Duisburg. Überfälle, Einbrüche, Bedrohungen: Ladeninhaber sprechen jetzt offen über ihre Angst in Meiderich. Was dort im Dunkeln wirklich passiert.
Mit der Dunkelheit legt sich auch die Angst auf die Von-der-Mark-Straße im Duisburger Norden. Es ist die Angst vor Überfällen, Bedrohungen, Pöbeleien. Es gibt Berichte über illegale Prostitution und Drogenhandel rund um die bekannte Einkaufstraße und den Bahnhof. Die Polizei führt den Bereich als Kriminalitätsschwerpunkt. Viele beschreiben es so: Meiderich sei ein Stadtteil „in der Abwärtsspirale“. Es sind Schilderungen der Anwohner und Ladeninhaber, die die Furcht greifbar machen.
Montagabend, 17.30 Uhr: Die stimmungsvolle Weihnachtsbeleuchtung funkelt. Zahlreiche Menschen laufen mit Einkaufstüten zu ihren Autos. Junge Mütter sind mit Kinderwagen unterwegs. In den Geschäften locken die Auslagen. Das Meidericher Stadtteilzentrum bietet noch ein breites Angebot: unter anderem Edeka, einen Optiker, Apotheken, Juweliere, Lotto-Läden, einen Floristen, einen Schuster, Filialen von DM, Ernsting‘s Family sowie zahlreiche Imbisse, Barbershops, Trinkhallen, Handyläden. Doch wer genau hinschaut, dem fallen die Aushänge in den Schaufenstern auf. „Kein Eintritt für Kunden unter 18 Jahren“ steht auf einem. Andere kündigen an, dass der Laden unter der Woche schon um 14.30 Uhr schließt.
„Nach Einbruch der Dunkelheit bitte klopfen“, informiert Augenoptikermeister Axel Schorsch auf einem Zettel an der Eingangstür zu seinem Brillenfachgeschäft. „Das ist leider nötig“, sagt er. Dann zählt er auf, was ihm in den vergangenen Wochen und Monaten widerfahren ist: Vandalismus, Diebstahl und ein Einbruch. „Die Scheiben sind jeden Morgen vollgerotzt.“
Angst in Duisburg-Meiderich: „Das sind die, die sich selbst Talahons nennen“
Nach den Schilderungen des Ladeninhabers passiert es immer wieder nach 17 Uhr: Jugendgruppen betreten das Geschäft. „Einer verwickelt mich oder meine Mitarbeiter in ein Gespräch. Seine Komplizen greifen dann zu. Die sind vielleicht 13 oder 14 Jahre alt“, erklärt Schorsch. Einmal hätten sich Jugendlichen nach dem Preis für ein Brillengestell erkundigt. „In der folgenden Nacht wurde dann die Scheibe eingeworfen und das teure Brillengestell gestohlen.“ Wenn er nach Ladenschluss zu seinem Auto geht, sieht er „Jungs“, die sich auf dem Parkplatz zum Spaß herumschubsen. „Ihre Jacken liegen auf meiner Motorhaube.“
Sein Geschäft möchte er trotzdem nicht aufgeben. „Natürlich wäre es in einem ruhigeren Stadtteil schön. Aus wirtschaftlicher Sicht ist die Lage aber eigentlich gut. Die Haltestelle und der Taxistand liegen ja direkt vor der Tür“, sagt Axel Schorsch. Er verrät aber auch: Immer mehr Alt-Meidericher würden sich abwenden. „Das kann ich verstehen.“ Kurz nachdem er das berichtet, explodiert wenige Meter vor seinem Laden ein Böller. Andere Meidericher bestätigen die Informationen des Optikermeisters. Viele alteingesessene Hauseigentümer, sagen sie, haben ihre Eigenheime bereits verkauft.
