Duisburg. Die Kinder- und Jugendbanden in Meiderich werden jetzt Thema im Duisburger Bundestagswahlkampf. Ein Kandidat schlägt eine umstrittene Maßnahme vor.

Anwohner und Geschäftsleute in Meiderich berichten von Überfällen, Diebstählen, Bedrohungen, Drogenhandel und illegaler Prostitution. Gewaltbereite Kinder- und Jugendbanden machen die Einkaufsstraße unsicher, wüten am Max-Planck-Gymnasium. „Wo ist der Aufschrei? Was unternehmen Stadt, Polizei und Politik?“, fragt eine Online-Petition, die sich an die NRW-Landespolitik richtet. Ein Duisburger Bundestagskandidat kündigt nun im Wahlkampf mit Blick auf Meiderich an, sich in Berlin für eine drastische Gesetzesänderung engagieren zu wollen – und kritisiert direkt seinen politischen Kontrahenten im Wahlkreis.

Björn Pollmer, CDU-Kandidat für den Duisburger Norden und Nordwesten, sagt: „Ich werde mich im Bundestag dafür einsetzen, dass die Strafmündigkeit von 14 auf zwölf Jahre abgesenkt wird. Neben der Erweiterung von Präventionsprogrammen und dem Schaffen von Perspektiven für junge Menschen halte ich das für einen wichtigen Schritt, Jugendkriminalität effektiv zu begegnen.“

Hintergrund: Befragte Mitarbeiter und Inhaber der Geschäfte an der Von-der-Mark-Straße berichten übereinstimmend, Jugendliche im Alter zwischen 12 und 14 Jahren würden für Angst und Schrecken sowie für viele Diebstähle sorgen (wir berichteten).

Duisburg: Björn Pollmer (CDU) fordert Absenkung des Strafmündigkeitsalters

Pollmer, 26, Vorsitzender der CDU-Fraktion in der Bezirksvertretung Walsum und Referent des Oberhausener Oberbürgermeisters Daniel Schranz (CDU), ist in Meiderich aufgewachsen. „Die Entwicklung des Stadtteils tut einem in der Seele weh. Dieses Ausmaß an Straftaten und die Folge, dass mittlerweile der Ordnungsdienst Ladenbesitzer nach Schließung der Geschäfte zu den Autos begleiten muss, zeigt, dass hier etwas ganz grundsätzlich nicht stimmt. Früher gab es das in dieser Form so nicht“, erläutert Pollmer in einer Mitte Dezember veröffentlichten Mittelung.

Und weiter: „Es ist für mich unstrittig, dass eine sich verändernde Bevölkerungsstruktur maßgeblichen Anteil daran hat, dass der Stadtteil Meiderich sich in den letzten Jahren massiv zurückentwickelt hat.“ Durch Gespräche mit Schulleitungen vor Ort oder im Themenforum Sicherheit des CDU-Kreisverbandes wisse er, was „auf den Schulhöfen abgeht“. Selbsternannte „Talahons“ seien „längst nicht mehr nur ein witziges Internet- oder Großstadt-Phänomen“.

Bundestagskandidat Björn Pollmer (CDU) befürwortet die Absenkung des Strafmündigkeitsalters.
Bundestagskandidat Björn Pollmer (CDU) befürwortet die Absenkung des Strafmündigkeitsalters. © FUNKE Foto Services | Alexandra Roth

CDU-Kandidat lobt Reul und kritisiert Staatssekretär Özdemir (SPD)

Die Behörden seien „heutzutage mit der Herausforderung konfrontiert, dass nicht nur Jugendliche, sondern schon bislang strafunmündige Kinder unter 14 Jahren kriminelle Taten begehen. Dabei gehen sie immer rücksichtsloser und gewalttätiger vor“. Das sieht der CDU-Politiker durch die Kriminalstatistik bestätigt, die in den vergangenen Jahren einen Anstieg der Kinderkriminalität aufzeigt – „gerade auch hier in Meiderich“.

