Bochum. Satiriker Jan Böhmermann sieht für Bochum mit Blick auf Radwege nur eine Chance: „Abreißen und neu aufbauen“. Was ist dran am Pauschalurteil?

Zuspitzen, Polarisieren und Provozieren, das ist sein Beruf. Und deshalb sollte man das harsche Urteil, das Satiriker Jan Böhmermann über Bochum und seine Radwege fällt, womöglich nicht zu hoch hängen. Bochum, hat der 43-Jährige unlängst auf seinem Konzert in Köln konstatiert, sei „die allerschlimmste Stadt“ für Radfahrer. Einzige Lösung: „Abreißen und neu aufbauen mit Radwegen!“

Der Vorschlag ist so drastisch wie unrealistisch, Böhmermanns Vorwürfe allerdings nicht aus der Luft gegriffen und Bochum nicht zufällig Ziel seiner Kritik. Schon im September 2024 hatte der Entertainer ein vernichtendes Urteil über die Radinfrastruktur in der Stadt gefällt. Immer wenn er auf Tour sei, fahre er mit dem E-Scooter durch die Stadt und notiere sich Bewertungen in einem Notizbuch. Und in Bochum, da seien die Radwege „unglaublich beschissen“.

In den sozialen Medien sorgen die Aussagen erwartungsgemäß für Diskussionen, die Kommentare pendeln irgendwo zwischen „Böhmermann abschalten“ und „Er hat ja leider recht“. Was ist dran am Pauschalurteil? Hier sind Fakten zu Böhmermanns Aussagen.

Bochum „allerschlimmste Stadt“ für Radfahrer – stimmt das?

Bochum, die „allerschlimmste Stadt“? Die subjektive Meinung des bekennenden E-Scooter-Fahrers Böhmermann ist das eine, Umfragen eine andere: Alle zwei Jahre zeichnet der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) mithilfe seines „Fahrradklima-Tests“ ein Bild davon, wie zufrieden oder unzufrieden Radfahrerinnen und Radfahrer in deutschen Städten sind. Bochum landete 2022 im Ranking der Städte mit 200.000 bis 500.000 Einwohnern auf dem 20. von 26 Plätzen. Rund 760 Bochumerinnen und Bochumer hatten an der Umfrage teilgenommen, die Aussagen zu verschiedenen Aspekten des Radfahrens auf einer Skala von eins bis sechs einsortiert, übersetzbar mit Schulnoten.

Mehr als jeder dritte Befragte in Bochum hatte dabei angegeben, dass Radfahren in Bochum kaum Spaß mache und vor allem Stress bedeute – Schulnote fünf. Von 13 Prozent gab es sogar ein „ungenügend“. Als Gesamtbewertung ergab sich ein Wert von 4,31, „ausreichend minus“. Aber: Von der „allerschlimmsten Stadt“ kann nach den Daten kaum die Rede sein, liegen doch sechs Städte vergleichbarer Größenordnung noch dahinter, darunter Bochums Nachbarstadt Gelsenkirchen oder auch Duisburg.

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Weiße Fahrräder für verstorbene Radfahrer „haben sie aufgegeben“ – ist das so?

„Ghostbikes“, Geisterfahrräder, werden die weißen Räder genannt, die als eine Art Mahnmal an Unfallorten an Radfahrende erinnern sollen, die eben dort tödlich verunglückt sind. „Im Himmel gibt es für jedes weiße Fahrrad auf der Erde ein Pendant“, sagte Böhmermann bei seinem Konzert in Köln. Und: „In Bochum haben sie das aufgegeben.“

Tatsächlich sind in den vergangenen Jahren auch in Bochum Ghostbikes im Stadtgebiet aufgestellt worden; so zum Beispiel im Januar 2022 an der Dorstener Straße und im Oktober 2022 an der Alleestraße. In der Verkehrsunfallstatistik der Polizei fürs Jahr 2022 sind auch genau diese beiden tödlichen Unfälle von Radfahrern verzeichnet. Im Jahr 2023 sind laut polizeilicher Unfallstatistik keine Radfahrer auf Bochumer Straßen ums Leben gekommen. Insofern ist „aufgeben“ in Bezug auf Ghostbikes wohl nicht ganz treffend.

