunkenen nach Hause gebracht. Im Videoformat Wegbier zeigt die 45-Jährige, wo das Lokal früher war. Heute ist der Eingang zugemauert und die Kneipe in Wohnungen umgewandelt.  © Hans & Franz Filmproduktion | Hans & Franz Filmproduktion

Die Mutter gibt ihr als junges Mädchen den Spitznamen „Jutta“. Das könnten sich die Leute besser merken als Panagiota. Die Eltern unterhalten sich auf Griechisch. Vor anderen spricht die Familie dagegen nur Deutsch. „Wir wollen die Gäste nicht verärgern“, sagt die Mutter damals. Sie lässt ihrer Tochter viel Freiheiten, wann sie ins Bett geht oder ob sie sich die Zähne zuvor putzt. Zugleich vermittelt sie ihr ein konservatives Wertebild. Rot lackierte Fingernägel sind zum Beispiel aus Sicht der Mutter „schlampig“. Bei ihren deutschen Freundinnen sei sie stets der einzige Besuch gewesen, während ihre Mama für zehn Kinder gleichzeitig Schnitzel und Pommes zubereitet habe.

Fernsehmoderatorin Petridou sucht als Kind ihre Identität: Deutsche oder Griechin?

Petridou wächst in diesen zwei Welten auf. Sie sucht ihre Identität: „Bin ich Deutsche oder Griechin? Wo gehöre ich hin und was gehört sich jetzt?“, fragt sie sich. Heute bringt sie Menschen mit Geschichten aus ihrem Leben und Anekdoten über ihre Mutter zum Lachen.

Der Traum, ein Publikum zu haben, hat sich in ihr festgesetzt, seitdem sie ganz klein ist. Sie macht Abitur und eine kaufmännische Ausbildung. Da entdeckt ihr damaliger Freund eine Stellenanzeige: Außergewöhnliche Autoverkäufer gesucht. Ihr Freund lacht sie aus, aber sie wettet mit ihm, dass sie den Job bekommt, und gewinnt. „Dann habe ich angefangen, Autos zu verkaufen und bin darin auch richtig erfolgreich.“

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Später schlägt ein Produzent sie für ein Fernsehformat vor, nachdem sie ihm einen Wagen verkauft hat. Die Sendung läuft inzwischen elf Jahre. Sie blicke nie missmutig auf den nächsten Arbeitstag. „Ich denke immer: geil, morgen wieder Autos verkaufen. Oder geil: morgen wieder drehen.“ Das sei auch der Grund, warum sie seit 15 Jahren weiter für ein Autohaus arbeite, obwohl sie auch im Fernsehen und auf den Bühnen erfolgreich unterwegs ist. Sie sei so aufgewachsen in dem Verständnis, dass jedes Jobangebot eine Chance ist. „Ich bin froh, dass ich arbeiten kann“, sagt Petridou.

„Ich habe schon mehr mit meinem Kind gekuschelt als meine Eltern mit mir“

Selbst eine Familie zu gründen, habe sie lange Zeit nicht interessiert. Erst spät sei sie Mutter geworden. Nun mache ein kleiner Mensch ihr Leben komplett. „Ich habe in zwei Jahren jetzt schon mehr mit meinem Kind gekuschelt als meine Eltern mit mir in 45 Jahren“, sagt sie. Sie wolle es anders machen, als sie es selbst damals erlebt habe, und da sein für ihre Familie.

Panagiota Petridou Wegbier Videoformat
Die TV-Moderatorin Panagiota Petridou stillt ihr zweieinhalbjähriges Kind als "Ausdruck der Nähe". Im Videoformat "Wegbier" erzählt sie Anne Krum (links), Chefredakteurin Digital, dass sie nicht mit dem Ausmaß an Reaktionen gerechnet hat, als sie Stillmomente in einem Video auf Instagram öffentlich gemacht hat.  © Hans & Franz Filmproduktion | Hans & Franz Filmproduktion

Überrascht von Reaktionen auf Still-Video: Hunderte Kommentare

Ein „Ausdruck der Nähe“ sei es daher für sie, ihrem Kind auch mit zweieinhalb Jahren die Brust zu geben. Auf ihrem Instagram-Account hat sie ein Video geteilt mit Augenblicken, in denen sie stillt: an eine Hauswand gelehnt, im Flugzeug und in der Maske beim Schminken. Das Ausmaß der Reaktionen überrascht sie. Unter ihrem Video berichten Mütter in Hunderten von Kommentaren von Anfeindungen, Druck und bösen Sprüchen: weil sie zu lang, zu kurz oder gar nicht gestillt haben.