Spricht man mit Mitarbeitern und Inhabern der Geschäfte an der Von-der-Mark-Straße gleichen sich die Beschreibungen frappierend: Sie alle sprechen von Jugendlichen im Alter zwischen 12 und 14 Jahren, die für Angst und Schrecken sorgen. Sie tragen auffällige Markenkleidung, haben ein „südländisches Aussehen“ und treten meist in sechs- bis achtköpfigen Gruppen auf. „Das sind die, die sich selbst Talahons nennen“, sagen zwei Frauen. Es ist der Begriff, den immer mehr Menschen vor Ort verwenden. Bei ihren Beutezügen hätten die jungen Täter es besonders auf Zigaretten abgesehen. Auch vor Spendendosen würden sie nicht Halt machen.
Andere Verkäufer schildern, dass die Jugendlichen manchmal auch auf kleine Gelegenheitsdiebstähle aus sind und wahllos Gegenstände einstecken. Sobald nur einer oder zwei von ihnen in Jogginganzügen und Brustbeutel die Läden betreten, sind die erfahrenen Mitarbeiter schon gewarnt. Argwöhnische Blicke können selbst reguläre Kunden abbekommen, wenn auch nur kurz, sobald sie zu zweit eintreten. In einigen kleinen Geschäften bedient niemand mehr alleine oder hat abends zumindest die Eingangstür verschlossen. Diese Probleme soll es schon seit knapp zwei Jahren geben, wobei Betroffene anmerken, dass es mit der Zeit immer schlimmer geworden sei.
Einbrüche in Meiderich: Immmer wieder trifft es den Edeka
Dass die Polizei Duisburg und das Ordnungsamt derzeit verstärkt patrouillieren, wie es aus beiden Behörden heißt, können längst nicht alle Ladeninhaber und ihre Mitarbeiter bestätigen. Zwar war im November beim Martinsmarkt viel Polizeipräsenz, erzählt eine Verkäuferin, aber davon merke sie im Advent schon nichts mehr. „Wir brauchen eine dauerhafte Lösung“, fordert sie und bekräftigt, dass sie sich nicht wegbewerben möchte. Wie sie fühlen sich viele Meidericher Kaufleute den Anwohnern verpflichtet, insbesondere den Seniorinnen und Senioren, die fußläufig einkaufen müssen. „Meiderich darf kein Brachland werden“, gibt sich die Frau kämpferisch. Auch die Filialisten geben nicht klein bei und setzen teilweise Security gegen Ladendiebe ein.
Eine Dame, die ebenfalls unerkannt bleiben möchte, spricht dann über einen Vorfall, der ihr nicht aus dem Kopf geht: Ein Jugendlicher habe in ihrem Geschäft stehlen wollen. Sie habe ihn aus dem Laden gedrängt und die Tür geschlossen. „Doch er wollte nicht gehen. Hat vor der Ladentür herumgetanzt und mir den Mittelfinger gezeigt.“
Solche Szenen beobachten auch Gastronomen, außerdem Einbrüche oder dass Schaufenster mit Steinen eingeworfen werden. Imbisse haben bislang zwar keinen Ärger mit Jugendbanden, aber auch dort arbeitet man lieber abends nicht mehr allein. Nachbarschaftshilfe, heißt es, sei auf der Einkaufsstraße wichtig und selbstverständlich – manchmal bedeutet das Anrufe bei der Polizei.
Was rund um die Einkaufstraße längst kein Geheimnis mehr ist: Dass vor allem der Edeka-Supermarkt immer wieder ins Visier der jungen Kriminellen gerät, die dort einbrechen. So häufig, dass der Inhaber die letzten Einbrüche schon nicht mehr seiner Versicherung gemeldet hat. Die Schiebetür wurde zuletzt nur noch mit Spanholzplatten geflickt. Immer wieder wurde das Glas eingeschlagen. Ein Rollgitter schützt neuerdings den Eingang, und die Schaufenster sind vergittert. Außerdem nutzen Drogendealer die Supermarkttiefgarage für ihre Geschäfte, und Kunden wollen dort unten sogar illegale Prostitution beobachtet haben, die mit Rauschgift statt Bargeld bezahlt wird.