„Ghostbike“ in Erinnerung an einen tödlich verunglückten Radfahrer: Wiederholt wurden solche weiß angemalten Räder als Mahnmal im Bochumer Stadtgebiet aufgestellt.
„Ghostbike“ in Erinnerung an einen tödlich verunglückten Radfahrer: Wiederholt wurden solche weiß angemalten Räder als Mahnmal im Bochumer Stadtgebiet aufgestellt. © FUNKE Foto Services | Olaf Ziegler

Die Verkehrsunfallstatistik für 2024 liegt noch nicht vor. Bekannt sind zwei tödliche Unfälle von Radfahrenden: Im April wurde eine 87-Jährige bei einem Zusammenstoß mit einem anderen Radfahrer auf einer Radtrasse in Langendreer so schwer verletzt, dass sie zwei Wochen später starb. Und im Juni 2024 starb ein 66-Jähriger, der laut Polizei alkoholisiert mit seinem E-Bike unterwegs und vor ein Verkehrsschild gefahren war.

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„Niemand kümmert sich“ – stimmt das?

Wege, die im Nichts enden, lose Platten, Bäume im Weg – wenn Böhmermann solche Punkte als Beleg dafür heranzieht, dass die Radwegeplanung in Bochum „unglaublich beschissen“ ist, dann trifft er durchaus einen Punkt. Auch Fahrradaktivisten in der Stadt werden nicht müde, auf Gefahrenstellen hinzuweisen: So hat etwa Klaus Kuliga, früherer Vorsitzender des örtlichen ADFC, im Mai 2024 allein 40 Mängel auf einem 2,8 Kilometer langen Streckenabschnitt von Goldhamme nach Wattenscheid aufgelistet. Darunter die Stelle, an der der Radweg in Höhe der Jahrhunderthalle unvermittelt endet und Radfahrende auf die stark befahrene Straße ausweichen müssen. „Lebensgefährlich“, befand Kuliga.

Wer stadtauswärts auf dem Radweg an der Alleestraße unterwegs ist, muss kurz vor der Jahrhunderthalle auf die Straße wechseln – der Radweg endet.
Wer stadtauswärts auf dem Radweg an der Alleestraße unterwegs ist, muss kurz vor der Jahrhunderthalle auf die Straße wechseln – der Radweg endet. © WAZ Bochum | Bernd Kiesewetter

Weitere Beispiele gibt es viele: So endet auch an der Dorstener Straße in Hofstede ein Radweg im Nichts, nahe der Innenstadt ist der rot eingefärbte Radstreifen an der Dorstener Straße an manchen Stellen nur 75 Zentimeter breit. Und am Rande der stark befahrenen Wittener Straße sucht man auf weiter Strecke gleich vergebens nach einem Radweg, weswegen die Stadt eine „Südumfahrung“ durch die ruhigeren Wohnstraßen plant.

Aber „niemand kümmert sich“, wie Böhmermann in seinem Podcast meinte, das kann man so auch nicht sagen. Die Stadt hat ein Radverkehrskonzept entwickelt, das den Anteil des Radverkehrs am Gesamtverkehr in der Stadt bis 2030 auf 15 Prozent steigern soll. In dem Zuge treibt die Verwaltung unter anderem das Projekt „Radkreuz“ voran, das den Weg in die und durch die Innenstadt für Radfahrende erleichtern und sicherer machen soll. Mehrere „Velorouten“ sollen das Zentrum mit den Stadtteilen am Rande sowie den Nachbarstädten verbinden.

„Ich würde nicht sagen, dass Bochum schlecht dasteht, aber objektiv kann man sagen, dass andere Städte weiter sind. Unter anderem in Bochum wurde in den 1960er und 1970er Jahren das Konzept autogerechte Stadt erfolgreich umgesetzt. Wenn große Straßen einmal da sind, dauert es und ist mühsam, sich davon wegzuentwickeln. “

Prof. Iris Mühlenbruch
Professorin für Verkehrswesen und nachhaltige Mobilität

Geräuschlos gehen die Planungen indes nicht vonstatten. Die Verkehrswende, das zeigt sich immer wieder, schmeckt nicht jedem; wenn Parkplätze in Wohnvierteln zugunsten von Radwegen wegfallen zum Beispiel oder wenn der Autoverkehr auf einen Fahrstreifen verzichten muss, dann werden Anwohner und Autofahrer laut.

„Ich würde nicht sagen, dass Bochum schlecht dasteht“, sagte Iris Mühlenbruch mit Blick auf den Radverkehr im vergangenen Jahr zur WAZ. Sie ist Verkehrs- und Mobilitätsforscherin an der Hochschule Bochum und hat die Fahrradprofessur NRW inne. Weiter sagte sie: „Objektiv kann man sagen, dass andere Städte weiter sind. Unter anderem in Bochum wurde in den 1960er und 1970er Jahren das Konzept autogerechte Stadt erfolgreich umgesetzt. Wenn große Straßen einmal da sind, dauert es und ist mühsam, sich davon wegzuentwickeln.“

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