Bottrop. Die LWL-Tagesklinik in Bottrop behandelt Kinder mit Depressionen. In den vergangenen Jahren beobachten sie eine erschreckende Entwicklung.

Immer wieder machen die Themen Angst und Depressionen Schlagzeilen. Und meist hat man dabei Erwachsene oder ältere Menschen vor Augen. Dass auch Kinder und Jugendliche mit diesen Gefühlen zu kämpfen haben, erlebt das therapeutische Team der LWL-Klinik Marl-Sinsen am Standort Bottrop tagtäglich. Zwölf junge Patienten im Alter von sechs bis 18 Jahren werden hier in der Tagesklinik behandelt. Der Aufenthalt dauert bis zu drei Monate.

Eine Zunahme von sozialen Ängsten und Depressionen in dieser Altersgruppe beobachtet das Team um Dr. Julia Wagener, leitende Ärztin der Tagesklinik und der Ambulanz, vor allem seit der Corona-Pandemie.

Depressionen bei Kindern: Für die Betroffenen äußerst quälend

Die Erscheinungsformen kindlicher Angststörungen sind vielfältig und für die betroffenen Kinder äußerst quälend. Bei jüngeren Kindern treten oft körperliche Beschwerden - wie Bauchschmerzen - ohne medizinischen Befund in den Vordergrund, bei den Älteren überwiegen soziale Ängste im Umgang mit fremden Menschen, oft kombiniert mit der Angst, in alltäglichen Situationen zu versagen. Auch die sozialen Medien seien oft eher Belastung als Erleichterung, weil unaufhörlich Infos auf die Kinder einprasseln und sie sich gleichzeitig „draußen“ fühlen.

Auch interessant

Hinzu kommt ein diffuses Erleben von Bedrohung, weil sich viele Erwachsenen Sorgen machen - sei es aus wirtschaftlicher Not oder wegen der täglichen Berichterstattung über Kriege oder Klimawandel und soziale Konflikte.

Kinder und Jugendliche weichen sozialen Kontakten und Aktivitäten aus

Besonders häufig kommt es im Zusammenhang mit Angststörungen zu sogenannter Schulvermeidung. „Manche Kinder gehen monatelang nicht zur Schule“, stellt die ärztliche Leiterin Julia Wagener fest. „Da können viele Faktoren eine Rolle spielen. Angst vor Bewertung durch andere, Mobbing-Erfahrungen oder Schwierigkeiten mit Lehrkräften. Manchmal liegt einer Schulphobie auch eine tiefe Trennungsangst zugrunde. Da spielen sich morgens, wenn unsere Patienten ankommen, manchmal in der Anfangsphase dramatische Szenen ab, weil sie gar nicht aus dem Auto aussteigen wollen.“

LWL-Tagesklinik in Bottrop
Sie helfen depressiven Kindern an der LWL-Tagesklinik in Bottrop: Therapeutin Tanja Albrecht, die einjährige Therapiehündin Auri und Dr. med. Julia Wagener, ärztliche Leiterin der Tagesklinik und Ambulanz. © FUNKE Foto Services | Christoph Wojtyczka

Auf sich allein gestellt reagieren betroffene Kinder und Jugendliche häufig mit Rückzug auf ihr Angsterleben. Sie weichen sozialen Kontakten und Aktivitäten aus, verlassen ihr Zimmer kaum noch. Kurzfristig wirken diese Vermeidungsstrategien entlastend, auf lange Sicht sind die Folgen fatal, weil der Handlungsspielraum enger und enger wird und die Teilhabe am Alltagsleben sich massiv einschränkt.

Breites Behandlungsangebot an der LWL-Tagesklinik in Bottrop

Damit es so weit gar nicht erst kommt, macht das Team der Tagesklinik ein breites Behandlungsangebot. Ob Bogenschießen, Ergo- und Sporttherapie oder sogenanntes „Snoezelen“, die Patienten erhalten Gelegenheit, sich zu erproben und positive Erfahrungen zu sammeln. „Aber ohne Konfrontation mit den Ängsten geht nicht“, räumt die Ärztin ein. „Wir fangen immer langsam an und steigern allmählich die Belastung. Dabei ist es von zentraler Bedeutung, dass wir zugewandt sind und den Kindern nie mehr zumuten, als sie verkraften!“

Und wie sieht eine Konfrontation mit den Alltagsanforderungen aus? Maßnahmen wie Busfahrten oder Einkäufe und Ausflüge, bei denen man auf viele fremden Menschen trifft, werden professionell begleitet.

Auch interessant

Alle Behandlungsangebote sind in ein ganzheitliches, systemisches Konzept eingebettet. „Wir wollen die Kinder befähigen, ein altersentsprechendes angstfreies Leben zu führen. Das Motto unserer Therapie ist immer: zurück ins Leben. Daran arbeiten wir als multiprofessionelles Team. Nicht Symptome stehen im Fokus, sondern das Kind und die Familie mit ihren Fähigkeiten und Ressourcen.“

Hilfe in der LWL-Tagesklinik in Bottrop: „Wichtig, dass die Eltern die Symptome verstehen“

In Bottrop wird der klassische familientherapeutische Ansatz um die sogenannte Multifamilientherapie ergänzt. Dabei kommen die Mitglieder mehrerer Familien zusammen und setzen sich mit zentralen Problemen auseinander.

„Es ist wichtig, dass die Eltern die Symptome verstehen und die Prinzipien der Angstbewältigung kennen lernen“, erklärt Julia Wagener. „Vor allem, wenn mehrere Familienmitglieder von Angststörungen betroffen sind, profitieren die Familien sehr von der Aufklärung über die Hintergründe und von der Begegnung mit anderen Familien.“

Tiergestützte Arbeit: Der Hund verändert die Atmosphäre

Eines der beliebtesten Teammitglieder ist übrigens Auri. Die darf aber nie alleine arbeiten, denn sie ist erst ein Jahr alt, hat strubbeliges Fell und vier Beine. Ihre Chefin Tanja Albrecht, systemische Psychotherapeutin in Ausbildung, beschreibt die Wirkung der tiergestützen Arbeit: „Wenn der Hund dabei ist, verändert sich einfach die Atmosphäre. Es ist wunderbar, wie unkompliziert Beziehung möglich wird, wenn Auri ins Spiel kommt. Die Kinder lernen, klar zu kommunizieren und Grenzen zu setzen, damit der Hund sie auch ernst nimmt. Das stärkt ihr Selbstbewusstsein.“

Viele Kinder lieben es, sich vorzustellen wie Auri sie in die Schule begleitet und zu erleben, wie die Hündin ihnen Kraft und Mut gibt. Denn natürlich haben die Kinder und Jugendlichen auch während ihres Aufenthaltes in der Tageklinik Unterricht. Zunächst in der klinikeigenen Schule, später auch in ihrer Heimatschule. Der Übergang dorthin wird von der Klinik intensiv begleitet, denn er ist maßgeblich für den Erfolg der Behandlung. Dabei wird auf die Zusammenarbeit mit den Lehrkräften besonders Wert gelegt.

Im schützenden Klinikumfeld werden die Kinder mit ihren Ängsten konfrontiert, damit sie ein Gespür dafür entwickeln, dass Konflikte und Frust zum Leben dazugehören, dass nicht immer alles „easy“ sein kann und dass es normal ist, Herausforderungen zu begegnen. Sie erlernen einen altersgerechten Umgang damit und bekommen so Rüstzeug für ihre Zukunft außerhalb der Klinik.