Polizisten sind in Zivil unterwegs
Der Supermarkt war auch das Ziel einer Bande, die die Polizei nach intensiver Beobachtung im Oktober fassen konnte. In 50 Fällen sollen die Bandenmitglieder in unterschiedlicher Konstellation in Duisburg und Umgebung gezielt Tabakwaren erbeutet haben. Von der Kohle aus dem Verkauf gingen die Einbrecher im Alter von 14 bis 20 Jahren dann in Outlets shoppen. „Es handelt sich bei den durchweg männlichen Tatverdächtigen um deutsche, libanesische und syrische Staatsangehörige“, teilt die Polizei kurz nach dem Ermittlungserfolg mit. „Seitdem ist es etwas ruhiger geworden“, bilanziert auch Optiker Axel Schorsch. Dies hat Duisburgs Sicherheitsdezernent Michael Rüscher unlängst ebenso eingeordnet. Seither sind keine Zigarettendiebe mehr in den Ededa-Markt eingebrochen, bestätigt der Inhaber. Doch Ladendiebstahl geschehe weiterhin „täglich“ und sei „massiv“. Diese Täter sind seiner Schilderung zufolge zumeist nicht die Jugendbanden, sondern Rumänen oder Bulgaren.
Jetzt am Montagabend sind offenbar weder Polizei noch das Ordnungsamt auf der Von-der-Mark-Straße unterwegs. Zu sehen ist lediglich der Sicherheitsdienst, der am Bahnhof und an der U-Bahnstation für Ruhe sorgen soll. Polizeisprecherin Julia Tekock betont jedoch, dass mehr Polizistinnen und Polizisten rund um den Bahnhof eingesetzt sind. Darunter aber auch Zivilbeamte, die nicht als Ordnungshüter erkannt werden sollen.
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Was zweifelsfrei auffällt: Die Verunsicherung hat sich bei den Anwohnern längst verfestigt. Die Menschen blicken sich um, wenn sie in den Nebenstraßen Schritte hinter sich hören. Es gibt aber auch andere Meinungen: Das Ehepaar Wald trägt seine Einkäufe gemeinsam in einem Klappkorb. „Die Probleme werden hier hochgeredet. Wir haben keine Angst.“
Doch Ladeninhaber haben Angst, und dagegen ergreift der Städtische Außendienst vom Ordnungsamt nun eine neue Maßnahme: Geschäftsleute und ihre Mitarbeiter sollen nach Ladenschluss mit einer Sicherheitseskorte zu ihren Autos begleitet werden.
>> Furcht in Meiderich: Drastische Maßnahmen sind in Planung
- Die Bezirksvertretung Meiderich/Beeck hat im Oktober einstimmig ein umfangreiches Handlungskonzept beschlossen. Darin wird unter anderem eine Messerverbotszone gefordert sowie Polizeikameras wie nach der Schießerei am Hamborner Altmarkt. Dass die Polizeiwache geschlossen und mit dem Neubau in Ruhrort zusammengelegt wurde, trifft in Meiderich weiterhin auf Kritik.
- Bevor die Bezirksvertretung über das Konzept abstimmte, hatte die Polizei Duisburg bereits zu prüfen begonnen, ob mobile Kameras auf der Von-der-Mark-Straße rechtlich möglich und aktuell sinnvoll sind. Solche Kameras werden zeitnah nicht aufgestellt, so jetzt Polizeisprecherin Julia Tekock auf Nachfrage. Sie spricht aber von einer „kontinuierlichen Prüfung“ und schließt diese Maßnahme für die Zukunft nicht aus.
- Die Behörde setzt jetzt auf mehr Präsenz, also auf mehr Fußstreifen, Streifenwagen und auf die Bezirkspolizisten, die das Gespräch mit Anwohnern, Geschäftsleuten und Kunden suchen. „Das trägt Früchte“, sagt Julia Tekock, die mit Blick auf die Straftaten von Juli bis Ende November von einer „leicht positiven Entwicklung“ spricht. „Wir sind noch nicht am Ziel, aber wir sind auf dem richtigen Weg.“ Zudem würde „die Bevölkerung“ der Polizei berichten, „dass die Situation besser geworden ist“.