Bottrop. Das Stück.Gut am Bottroper Kirchplatz will für jeden und jede offen sein. Mit seinem Konzept will es die Innenstadt beleben. Die Angebote dort.

Es ist kurz nach sieben, die Herbstsonne ist fast untergegangen. Der tagsüber stets belebte Bottroper Kirchplatz hat sich nun fast vollständig geleert. Die Geschäfte sind geschlossen, nur in einem Raum brennt noch Licht. Rund 25 Gäste haben sich hier eingefunden, Stück.Gut steht draußen an der Tür. Nachdem draußen die Kirchenglocken zum letzten Mal erklingen, ergreift Christiane Hartung das Wort.

Stück.Gut Bottrop: Büchertipps statt Gespräche über Glaubensfragen

Die Gastgeberin ist Gemeindereferentin der katholischen Innenstadtgemeinde. Gesprochen wird heute indes nicht über Glaubensfragen oder Kirchenangelegenheiten; worum es heute geht, sind vielmehr historische Liebesschicksale, Mord und Totschlag im Vereinigten Königreich und eine Familiengeschichte aus Brooklyn, New York.

Rund zwei Dutzend Buchtitel haben Ulrike Beck und Daniela Zuddas von der Humboldt-Buchhandlung auf einem Tisch ausgebreitet. Alles Buchempfehlungen für die kalte Jahreszeit, wovon ein Teil jetzt von den beiden Buchhändlerinnen vorgestellt wird. Ort des Geschehens ist ein Raum im Erdgeschoss des 2022 eröffneten Gemeindehauses der Propstpfarrei St. Cyriakus.

Das Stück.Gut in Bottrop versteht sich als Wohnzimmer mitten in der Stadt.
Das Stück.Gut in Bottrop versteht sich als Wohnzimmer mitten in der Stadt. © Niklas Schlottmann

Nichts deutet hier, drinnen wie draußen, auf einen kirchlichen Träger hin, noch nicht einmal ein Kreuz an der Wand. Als „ein neues Wohnzimmer, ein Raum, der von jedem in Bottrop genutzt werden kann“, wird das Konzept auf der Homepage von den Verantwortlichen des Bistums Essen beschrieben, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, unter dem Banner „Citypastoral“ wieder stärker in die Stadtgesellschaft zu wirken. Kommen die Menschen nicht mehr in die Kirche, muss die Kirche eben zu den Menschen kommen.

Stück.Gut mit eigenem Format: Filmevorführungen, Bücherabende, Rudelsingen

Mieten kann das Wohnzimmer jede und jeder, ganz für sich allein oder für Gruppen, tages- oder auch nur stundenweise (ab 20 Euro). In der Bottroper Innenstadt ist es einer der wenigen Räume, die allen offenstehen: ohne Kaufzwang, Konfessionsbindung oder Vereinsmitgliedschaft. Einmal im Monat finden zudem feste Veranstaltungen wie an diesem Abend statt („Stück.Gut trifft…“). Im November wird ein Film gezeigt, im Dezember kommt man zum gemeinsamen „Rudelsingen“ zusammen.

Die drei Freundinnen Angelika Klingberg, Annette Schneider und Oksana Bundar sind heute zum ersten Mal da. Ihnen gefällt das Konzept, erzählen sie in der Pause. Der Raum sei „einladend und dabei offen für alle“, sagt Annette Schneider, die für die Buchtipps gekommen ist, während die aus der Ukraine geflohene Oksana Bundar heute vor allem ihr Hörverstehen verbessern will. „Es ist schön, wenn es Personen gibt, die sich persönlich engagieren“, so Schneider weiter.

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Man werde bestimmt wiederkommen und um die nächste Veranstaltung nicht zu verpassen, hat sie nun auch den hauseigenen Newsletter abonniert, sagt Annette Klingberg. Einzig etwas kühl wirke der aufgeräumte, geflieste, von klaren Formen geprägte, weiße Raum noch, finden die Freundinnen.