Was für Petridou Alltagsmomente sind, ist in Deutschland noch immer ein Tabuthema. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt, in den ersten sechs Lebensmonaten voll zu stillen und das bis zu zwei Jahren und länger fortzusetzen. Hierzulande aber bekommen nur 13 Prozent der Babys bis zum Ende des sechsten Monats ausschließlich Muttermilch. Die durchschnittliche Stillzeit endet im siebten Monat. Das zeigen Daten des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Wie viele Frauen wie Petridou ihrem Kind deutlich länger die Brust geben, ist nicht bekannt.

„Ich will niemanden zum Stillen missionieren“, stellt die Moderatorin klar. Ihr sei es nur wichtig, das zu tun, was ihrem Kind guttue. Dass sie dafür insbesondere von Männern blöde Kommentare bekomme, beeindrucke sie nicht. Eine klare Botschaft hat sie dennoch: „Der einzige Grund, warum wir Frauen Möpse haben, ist, damit wir unser Kind ernähren, liebe Jungs.“

Auf ein Wegbier – Zehn Frauen aus dem Ruhrgebiet

Zehn Frauen, zwei Getränke, ein Weg: Im neuen Video-Format Wegbier trifft sich Anne Krum, Chefredakteurin Digital, in zehn Folgen mit Frauen aus dem Ruhrgebiet. Sie starten am Kiosk. Mit einem Getränk in der Hand gehen sie zu prägenden Orten oder Lieblingsplätzen. Auf dem Weg erzählen die Frauen ihre Geschichten. Was treibt sie an, was um?

Kampfsportlerin Mandy Böhm trinkt in der ersten Folge (ab 13. September) kein Bier, aber Kaffee. Beim Streifzug durch Gelsenkirchen erzählt sie, warum sie zwar nicht so aussieht, sie sich selbst aber für ein „Monster“ hält.

In der zweiten Folge erzählt Sängerin Marie Wegener, warum sie trotz Morddrohung und Hassnachrichten an ihrem Traum arbeitet: auf großen Bühnen zu stehen mit ihrer eigenen Musik.

Die Kabarettistin Esther Münch hat ihre Heimat derartig lieben gelernt, dass sie fest davon überzeugt ist, ihre Heimat riechen zu können. In der dritten Folge führt sie durch ihre Heimat Bochum.

In der vierten Folge berichtet die frühere Spitzensportlerin und Nationaltrainerin Martina Voss-Tecklenburg, wie sie auf den Straßen von Duisburg das Kicken erlernte und warum ihre Mutter dagegen war, dass sie im Verein spielt. Sie erzählt auch, wie sie durch ihre Erkrankung ihren Job nicht mehr machen konnte.

In der fünften Folge erzählt Fernsehmoderatorin und Autoverkäuferin Panagiota Petridou, dass sie ihre Menschenkenntnis vor allem in der Kneipe ihrer Eltern gewonnen hat. Mutter und Vater sind als Gastarbeiter in den 60er Jahren nach Nordrhein-Westfalen gekommen.

In der sechsten Folge stellt Jasmin Wolz ihren Alltag als Feuerwehrfrau in Bochum vor. Sie ist eine von ganz wenigen Frauen, die diesen Job ergreifen. Sie berichtet, dass sie als Jugendliche „das Männer-Ding“ Feuerwehr abstoßend fand und wie sie nun ihren Traumjob gefunden hat.

In der siebten Folge gesteht Oberärztin Dagny Holle-Lee: „Das Ruhrgebiet war am Anfang ein Schock“. Wie sie als eine der Top-Spezialistinnen für Kopfschmerzen ihre Medizin aus Essen heraus betreibt, erzählt sie im Video.

Die seit ihrer Geburt blinde Sängerin Cassandra Mae aus Duisburg erreicht Millionen mit ihrer Musik. Selbst der indische Premier ist ein Fan.

„Ich habe relativ vielen Menschen geholfen zu kündigen,“ sagt Britta Cornelißen. Sie arbeitet als Female Empowerment Coach und setzt sich für einen Mutterschutz für alle ein. Aufgewachsen ist sie in Gladbeck.

In der zehnten Folge: DJ Rubiga Murugesapillai.

Die Folgen erscheinen wochenweise neu auf unserer Wegbier-Formatseite.