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Poller meint, eine Absenkung der Strafmündigkeit werde die Polizei „noch schlagkräftiger machen“. Der CDU-Kandidat nimmt die im Bund regierende SPD ins Visier und lobt den eigenen NRW-Minister: „Leider haben es die Bundesinnenministerin und auch ihr Staatssekretär in der Legislaturperiode nicht geschafft, hierzu etwas Produktives beizutragen – im Gegensatz zu NRW-Innenminister Herbert Reul.“

Özdemir: Reul hat „Polizei systematisch aus Stadtteilen abgezogen“

Er meint Nancy Faeser und den Bundestagsabgeordneten Mahmut Özdemir, der sein Direktmandat im Stadtnorden bei der Wahl am 23. Februar verteidigen will. Auf den Vorwurf angesprochen, sagt Özdemir: Es sei „unredlich“, die Entwicklung in Meiderich mit der Absenkung der Strafmündigkeit zu verbinden, Pollmers Herleitung sei „schlicht falsch“.

Schließlich hätten der eskalierten Kinder- und Jugendkriminalität die CDU-geführte Landesregierung und Innenminister Reul den Weg geebnet, kritisiert Özdemir: „Sie haben die Wache in Meiderich geschlossen und das Versprechen nicht gehalten, weiter mit ausreichend Personal vor Ort zu sein.“

Mahmut Özdemir (SPD) kritisiert die Schließung der Polizeiwachen in Meiderich und Homberg.
Mahmut Özdemir (SPD) kritisiert die Schließung der Polizeiwachen in Meiderich und Homberg. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

Auch in Homberg seien die negativen Folgen der Schließung der Wachen 2022 zu beobachten, so Özdemir: „Wenn die Polizei systematisch aus den Stadtteilen abgezogen wird, kann sie auf der Straße nicht mehr Präsenz zeigen.“

Mehr Polizeipräsenz Voraussetzung für „null Toleranz“

Das sei jedoch die Voraussetzung, um „mit null Toleranz und voller Härte des Gesetzes“ sowie notfalls erzieherischen Maßnahmen der Stadt gegen kriminelle Kinder und Jugendliche vorzugehen: „Denen muss man sich auf die Füße stellen und in jeder Situation vor Augen führen, dass der Rechtsstaat auf der Straße das Sagen hat – und nicht sie.“

Einer Debatte über die Absenkung der Strafmündigkeit will sich Özdemir nicht verschließen – „aber dann in einem größeren Kontext. Wenn wir über Strafmündigkeit sprechen, sollten wir auch über Volljährigkeit und das Wahlalter beraten.“

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>> Debatte über Strafmündigkeitsalter

Für eine Verurteilung wird vorausgesetzt, dass ein Beschuldigter die nötige Einsichtsfähigkeit für eine strafrechtliche Verantwortlichkeit besitzt. Das Jugendstrafrecht geht davon aus, dass dies bei unter 14-Jährigen noch nicht der Fall ist. Es gilt Paragraf 3 des Jugendgerichtsgesetzes: „Ein Jugendlicher ist strafrechtlich verantwortlich, wenn er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung schon reif genug ist, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln.“

Der Bundesvorstand der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) fordert seit Jahren „neben der Beseitigung der sozialen und gesellschaftlichen Ursachen für die Kinderkriminalität … die Herabsetzung des Strafmündigkeitsalters auf 12 Jahre“. Mit der Absenkung sei nicht automatisch verbunden, dass Zwölfjährige zur Verbüßung einer Strafe in die Jugendstrafanstalt gehören: „Bei einer Herabsetzung würde selbstverständlich, wie jetzt bereits bei 14-Jährigen, die im Einzelfall zu prüfende individuelle Strafreife (vgl. § 3 JGG) gelten.“

Die Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister beschäftigte sich 2024 mit einer wissenschaftlichen Studie zur Strafmündigkeitsgrenze. In einem Beitrag für die Kriminalpolitische Zeitschrift (kripoz.de) schreiben die Autoren, die „spezialpräventiv-erzieherische Grundausrichtung des Jugendstrafrechts“ setze „eine verlässliche Evidenzbasierung voraus. Für sie sind belastbare kriminologische, entwicklungspsychologische und jugendpsychiatrische Grundlagen erforderlich. Daran mangelt es nach wie vor.“