Etwas Wohnzimmer-Atmosphäre kommt aber doch auf, vor allem im hinteren Bereich, wo ein großes rotes Sofa steht, über dem drei Korblampen baumeln. Die anderen Gäste, überwiegend Frauen mittleren Alters, haben sich in Grüppchen an einer Handvoll, frei im Raum platzierter Tische gemütlich gemacht.

Gemeindereferentin: Stück.Gut hat sich zu einem Anziehungspunkt in der Stadt entwickelt

„Bisher war es immer gut gefüllt“, sagt Ulrike Beck, die hier nun schon zum dritten Mal ihre Lektüretipps vorstellt. Das Wohnzimmer ist für sie ein idealer Veranstaltungsort, weswegen man im Frühling auch sicherlich wiederkommen werde.

Neben dem Café Kram, das gerade einen neuen Betreiber sucht, und bei dem die Humboldt-Buchhandlung auch schon zu Besuch war, hat sich Stück.Gut rund zwei Jahre nach seiner Eröffnung zu einem Anziehungspunkt im Stadtzentrum entwickelt, wie die Gemeindereferentin Christiane Hartung berichtet.

„Hier kann man einfach vorbeikommen, auch wenn man nur eine Stunde ungestört arbeiten möchte“, sagt sie. Die festen Öffnungszeiten sind mittwochs und samstags, zeitgleich zum Markt, von 10 bis 13 Uhr. Ansonsten gilt: „Licht an, kannste rein.“ Einen Ort in Bottrop schaffen, „wo Begegnung und Vernetzung in schönem Ambiente stattfinden kann“, so beschreibt Hartung die Idee hinter Stück.Gut.

Und was hat das noch mit Kirche zu tun? Sehr viel, findet Hartung: „Kirche bedeutet ja nicht nur Gottesdienste feiern. Wo immer Menschen gutgesinnt zusammenkommen, passiert etwas Positives.“ Da müsse dann die christliche Haltung auch nicht vorne draufstehen; wohl auch, weil das wieder viele vom Kommen abhalten könnte, steigt die Zahl der Kirchenaustritte doch seit Jahren kontinuierlich an. Wegen hunderter vertuschter Missbrauchsfälle war das Bistum Essen in jüngster Zeit zudem mehrfach in den Negativschlagzeilen.

„Bottrop wird auch von Initiativen belebt und nicht nur durch neue Einkaufsmöglichkeiten

Ein Imageproblem hat bekanntlich auch die Bottroper Innenstadt. Früher, als es noch keinen Leerstand gab, als die Menschen im Ruhrgebiet noch mehr Geld in der Tasche hatten, als sich das soziale Leben noch auf der Straße und nicht im digitalen Raum abspielte, da sei es schöner gewesen, finden viele. „Das Früher kommt aber nicht wieder“, sagt Hartung bestimmt. Sie plädiert dafür, nach vorn zu schauen. „Bottrop wird auch von Initiativen belebt und nicht nur durch neue Einkaufsmöglichkeiten.“ Und so ist es ausgerechnet die altehrwürdige katholische Kirche, die mit dem für alle offenstehenden Wohnzimmer neue Wege der Innenstadtbelebung erprobt.

Und das durchaus erfolgreich, sagt die Gemeindereferentin. Der Raum werde fast jede Woche gebucht, das eigene Format „Stück.Gut trifft“ habe sich mittlerweile ebenfalls gut etabliert, auch dank der Interessengemeinschaft Marktviertel, mit der man eng zusammenarbeite. Wer sich selbst ein Bild machen will, kann spontan vorbeikommen – wann immer im Wohnzimmer Licht brennt.

Alle Eigenveranstaltungen finden sich unter www.instagram.com/stueck.gut. Mietanfragen werden online entgegengenommen: www.stueckgut-bottrop.de.